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Zurückweisungen an der Grenze„Bruch des europäischen Rechts“

Der Grünen-Vize Sven Giegold hat gegen das deutsche Vorgehen Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. Die guckte zuletzt allerdings eher weg.

Die Bundespolizei kontrolliert an der tschechischen Grenze per Hubschraubersprungfahndung Foto: Daniel Vogl/dpa

Berlin taz | Zufrieden stand der neue deutsche Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Donnerstag an der deutsch-österreichischen Grenze. Gekleidet in eine Polizeijacke dankte er der Bundespolizei dafür, dass sie auf seine Weisung hin seit nunmehr einer Woche Geflüchtete an der Grenze zurückweist – selbst, wenn sie um Asyl bitten. Gegen genau dieses Vorgehen Deutschlands hat der stellvertretende Grünen-Vorsitzende Sven Giegold nun Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt.

„Nach meiner Erinnerung hat noch nie eine neue Regierung eines großen Mitgliedslands mit der quasi ersten Amtshandlung den Bruch des europäischen Rechts in Kauf genommen“, schreibt Giegold an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Als Staatssekretär sei er selbst bis November 2024 dafür verantwortlich gewesen, dass die Bundesrepublik das Europarecht einhält. Das für alle Mitgliedsstaaten zu überwachen, sei Aufgabe der EU-Kommission. Deutschland gefährde mit seinem Handeln nun „die Grundlagen der Europäischen Union“.

Denn, so Giegold: Die EU beruhe darauf, dass Europarecht Vorrang vor nationalem Recht hat. Und laut Europarecht ist für den Asylantrag eines Menschen zwar das Land zuständig, in dem dieser die EU zuerst betreten hat. Also in der Regel nicht Deutschland, das von anderen EU-Staaten umgeben ist. Deutschland muss demnach aber erst mal prüfen, welcher Staat zuständig ist – und kann Asylsuchende entsprechend nicht einfach abweisen. Das ist nur nach nationalem Recht möglich, das aber eigentlich vom Europarecht überlagert wird.

Zahl der Asylanträge sinkt sowieso

Grüne und Linke sowie zahlreiche Asyl­rechts­ex­per­t*in­nen kritisieren die pauschalen Zurückweisungen – Ausnahmen gibt es nur für Schwangere, Minderjährige und andere besonders vulnerable Gruppen – als europarechtswidrig. Nach Auffassung des Innenministers kann Deutschland sich jedoch auf Artikel 72 des EU-Rechts berufen. Nach dieser Klausel kann von EU-Recht abgewichen werden, sofern es die öffentliche Sicherheit erfordert.

„Eine Notlage wurde weder angezeigt, noch ist sie gegeben“, sagte der taz hingegen der Grüne Sven Giegold. „Die Zahl der Asylanträge in Deutschland sinkt.“ Er verweist zudem auf das sehr restriktive und von den Grünen mit beschlossene „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS), das so neu sei, dass über dessen Wirksamkeit noch gar nicht bekannt sei.

„Es hat immer ein Geschmäckle, wenn ein deutscher Kanzler von einer deutschen Kommissionspräsidentin kontrolliert wird, die zudem in der selben Partei ist“, sagte Giegold der taz. „Ich erwarte, dass Ursula von der Leyen unparteiisch über die Einhaltung europäischen Rechts wacht. Das wird hier in Brüssel auch sehr genau beobachtet.“

Dass die Kommission einschreitet, ist allerdings unwahrscheinlich. Im Asylrecht hat sie in den vergangenen Jahren häufig nicht sehr verhement auf die Einhaltung europäischen Rechts gepocht. Ein Beispiel dafür sind die inzwischen teils seit Jahren andauernden Grenzkontrollen Deutschlands zu seinen Nachbarstaaten – erlaubt sind im Schengenraum eigentlich maximal sechs Monate.

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7 Kommentare

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  • Na ja mal ehrlich, welches europäische Land hält sich in der Flüchtlingsfrage an europäisches Recht oder das Dublin Abkommen ?

  • Die EU-Kommission schaut schon jahrelang tatenlos zu, wie das EU-Recht gebrochen wird. Einer der Gründe, wenn nicht sogar der Hauptgrund, warum die AfD so stark geworden ist.



    Ich kann mich nicht erinnern, dass Herr Giegold schon einmal eine Klage bei der EU eingereicht hat. Das hätte, bei erfolgreichem Ausgang, vielleicht den Aufstieg der AfD verhindert.

  • Dobrindt und seine Konsorten wollen sich auf Kosten der schwächsten, den Flüchtlingen profilieren - hierfür werden Bundesgrenzschutz- / Polizei Mitarbeiter bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit Missbraucht.



    Einmal ganz Abgesehen von der Unrechtmäßig dieser Profelierungsaktion.



    Entspricht nicht meinem Anspruch von Rechtsstaatlichkeit.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Die konservative Union konnte schon immer gut von den wirklichen Problemen in diesem Land ablenken - auch mit der Hilfe der Springer-Presse. Und jetzt hat die CDU/CSU sich sogar noch etwas von der AfD abgeschaut, wie man die einfältigen Bürger noch mehr 'hinters Licht führen' kann. Mal schauen wann die Bürgergeldempfänger wieder an den Pranger gestellt werden, denn mit Bashing gegen Ausländer und arme Deutsche kann man ja immer sehr gut von den ganzen Schandtaten ablenken, die die Reichen und Mächtigen in diesem Land ständig begehen.

      Und spätestens wenn sich 100 Millionen Afrikaner auf den Weg nach Europa machen, weil ihre Süßwasserquellen durch den Klimawandel versiegt sind, werden die Bürger in diesem Land merken, dass man sich beizeiten lieber mal intelligentere Politiker hätte wählen sollen. Politiker die nicht auf dem Schoß der klimaschädlichen Wirtschaftsbosse sitzen und 'echte Volksvertreter' sind.

      Wenn man keine Migration haben möchte, dann muss man für soziale Gerechtigkeit und Frieden auf diesem Planeten sorgen, und erst recht für Klimaschutz. Aber das zu begreifen ist für viele Menschen, und besonders für einige Unions-Politiker, wohl doch zu schwer.

  • Schengen wird von der neuen Koalition (in Persona Merz/Dobrindt) mal eben so in die Tonne geklopft. 🤮

  • Weshalb wird Herr Giegold erst jetzt aktiv? Weshalb hat er nicht unlängst angezeigt, dass die Außengrenzen nicht hinreichend gesichert werden, weshalb hat er nicht angezeigt, dass Ankommende nicht ordnungsgemäß registriert werden, weshalb hat er nicht angezeigt, dass EU-Partner registrierte Flüchtling nicht absprachegemäß zurück nehmen?