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Zurückweisungen an den Grenzen„Wir schaffen das“ ist jetzt abgeschafft

Das deutsche Asylgesetz sieht eine Zurückweisung an den Grenzen bereits vor. EU-rechtskonform ist das vermutlich nicht.

Dobrindt lässt abweisen: Polizeibeamte weisen am 08. Mai in Kehl einen Mann zurück und begleiten ihn zur französischen Grenze Foto: Marius Bulling/onw-images/dpa

Ohne ein Gesetz zu ändern, führte Innen­minister Alexander Dobrindt (CSU) mit einem Schreiben an die Bundespolizei eine neue deutsche Asylpolitik ein. Fast alle Asylsuchenden sollen nun an den deutschen Grenzen abgewiesen werden.

Die Maßnahme kommt nicht überraschend. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sie schon im Wahlkampf versprochen – für den ersten Tag seiner Amtszeit. Auch die SPD wurde nicht überumpelt, sie hat vielmehr im Koalitionsvertrag zugestimmt. „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“, heißt es dort.

Minister Dobrindt schrieb nun lediglich einen Brief an den Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann. Darin bat er die Bundespolizei, „ab sofort“ Schutzsuchenden die Einreise zu verweigen, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Da Deutschland von sicheren Staaten umgeben ist, gilt diese Weisung an allen deutschen Außengrenzen.

Ausnahmen soll es nur für „vulnerable Personen“ geben. Bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend erklärte Dobrindt, dass damit „Kinder und schwangere Frauen“ gemeint seien. Diese sollen weiterhin an deutsche Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet werden.

Dobrindt nimmt in seinem Schreiben Bezug auf Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes, der die Möglichkeit von Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausdrücklich vorsieht. Auch das deutsche Grundrecht auf Asyl gilt seit 1993 nicht mehr bei einer Einreise aus einem sicheren ­Drittstaat und wurde damit faktisch abgeschafft.

Ausnahmen soll es nur für vulnerable Personen geben: Dobrindt nennt „Kinder und schwangere Frauen“

Dennoch wurde Paragraf 18 in den letzten Jahren nicht angewandt. Denn 2015 hat der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Absprache mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angeordnet, alle Personen einreisen zu lassen, die einen Asylantrag stellen wollen.

Paragraf 18 gilt wieder

Diese damals mündlich erteilte Weisung nahm Dobrindt nun ausdrücklich zurück. Eine Gesetzesänderung war deshalb nicht nötig. Paragraf 18 ist als Rechtsgrundlage für Zurückweisungen ja bereits vorhanden.

Ist Dobrindt damit rechtlich auf der sicheren Seite? Nein, denn das deutsche Recht wird nach ganz überwiegender Ansicht von Ex­per­t:in­nen hier durch EU-Recht überlagert. Die Dublin-III-Verordnung der EU regelt, welcher Staat jeweils für ein Asylverfahren zuständig ist. Meist ist es der EU-Staat, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Um herauszufinden, welcher EU-Staat zuständig ist, müssen Flüchtlinge also erst einmal einreisen können. Eine Überstellung an den zuständigen Staat – und in der Regel ist das kein deutscher Nachbarstaat – soll später erfolgen, scheitert allerdings oft.

Dobrindt will das EU-Recht an diesem Punkt aber nicht mehr anwenden. Er beruft sich hierbei auf die Notlagenklausel in Artikel 72 des EU-Arbeitsvertrags. Konkret beruft sich Dobrindt darauf, er wolle einer Überforderung der deutschen Kommunen und des deutschen Asylsystems vorbeugen. Außerdem sei das Dublin-System „dysfunktional“, weil sich viele EU-Staaten nicht daran halten.

Mit beiden Argumenten wird Dobrindt beim Europäischen Gerichtshof vermutlich nicht durchkommen. Das ahnt wohl auch Dobrindt, der betonte, es gehe vor allem um ein „deutliches Signal“ in die Welt und nach Europa, „dass sich die Politik in Deutschland geändert hat“.

Die im Koalitionsvertrag als Bedingung vorgesehene „Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten hält Dobrindt für erfüllt. Die Nachbarn seien vorab „in Kenntnis gesetzt“ worden und man führe mit ihnen eine „gemeinsame Diskussion“.

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6 Kommentare

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  • Wie gewohnt eine gute Analyse von Christian Rath. Wünschenswert wäre gewesen die Definition von Drittstaaten zu präzisieren. In den Diskussionen sorgt dieses nämlich für die meisten Irritationen und damit auch für Fehleinschätzungen. Ich ergänze das in aller Kürze.

    Nationales Recht § 26a AsylG



    Kurzfassung: Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Als sichere Drittstaaten gelten gem. Absatz 2 auch die Mitgliedstaaten der EU.

    Unionsrecht



    Bei Einreisen aus einem EU-Mitgliedstaat kommt in der Regel das Dublin Verfahren zur Anwendung. Hier haben die EU Regeln Vorrang und diese besagen, dass EU-Mitgliedsstaaten in diesem Zusammenhang nicht als sichere Drittstaaten gelten.

    Bedeutet, sichere Drittstaaten können gem. Unionsrecht in diesem Zusammenhang nur außerhalb der europäischen Gemeinschaft liegen.

    Bestätigt hat dieses das Bundesverwaltungsgericht 2017 (BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 C 17.16). Der Beschluss wurde vom Europäischen Gerichtshof 2020 bestätigt (EuGH-Vorlage BVerwG 1 C 4.19).

  • "„Wir schaffen das“ ist jetzt abgeschafft"



    Richtig, das wurde JETZT abgeschafft und nicht schon schleichend über die letzten Jahre, als sich Scholz als Abschiebekanzler gerierte, als SPD, Grüne und FDP Tunesiendeal und Außenlagern zugestimmt haben und auch nicht, als ebenfalls die Ampel nach Afghanistan abgeschoben hat.



    Deutschlands Politik war bis gestern ein Garten Eden für Flüchtende und über Nacht ist nun ALLES anders.

  • Abgesehen von den gegenwärtigen Ereignissen wirft der Artikel doch die Frage auf wie ein Gesetzesparagraph (Paragraph 18) einfach durch mündliche Anweisung ausser Kraft gesetzt werden konnte? Mündlich, um keine schriftlichen Spuren zu hinterlassen? Ist bzw war das legal??



    Ausserdem ist das Dublin-Anbkommen doch komplettt dysfunktional, ich erinnere nur an die Zurückweisungen und push-backs an der französisch-italienischen Grenze die niemanden zu stören scheinen. Wer sich daran noch hält, ist päpstlicher als der Papst, also ein 150%iger Fanatiker.. Wollen wir das sein?



    Schließlich, wenn jemand "wir schaffen das" sagt dann bedeutet das heutzutage umgangssprachlich "Das klappt doch nie.."

  • Die europarechtlich Rechtslage wird ebenso sein, wie an der französisch-italienischen Grenze. Seit Jahren weist Frankreich unerwünschte Grenzgänger - aus Italien kommend - zurück.

    Sicherlich wird Frankreich diese Praxis beenden, wenn sich diese nun als ein Verstoß gegen Europäisches Recht herausstellen sollte.

  • Merz müsste mal einen nationalen Notstand ausrufen, entgegen der Dementierung seinerseits heute Abend.



    Alles andere ist inkonsequent für das asylfeindliche Deutschland.

  • "Um herauszufinden, welcher EU-Staat zuständig ist, müssen Flüchtlinge also erst einmal einreisen können"



    Ist das so? Wenn jemand z.B. über Österreich, kommt, dann ist doch schon klar, dass er aus einem sicheren Staat kommt. Ist es unsere Aufgabe zu prüfen wie er nach Österreich kam? Ich glaube nicht.



    Das ganze Thema Asylrecht wird leider immer mehr zur Posse, jeder schaut nur noch nach sich selbst.