Zurückweisungen an den Grenzen: „Wir schaffen das“ ist jetzt abgeschafft
Das deutsche Asylgesetz sieht eine Zurückweisung an den Grenzen bereits vor. EU-rechtskonform ist das vermutlich nicht.

Ohne ein Gesetz zu ändern, führte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) mit einem Schreiben an die Bundespolizei eine neue deutsche Asylpolitik ein. Fast alle Asylsuchenden sollen nun an den deutschen Grenzen abgewiesen werden.
Die Maßnahme kommt nicht überraschend. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sie schon im Wahlkampf versprochen – für den ersten Tag seiner Amtszeit. Auch die SPD wurde nicht überumpelt, sie hat vielmehr im Koalitionsvertrag zugestimmt. „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“, heißt es dort.
Minister Dobrindt schrieb nun lediglich einen Brief an den Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann. Darin bat er die Bundespolizei, „ab sofort“ Schutzsuchenden die Einreise zu verweigen, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Da Deutschland von sicheren Staaten umgeben ist, gilt diese Weisung an allen deutschen Außengrenzen.
Ausnahmen soll es nur für „vulnerable Personen“ geben. Bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend erklärte Dobrindt, dass damit „Kinder und schwangere Frauen“ gemeint seien. Diese sollen weiterhin an deutsche Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet werden.
Dobrindt nimmt in seinem Schreiben Bezug auf Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes, der die Möglichkeit von Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausdrücklich vorsieht. Auch das deutsche Grundrecht auf Asyl gilt seit 1993 nicht mehr bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat und wurde damit faktisch abgeschafft.
Dennoch wurde Paragraf 18 in den letzten Jahren nicht angewandt. Denn 2015 hat der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Absprache mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angeordnet, alle Personen einreisen zu lassen, die einen Asylantrag stellen wollen.
Paragraf 18 gilt wieder
Diese damals mündlich erteilte Weisung nahm Dobrindt nun ausdrücklich zurück. Eine Gesetzesänderung war deshalb nicht nötig. Paragraf 18 ist als Rechtsgrundlage für Zurückweisungen ja bereits vorhanden.
Ist Dobrindt damit rechtlich auf der sicheren Seite? Nein, denn das deutsche Recht wird nach ganz überwiegender Ansicht von Expert:innen hier durch EU-Recht überlagert. Die Dublin-III-Verordnung der EU regelt, welcher Staat jeweils für ein Asylverfahren zuständig ist. Meist ist es der EU-Staat, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Um herauszufinden, welcher EU-Staat zuständig ist, müssen Flüchtlinge also erst einmal einreisen können. Eine Überstellung an den zuständigen Staat – und in der Regel ist das kein deutscher Nachbarstaat – soll später erfolgen, scheitert allerdings oft.
Dobrindt will das EU-Recht an diesem Punkt aber nicht mehr anwenden. Er beruft sich hierbei auf die Notlagenklausel in Artikel 72 des EU-Arbeitsvertrags. Konkret beruft sich Dobrindt darauf, er wolle einer Überforderung der deutschen Kommunen und des deutschen Asylsystems vorbeugen. Außerdem sei das Dublin-System „dysfunktional“, weil sich viele EU-Staaten nicht daran halten.
Mit beiden Argumenten wird Dobrindt beim Europäischen Gerichtshof vermutlich nicht durchkommen. Das ahnt wohl auch Dobrindt, der betonte, es gehe vor allem um ein „deutliches Signal“ in die Welt und nach Europa, „dass sich die Politik in Deutschland geändert hat“.
Die im Koalitionsvertrag als Bedingung vorgesehene „Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten hält Dobrindt für erfüllt. Die Nachbarn seien vorab „in Kenntnis gesetzt“ worden und man führe mit ihnen eine „gemeinsame Diskussion“.
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