Zunahme von Pyrotechnik in Stadien: Das Spiel mit dem Feuer
Trotz Strafen für die Vereine zünden die Fans immer mehr Pyrotechnik. Die Fußballverbände vertreten eine Nulltoleranzpolitik. Wo soll das hinführen?
Es brennt mehr denn je in den Fankurven der deutschen Fußballarenen. Das kann man sehen, aber auch nachrechnen. Der Deutsche Fußball-Bund führt genau Buch. Die Urteile des Sportgerichts lesen sich wie pyromanische Spielberichte.
Zur Pokalpartie zwischen Eintracht Frankfurt und Darmstadt 98 am 7. Februar ist beispielsweise vermerkt: „In der 6. Minute Abbrennen von mindestens sechs pyrotechnischen Gegenständen; in der 10. Minute Abbrennen von mindestens einem pyrotechnischen Gegenstand; in der 27. Minute Abbrennen von mindestens zwei pyrotechnischen Gegenständen; ….“
In einem Standardstrafenkatalog, der 2018 eingeführt wurde, sind die Kosten jedes einzelnen Vergehens für die haftenden Vereine festgehalten. Das Abbrennen eines Pyros kostet einen Drittligisten 350 Euro, einen Erstligisten schon 1.000 Euro. Alles in allem musste die Eintracht für die Pyroleidenschaft ihrer Fans an diesem Pokalabend 41.000 Euro bezahlen.
Im März dieses Jahres mussten die Vereine der drei Profiligen dem DFB knapp 440.000 Euro wegen Pyrovorfällen überweisen. In der Vor-Coronazeit, im März 2019, waren es knapp 150.000 Euro.
Für wohltätige Zwecke
Wollte man dieses sich verschärfende Problem auf die leichte Schulter nehmen, könnte man sagen: Es dient ja einer guten Sache. Der DFB teilt auf Anfrage mit, die Strafgelder werden am Ende des Jahres „in mindestens gleicher Höhe (zumeist eher noch nach oben aufgestockt) an Fußball-nahe Stiftungen für wohltätige Zwecke gespendet“. Im Jahr 2022 waren es laut DFB nach Abzug von Steuern 1,75 Millionen Euro, und Schatzmeister Stephan Grunwald sagte: „Wir freuen uns, dass wir die Arbeit der Stiftungen weiter in diesem Umfang fördern können.“
Die zahlenden Klubs hingegen betrachten die Entwicklung schon länger kritisch. Carl Zeiss Jena tat sich dabei besonders hervor. Wie kann man für eine Tat bestraft werden, wenn einen keine Schuld trifft? Diese Rechtsgrundfrage warf der aktuelle Regionalligist auf und zog damit bis vor den Bundesgerichtshof. Ohne Erfolg. Und das daraufhin angerufene Bundesverfassungsgericht, das vermeldete die Bild-Zeitung diese Woche, möchte sich mit der Klage nicht befassen. Wie die taz erfuhr, ist das bereits seit Februar klar. Eine Begründung für Carl Zeiss Jena gab es nicht. Der Klageweg ist damit allen Vereinen verbaut.
Der Berliner Fananwalt René Lau bedauert das, auch weil er das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) für schwach begründet hält. Der BGH erklärte 2021, es gehe bei den DFB-Urteilen nicht um „die Ahndung und Sühne“ eines Fehlverhaltens. Es seien keine strafähnlichen Sanktionen, sondern präventive Maßnahmen, um den künftigen Spielbetrieb abzusichern. Der DFB, hält Lau dagegen, würde selbst in seinen Urteilen unverhohlen von Strafe sprechen.
Und die Verhinderung pyrotechnischer Vorfälle, die der Verband von den Vereinen im Liga-Alltag erwarte, bekäme dieser als Ausrichter des DFB-Pokalfinales selbst nicht hin. In den letzten Jahren brannte es zu diesem Anlass in den Kurven des Berliner Olympiastadions lichterloh. Lau berichtet: „Wenn ich auf Veranstaltungen DFB-Vertreter auffordere, mir drei Maßnahmen zu nennen, die eingeleitet werden sollen, um pyrotechnische Vorfälle zu verhindern, bekomme ich keine Antwort.“
Aufgestaute Energie
Die zunehmenden Zündeleien in dieser Saison taugen zudem nicht als Beweis dafür, dass der angeblich präventive Charakter der DFB-Strafen irgendeine Wirkung erzielen würde. Dabei hatte der DFB vor einem Jahr noch einmal mit Verweis auf das BGH-Urteil den Rahmen der möglichen Geldstrafen deutlich erweitert.
Anwalt René Lau hat keine Erklärung dafür, warum es in den Kurven mehr knallt, raucht und leuchtet als zuvor. Sogar bei Heimspielen zündelten nun die eigenen Anhänger, was früher eigentlich als ein Tabu galt. Matthias Stein, Fanprojektleiter in Jena, räumt ebenso eine gewisse Ratlosigkeit – auch unter den Kollegen – ein. „Da lesen wir ein bisschen im Kaffeesatz.“ Fanforscher Jonas Gabler hatte unlängst spekuliert, das Bedürfnis, über die Stränge zu schlagen, könnte mit der aufgestauten Energie in der Coronazeit zu tun haben. Außerdem könnten die Selbstregulierungskräfte der Kurve unter der Pause gelitten haben.
Die Frage ist nur, wie man mit der verfahrenen Situation, in der sich die Brandherde trotz exorbitanter Geldstrafen mehren, umgehen soll. Lau versteht nicht, warum die Verbände in Deutschland nicht in den Dialog mit den Fans treten und über Pilotprojekte nachdenken, wie sie in Frankreich oder Skandinavien praktiziert werden, wo Pyrotechnik unter strengen Auflagen gezündet werden darf.
Vor gut einem Jahrzehnt war man beim DFB schon deutlich weiter, erinnert Matthias Stein. Der damalige DFB-Sicherheitsberater Helmut Spahn saß mit der Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren“ an einem Tisch, um über Konzepte zu sprechen, wie kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik in den Stadien organisiert werden könnte, um der Gefahr von Verletzungen vorzubeugen. Die Ultras, sagt Stein, hätten sich in den Gesprächen bis an die Grenzen der Selbstverleugnung, was Ultra-Kultur ausmacht, bewegt. Nach Spahns Weggang vom DFB seien die Gespräche 2011 ohne Begründung eingestellt worden.
Unterstützung von politischer Seite
Vielleicht kommt in die erstarrte Debatte aber bald wieder etwas Bewegung. Die immer mehr zur Kasse gebetenen Vereine haben an der begrenzten Legalisierung von Pyrotechnik ein steigendes Eigeninteresse. Werder Bremens Präsident Hubertus Hess-Grunewald sprach sich in dieser Saison ebenso wie Christian Keller, Geschäftsführer vom 1. FC Köln, offen dafür aus. Der in der Ultra-Szene sozialisierte Hertha-Präsident Kay Bernstein wäre sowieso dafür.
Unterstützung dafür gibt es auch von politischer Seite. Für Testläufe der Legalisierung von Pyrotechnik haben sich bereits die sportpolitischen Sprecher der Regierungsparteien ausgesprochen. Im 2021 aufgesetzten Koalitionsvertrag der kurzlebigen rot-grün-roten Berliner Landesregierung stand gar der Satz: „Wir ermöglichen die Durchführung eines einjährigen Pilotprojekts zum sicheren Einsatz von Pyrotechnik beziehungsweise kalter Pyrotechnik bei Fußballspielen.“
Ohne die Bereitschaft der Fußballverbände wäre das aber ohnehin nicht umsetzbar. Letztlich wäre wie beim Spiel auf dem Rasen ein ergebnisorientiertes Vorgehen wünschenswert. Wenn das Einbeziehen der Ultras in die Debatte zu weniger unkontrolliertem Abbrennen von Pyrotechnik führen würde, spräche eigentlich nichts für die fruchtlose Verbotspolitik.
Oder wie es Kölns Trainer Steffen Baumgart kürzlich formulierte: „Das Problem wird so, wie wir es momentan angehen, definitiv nicht gelöst, das sehen wir jedes Wochenende. Also sollten sich vielleicht mal ein paar kluge Köpfe hinsetzen und über eine andere Strategie nachdenken.“
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