Zum Tod von Kriegsfotograf Paul Lowe: Die bosnische Tragödie hört nicht auf
Paul Lowe porträtierte Täter, Opfer, Alltag im Krieg. Seine Bilder von der „Sniper Alley“ in Sarajevo gingen um die Welt. Nun wurde er selbst getötet.
Kriegsfotograf*innen werden für ihren Mut bewundert. Sie begeben sich freiwillig zwischen die Fronten, legen sich in Schützengräben, begleiten Soldaten beim Vorrücken in besetzte Gebiete, gucken Zivilisten in die Augen, die gerade ermordet wurden oder gerade gesehen haben, wie jemand ermordet wurde, porträtieren Täter und Opfer, aber auch den Alltag im Krieg.
Sie dokumentieren die brutale Wahrheit darüber, welche entmenschlichenden Folgen menschliches Handeln hat. Viele von ihnen wollen lieber Friedensfotograf oder Zeuge genannt werden und hoffen, dass sie mit ihrer Arbeit eine abschreckende Wirkung haben: So sieht Gewalt aus, lasst es sein.
Der Brite Paul Lowe war so einer. Anfangs wurde er berühmt für seine Bilder von küssenden Pärchen vor der fallenden Berliner Mauer und vom lachenden Nelson Mandela bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Dann kamen die 1990er Jahre.
Banner bei der Miss-Sarajevo-Wahl 1993
Lowes Fotos, die Freiheit, Versöhnung, das Ende von Kaltem Krieg und sinnloser Gewalt versprachen, waren schnell vergessen. Russland marschierte in Tschetschenien ein, und Lowe war dabei, wie die Stadt Grosny in Schutt und Asche gelegt wurde. Er fuhr nach Somalia, um die dortige Hungerkatastrophe, nach Ruanda, um den dortigen Genozid zu dokumentieren.
Jugoslawien zerfledderte sich in blutigen Sezessionskriegen, und Lowe fuhr in die belagerte Stadt Sarajevo. Seine Fotos von den Zivilisten, die dort über die „Sniper Alley“ rannten – die breite Straße, auf der serbische Scharfschützen Frauen, Kinder und Alte erschossen –, gingen um die Welt, so wie die von der Miss-Sarajevo-Wahl, bei der die Models auf der Bühne ein Banner in den Händen hielten: „Don’t let them kill us“.
Hier in Sarajevo entstand auch sein berühmtestes Foto: Ein junges Mädchen in Latzhose springt auf einer leeren Straße einem Ball hinterher, den sie gerade in die Luft geworfen hat. Direkt hinter ihr auf den Straßenbahnschienen steht eine großes Kreuz aus Metallstangen. Die Schatten, die das Kind, die Häuser, das Sonnenlicht und die Panzersperre werfen, die helleren und dunkleren Flecken des Schwarz-Weiß-Fotos sind miteinander so verschränkt wie die Unbekümmertheit des spielenden Kindes mit dem durch die Panzersperre symbolisierten Krieg, der hinter jeder Hausecke lauert.
Widerstand, Mut, Humor und Kreativität dokumentieren
Lowe war Professor an der University of the Arts London, wo er auch War Studies am King’s College lehrte. Sein Bildband „Bosnians“ dokumentiert nicht nur den Krieg in Bosnien, in dem etwa 100.000 Menschen starben, sondern auch die Zeit danach. Sein mit dem Journalisten Kenneth Morrison publiziertes Buch „Reporting the Siege of Sarajevo“ setzt sich intensiv mit der Rolle der Medien in dieser Belagerung auseinander. Nachwuchsjournalist*innen Ethik in der journalistischen Dokumentation von Konflikten zu vermitteln, war sein zentrales Anliegen in den letzten Jahren.
In Interviews betonte Lowe, der eine Bosnierin geheiratet hatte und in London und Sarajevo lebte, dass es ihm nie nur darum gegangen sei, den Horror zu dokumentieren, sondern auch die Widerstandsfähigkeit, den Mut, den Humor und die Kreativität Sarajevos in seiner dunkelsten Zeit: „Es ging mir darum zu zeigen, was gewöhnliche Menschen in außergewöhnlichen Situationen tun.“
Vergangenen Samstag wurde Lowe tot in den San Gabriel Mountains bei Los Angeles gefunden. Laut Polizei sei er dort erstochen worden. Als Tatverdächtiger wurde sein Sohn, der 19-jährige Emir Abadzic Lowe, verhaftet. Laut New York Times habe die Mutter gesagt, ihr Sohn leide seit Jahren unter einer Psychose.
Paul Lowes tragischer Tod trifft ein ohnehin verunsichertes Bosnien: Nach den tödlichen Überschwemmungen vor zwei Wochen droht eine Umweltkatastrophe an der Adria. Bosnien braucht dringend Hilfe.
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