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Zum Tod von Eric HazanBewegung und Veränderung

Als Verleger und Schriftsteller dokumentierte er die Geschichte einer radikalen Linken in Frankreich. Nun ist Eric Hazan 87-jährig gestorben.

Eric Hazan Foto: H. Assouline/opale.photo/laif

Er hatte die Kraft, Steine zum Leben zu erwecken. Sein erfolgreichstes Werk, „Die Erfindung von Paris“, mit über 600 Seiten selbst so etwas wie ein Backstein, zeichnet sich durch eine Leichtigkeit und Anschaulichkeit aus, durch die man die französische Hauptstadt komplett neu erfahren kann. Eric Hazan, der Autor des Buches, beschreibt darin die Entstehung von Paris als eine Reihe von Aufständen und Repressionen.

Die Revolutionen von 1830 und 1848 sowie vor allem die Pariser Kommune von 1871 zeichnen für Hazan die Geografie der Stadt und seien bis heute in ihrer Architektur und in der Haltung ihrer Menschen zu finden. Wer mit dem dicken Wälzer einen Streifzug durch das gegenwärtige Paris macht, wird einerseits an die Vergangenheit erinnert, entwirft aber vor seinem inneren Auge auch das Bild einer Stadt in Bewegung und Veränderung.

Bewegung und Veränderung sind Sinnbilder für Eric Hazan. 1936, in der Woche, als die Spanische Revolution ausbrach, wurde er in Paris als Sohn einer staatenlosen Palästinenserin und eines ägyptischen Juden geboren. Früh engagierte er sich politisch und stand während des Algerienkriegs aufseiten des algerischen Freiheitskampfes und verarztete französische Deserteure. Später ging er als ausgebildeter Herzchirurg inmitten des Krieges in den Libanon, um dort linken Palästinensern als Arzt zur Seite zu stehen.

Doch sollte die Welt der Bücher und der Geschichte sein Leben bestimmen. Nachdem er einen gut dotierten Arztjob an den Nagel hängte, gründete Hazan 1998 den Verlag „Éditions La Fabrique“ und begann selbst zu schreiben. „La Fabrique“ avancierte zum wohl einflussreichsten linksradikalen Verlag in Frankreich, dessen Bücher in allen wichtigen Buchhandlungen – egal ob links oder rechts – zu finden sind. Neben Büchern von Jacques Rancière, Silvia Federici oder Alain Badiou erregte vor allem die Herausgabe von „Der kommende Aufstand“ 2009 große Aufmerksamkeit. 50.000 Exemplare wurden verkauft, dank der unfreiwilligen Werbung des französischen Innenministeriums, das im Buch eine terroristische Bedrohung erkannt zu haben glaubte.

Die Geschichte von Paris

Hazans eigene Bücher – neben der Geschichte von Paris hat er sich unter anderem mit der Französischen Revolution und in „Die Dynamik der Revolte“ mit vergangenen und kommenden Aufständen auseinandergesetzt – zeichnen sich allesamt durch historischen Kenntnisreichtum und klare Subjektivität aus. Viele lesen sich wie Manifeste. Zudem positionierte er sich als Intellektueller immer wieder öffentlich.

So stand er 2005 aufseiten des Aufstands in den französischen Banlieues, sprach sich gegen Rassismus und Antisemitismus aus und solidarisierte sich zuletzt noch mit den Gelbwesten. Als Historiker und Beteiligter der radikalen Linken fehlt nun seine Stimme über deren Errungenschaften, Chancen und Niederlagen. Nach langer Krankheit ist Eric Hazan am 6. Juni 2024 mit 87 Jahren verstorben.

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