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Gelbwesten-Protest in FrankreichVermachtete Strukturen

Frankreich zeigt dieser Tage sein verzweifeltes Gesicht. Hinter den Fassaden driften die Lebenswelten schon lange auseinander. Das Land ist kaputt.

Die da oben, die da unten: Machtstrukturen zerstören die französische Gesellschaft Foto: Unsplash/ Pedro Lastra

Ist die Jugend auf der Straße, dräut Gefahr. Das wussten schon in den 1950er Jahren die französischen Lettristen, die, um von sich reden zu machen, im Quartier Latin plakatierten, eine Jugendfront werde antreten, um die Straßen zu erobern. Seit 1968 nimmt man das Ernst. Bilder wie die aus Mantes-la-Jolie, wo die französische Polizei in der vergangenen Woche Gymnasiasten mit den Händen auf dem Kopf in die Knie zwang, belegen das auf erschreckende Art.

In Frankreich vergleicht man in diesen Tagen den Aufstand der Gelbwesten gerne mit 1968. Von mehr als 2.000 Verhaftungen war zuletzt die Rede. 1968 seien es nicht einmal in der Nacht der Barrikaden, am 10. Mai, mehr als 300 gewesen, konnte man in der Libération lesen.

Auch die Aufstände der Banlieue-Jugendlichen von 2005 und 2007 werden gerne als Referenz herangezogen. Einige sehen gar den Brotaufstand von 1789 wiederkehren: Damals das Brot, heute das Benzin. Solcherlei Komplexitätsreduktion kommt freilich nur aus den Lautsprechern jener Romantiker, die auch angesichts eines Bürgerkrieges noch von der großen Revolution träumen würden.

Von der Befreiung zur verschlossenen Situation

Der Philosoph Toni Negri kommentierte die Gelbwestenproteste recht zurückhaltend. 1968, 2007 – das seien Kämpfe im Zeichen der Befreiung gewesen. „Die aber von 2018 haben ein verzweifeltes ­Gesicht“, schrieb er letzte Woche. „'68 heißt 10 Millionen Industrie-Arbeitende im Streik, ein Sturm auf dem Höhepunkt der Entwicklung und des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit. Hier und heute ist die Situation verschlossen.“

Aktueller Protest

Vor neuen Protesten der Gelbwesten hat sich die Polizei in Paris wieder auf Krawalle eingestellt. Tausende Beamte waren am Samstag in der französischen Hauptstadt im Einsatz, bereits am Vormittag wurden 21 Personen festgenommen, wie die Polizei mitteilte. (ap)

Auf die immer wieder gestellte Frage, wer die Leute sind, die bisher weder von den rechten noch von den linken Parteien repräsentiert werden, was also das Verbindende ihrer doch recht heterogenen Forderungen ist, gab Negri die präziseste Antwort: „Es handelt sich um die verarmte Mittelklasse, die mit der traditionellen Organisationsweise der Produktion verbunden ist, die unlängst neoliberal dynamisiert wurde und dennoch weniger wertgeschätzt wird als die Sektoren der urbanen Dienstleistungen und der ‚kognitiven‘ Produktion.“ Freisetzung und fehlende Anerkennung also.

Auch Frédéric Gros, Philosoph und Herausgeber der Vorlesungen Michel Foucaults, verwies auf den Abstieg der Mittelschicht und meinte: „Wir bezahlen für die systematische Zerstörung des Gemeinsamen der letzten dreißig Jahre.“ Radikaler Sozialabbau, Perspektiv­losigkeit für die jungen Generationen, eine forcierte Modernisierung – all das habe Wut erzeugt.

Schon lange erweist sich in Frankreich der Mangel an mittelständischen Betrieben als Problem, die Mittelschicht ist längst nicht so stabil wie in Deutschland. Unterhalb der Großkonzerne gibt es nicht viel. Dort dominiert das am Binnenmarkt orientierte Dienstleistungsgewerbe. Der Norden Frankreichs ist eine deindustrialisierte Zone, der traditionell arme Süden wurde aufgewertet durch Luxustourismus und Luxusimmobiliengeschäft. Es ist nicht unüblich, dass die Menschen dort den Sommer im Wohnwagen verbringen und ihr Haus derweil an Touristen vermieten, um über die Runden zu kommen. Das Fleisch wird im Winter gekauft und tiefgefroren, weil es im Sommer viel zu teuer ist, wenn die Touristen kommen.

Was das Verdrängte mit der Gesellschaft macht

In Paris, wo sich die Unterschiede verdichten, kann man schon sehr lange das Gefühl haben, dass ein Funke reicht, um alles zum Brennen zu bringen. Virginie Despentes’ Romane erzählen von der Angst der Verlierer und der Gewalt, die sich tief in die Subjekte eingeschrieben hat. Auch Alexis Jenni spricht davon. „Die französische Kunst des Krieges“ heißt sein Romandebüt, für das er vor sieben Jahren den höchsten Literaturpreis Frankreichs, den Prix Goncourt, bekommen hat.

Der Titel ist wörtlich zu nehmen. Als militaristisch beschreibt Jenni die Fünfte Republik – hervorgegangen aus dem Putsch, dem Krieg, aus Niederlage, Verleugnung und Lüge. Am Anfang stand General de Gaulle, und es ist eine Tragödie, dass einige Gelbwesten heute wieder nach einem General, nach dem ehemaligen Militärstabschef ­Pierre de Villiers, rufen. Man kann darüber streiten, was das Verdrängte mit einer Gesellschaft macht, Jenni kehrt es hervor und spricht von einem zwanzigjährigen Krieg. Von Verbrechen in den Jahren 1942 bis 1962, die bis heute nahezu unthematisiert geblieben sind: ­Vichy, Indochina, Algerien. Frankreich ist heroisch in der Lüge.

In Paris muss man nur einmal von St. Germain nach Montmartre und dann über die Porte de la Chapelle raus nach St. Denis fahren, um zu verstehen: Diese französische Gesellschaft ist kaputt. Und diese Route ist bei Weitem nicht die einzige, die vor Augen führt, wie in dieser Stadt, in diesem Land, Lebensrealitäten komplett unvermittelt nebeneinander existieren.

Ein Affront, der mit verkochtem Brokkoli bestraft wird, dem man nicht einmal das Salz gegönnt hat

In St. Germain würden nicht einmal drei sogenannte Erwerbsleben im durchschnittlichen Einkommensbereich reichen, um ein Appartement zu bezahlen. Wer dort noch lebt und arbeitet, tut dies in einer Art Zeitbubble aus einem anderen Jahrhundert. Diese Blase für eine Kulisse für luxusorientierte Tourist*innen zu halten, wäre ein Fehler. Die alte bourgeoise Lebensform, die dort und nicht nur dort praktiziert wird, ist mit ganz realen Verhältnissen zwischen Herren und Knechten verbunden.

Beharren auf der richtigen Lebensweise

Vermachtete Kommunikationsformen, nutzlose Hierarchien, man muss nicht hochsensibel sein, um das sehr genau zu spüren. Ein merkwürdiges Beharren auf der richtigen Lebensweise miteingeschlossen. Man versuche nur einmal in einem der traditionsreichen Cafés am Boulevard ein vegetarisches Essen zu bestellen. Ein Affront, der mit verkochtem Brokkoli bestraft wird, dem man nicht einmal das Salz gegönnt hat.

Immobilien, Kunst und Luxus können sich freilich auch die neuen Reichen aus den Schwellenländern leisten, jene Profiteure einer Art ursprünglicher Akkumulation in der ausgelagerten Massenproduktion, die in Paris mit SUV und asiatischem Personal vorfährt. Auch so ein Affront für die alteingesessene Bourgeoisie – dort, wo ein Antoine Gallimard, der das altehrwürdige Verlagshaus Gallimard leitet, nicht einmal mit jedem seiner Starautoren spricht.

Die Macht kommuniziert nicht. Das scheint auch die Idee der politischen Klasse Frankreichs, die sich weitgehend aus der Bourgeoisie zusammensetzt und nicht einmal regelmäßige Pressekonferenzen gibt. Kommunikation ist hier eine Sache zwischen Chef und Einbestellten, etwas, was beherrscht werden muss. Deshalb hat es so lange gedauert, bis Macron auf die Proteste reagiert hat. Der Staat lässt sich nicht auf Diskussionen ein. Die Demonstrierenden auch nicht. Sie lassen die Barrikaden sprechen. Auch so eine französische Tradition.

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21 Kommentare

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  • Ich denke wie mein Vorkommentator, dass Frankreich nicht kaputt ist. Trotz aller Wirtschafts- und Sozialprobleme ist Frankreich viel lebendiger als das in Lethargie und Selbstvergötzung erstarrte Deutschland. In Deutschland ist der Rechtsnationalismus die derzeitig einzige Projektionsfläche, an der sich die radikale Mitte abarbeitet. Das stabilisiert das herrschende neoliberale System und spaltet die Gesellschaft. Und das ohne Widerstand, der in Frankreich hoffentlich eine neue Dimension erreichen wird. Selbst die starre Parteiführung der Linken beobachtet die Entwicklung mit Skepsis. Bedeutet doch der Widerstand der Gelbwesten auch eine Abkehr von alten Integrations- und Machtstrukturen. Das kann man als Umbruch bezeichnen. Für BerufspolitikerInnen und Apparatschiks ein Horror. Da klammern sie sich dann an Kampfbegriffe wie Populismus etc. Die Französinnen und Franzosen scheinen da reifer zu sein. Kampfgase, Wasserwerfer oder Polizeiknüppel werden das nicht ändern.

    • @Rolf B.:

      "der Rechtsnationalismus (...) stabilisiert das herrschende neoliberale System und spaltet die Gesellschaft."

      Eher das Gegenteil. Der Rechtsnationalismus steht dem Neoliberalismus im Weg, da er durch diesen eingeschränkt wird. Das neoliberale System, also die Herrschaft der internationalen Banken und Großkonzerne über die Politik, ist auf Globalisierung angewiesen, also freien Verkehr von Kapital, Gütern und Arbeitskräften. Hier kommt dem Neoliberalismus die "no borders, no nations"-Philosophie der radikalen Linken entgegen. Diese machen sich ungewollt zu Sützen, Steigbügelhaltern und Frontkämpfern des Neoliberalismus. Das Schlimmste für all die Neoliberalen ist ein Trump, eine Le Pen oder eine AfD, die Mauern errichten, Migration unterbinden, den Freihandel einschränken und die Autonomie der Nationalstaaten stärken. Deswegen werden diese Leute auch so vehement bekämpft. Sie sind schlecht für's ganz große Geschäft.

      Dabei kann Protektionismus auch für diverse Entwicklungsländer durchaus sinnvoll sein, um die heimische Wirtschaft vor den Global Playern zu schützen, Stichwort "fair trade". Haben die Großkonzerne natürlich kein Interesse dran und impfen das auch jedem Sozial- oder Christdemokraten ein, der in irgendeiner Form Regierungsverantwortung hat. Irgendwelche Revoluzzer, die dieses System ausbremsen wollen, kommen in solchen Parteien gar nicht in die Entscheider-Positionen. Da wird vorher schön aussortiert.

      Die Perfidie am grenzenlosen Freihandel ist ja sein gnadenloser Darwinismus und seine radikale "Winner takes it all"-Mentalität. In freier Wildbahn der entgrenzten und deregulierten Welt herrscht das Recht des Stärkeren, der den ganzen Gewinn abschöpft.

      • @Jan:

        Ich stimme Ihnen vollumfänglich zu. Mit Stabilisierung meinte ich eben die Projektionsfläche AfD, die als Ursache allen Übels dargestellt wird und von den wahren Ursachen ablenkt. Es wird ja über nichts Wesentliches mehr diskutiert.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Die Forderungen vieler Gelbwesten nach partizipativer Demokratie und Steuergerechtigkeit sind linke Forderungen, auch wenn die Gelbwesten zurecht misstrauisch gegen die parlamentarische Linke sind. Hat nicht ein angeblich linker Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf 2012 gesagt, " mein Feind ist die Hochfinanz!" Und nachdem er gewählt wurde, Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister nominiert?



    Das Land ist nicht kaputt, sondern ist im Umbruch und hoffentlich im Aufbruch. Macron ist nur eine Übergangslösung in etwas anderes..Er ist angetreten, etwas Neues zu schaffen, und er ist dabei etwas Neues zu schaffen, aber nicht das, was er wollte, sondern etwas, das sich gegen ihn entwickelt, denn, das Neue, was er schaffen wollte, hatte er ja nie definiert, er hat es immer beschworen, ihm aber nie genaue Konturen geben können, weil es in seinem Mund nur eine Fabelgestalt war; indem er aber den Neoliberalismus auf den Höhepunkt trieb, hat er die Voraussetzung für eine dieser Ideologie diametral entgegenlaufende Umwälzung der Gesellschaft geschaffen. Das Volk hat den Schwindel erkannt, jetzt gilt es dem Spuk ein Ende zu bereiten.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Da würde ich widersprechen, die französische Hochfinanz ist immanent für Frankreich, zumindest so wie es jetzt noch agiert, wer sorgt denn für die Finanzierung der ganzen Abenteuer in Afrique-Occidentale française? BNP oder SoGen.

      Und das gibt denen einen unglaublichen Einfluß...

  • Ich bin nachwievor der ansicht,dass nun die historische stunde geschlagen hat,in der es zum ersten mal seit langer zeit real möglich ist die tyrannis der neoliberalen ideologie und die dominanz oligarchisch-plutokratischer prokapitalistischer strukturen und eliten zu brechen.und zwar so gründlich zu brechen und zu zerbrechen dass sie in den nächsten 50 jahren nicht wieder hochkommen kann.



    der widerstand der griechen konnte gebrochen werden,weil griechenland zu erpressbar war .



    auch auf der iberischen halbinsel konnte der aufstand gegen den neoliberalismus nicht erfolgreich sein ,weil der feind zu stark war.



    in frankreich stösst der neoliberalismus zum ersten mal auf eine macht die er nicht brechen kann und an der er folglich zerbrechen wird.



    der tod aller neoliberalen institutionen der EU ist jetzt nur noch eine frage der zeit.

  • Ja ja - das angeblich Neoliberale Frankreich. LOL.

    Ein Neoliberaler Staat in dem sich kürzlich Bühnenarbeiter einen lebenslangen Kündigungsschutz erstreikten (wahrlich die tragende Säule der Wirtschaft), indem man sich ohne was zu tun Jahrzehnte lang die Kohle überweisen lassen kann in die Vorstädte,...

    Lachhaft.

    Das Land ist seinem Sozialstaat zum Opfer gefallen.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Wombat:

      Was ist schlecht daran?



      " Das Land ist seinem Sozialstaat zum Opfer gefallen."



      Das Land ist seinen Steuerhinterziehern zum Opfer gefallen(80Milliarden € pro Jahr)



      Also doch Neoliberalismus, dessen Definition doch ist: Geringe oder gar keine Steuern, auch wenn der Staat daran kaputt geht. Stichwort, kaputte Schulklos in Deutschland.

  • Frankreich leistet sich auch eine adelige Staatelite (Bourdieu), die praktisch immer regiert, nur unter wechselnden Fahnen und mit wechselnden Philosophien und Ideologien.

    Die 'Normalos' schaffen die Aufnahmeprüfungen auf die Elite-Hochschulen in der Regel nicht. Und wenn, dann haben sie eine Mutter, die Lehrerin ist und sie zuhause militärisch auf Erfolg gedrillt hat.

    Dass Frankreich jetzt eine Protestwelle von Durchschnittsfranzosen erlebt, nachdem Macron die bürgerlichen und linken Parteien an die Wand gedrückt hat, ist kein Wunder.

    Es fehlt schlichtweg eine ideologische Orientierung. Macron ist nur Macron, es ist eine neoliberale Vision eines Wahlvereins, der auf eine einzige Person ausgerichtet ist.

    Gegen Macron war Hollande sogar regelrecht volksnah, aber auch er ließ die Menschen hängen, enttäuschte viele Erwartungen.

    Ich glaube, die französische Gesellschaft kann durch Politik nicht gerettet werden, weil die Politik nur Rahmenbedingungen setzt und die sind wachstumshemmend, sie sind aber europäisch auch abhängig von Deutschland und anderen Ländern, die wirtschaftlich gut zurecht kommen, aber wenigstens im Falle Deutschlands sich 12 Mio. Arme leisten.

    Das droht Frankreich auch. Als vor 30 jahren wieder Arme auftauchten, hießen sie "les nouveaux pauvres", heute ist die Armut alt, in vielen Vorstädten von Paris gibt es Arbeitslosenquoten von 60 Prozent, bei Jugendlichen sogar bis 80 Prozent. Und daran stört sich kaum jemand, außer die Jugendlichen randalieren, dann kontrollieren Fallschirmjäger vor dem Louvre mit echten Waffen.

  • Eine überlegte Beschreibung der französischen Kultur und Soziologie, die auch beherzt auf persönliche Beobachtungen zurückgreift. Es fehlt aber ein sehr großer Baustein der französischen Gesellschaft: die professionell eingebundene, qualifizierte und demokratisch engagierte, proeuropäsiche Mittelschicht, die sogar sehr gut Englisch spricht - also nicht die elegante Kulturbourgeoise, über die man als Ausländer staunt, auch nicht die teils kommunistische, teils nationalistische Arbeiterklasse, vor der man kopfschüttelnd wegläuft. Diese moderne Mittelschicht wird meist übersehen, ist aber mittlerweile überall in Frankreich prägend, sie erklärt den überraschenden Erfolg und die pragmatische politische Kultur einer Bewegung wie En Marche.

    • @Mark2013:

      En Marche hat genau die gleichen Fehler gemacht wie die traditionellen Parteien. Alles wird in Paris entschieden. Und bei En Marche ist Macron zum heiligen Emmanuel mutiert und aus einer hoffungsvollen neuen demokratischen Bewwegung ist eine quasi-religiöse Bewegung des Macronismus geworden. Schade. Die Konsequenz wird sein, dass Frau LePen im nächsten Jahr die stärkste Fraktion im Strassburger Parlament stellen wird.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wieso denn in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah? Als Objekt der Betrachtung empfiehlt sich das hiesige Land gleichermaßen.

    Allerdings mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: die Insassen, sprich: Bewohner. Der streitfreudige Henri und der schlafmützige deutsche Michel haben wenig gemein außer biologischen Merkmalen. Das deutsche 1789 fehlt bis heute.

    Mer könne ja eh nix mache. (Nach Diktat in Schreikrampf verfallen.)

  • Treffender Titel und treffendes Resumée: Das Land ist kaputt.



    Vor allem aber ist Frankreich schon seit ewigen Zeiten so reformunwillig und reformunfähig, dass man Napoleon (den "wahren") und DeGaulle als letzte echte Reformer bezeichnen muss. Seit dem hat sich in F eine ausgeprägte "Dagegen-Kultur" etabliert; gepaart mit dem Unwillen oder der Unfähigkeit, selbst im kleinen etwas wirklich ändern zu wollen ist das das schleichende Gift, was die französische Gesellschaft kaputt macht. Die Schuld haben natürlich immer die anderen, sei es Europa, die Deutschen, die Reichen, oder aber diejenigen, die die Probleme beim Namen nennen und etwas ändern wollen.



    Banales Beispiel aus der franz. Provinz: Vor unserer Wohnung gibt es eine sehr autofreundliche Ampel, um diese etwas fussgängerfreundlicher zu gestalten wurden Gespräche mit dem Bürgermeister, 2 (von 20...) stellvertretenden Bürgermeistern geführt, mit den zuständigen Sachbearbeitern und Abteilungsleitern im Rathaus (letzter wohnt im gleichen Haus): Ohne Erfolg, fast alle gehen bei Rot über die Ampel und inzwischen gehöre ich auch dazu.



    Frankreich ist nicht reformierbar - und wird sich weiter kaputt machen und sein grosses Talent weiter verschwenden: Macron's Reförmchen sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Felsen.



    Ohne einen neuen Diktator, der die Massen hinter sich bringt wird da wenig passieren. Nur: 100 Jahre vor den beiden Weltkriegen hat der kleine Napoleon auch halb Europa in Schutt und Asche gelegt. Das vergisst man hier gerne...

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Andre Marg:

      Sie wissen sicherlich: wer hier das Wort 'Diktatur' als Modell in die Tasten haut, wird verbale Schläge ernten.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Freue mich auf bessere Vorschläge für Frankreich... hatte mich auch voll der Hoffnung auf eine neue Bürgerbewegung (nach Europe Ecologie) gefreut. Die Ernüchterung war schockierend. Ebenso seinerzeit der Vereinigungsparteitag zwischen Europe Ecologie und Les Verts in Lyon: Kernkompetenz der EELV war dann die guten Leute rauszuekeln und sich selbst ordentlich zu diskreditieren (bzw zu lassen), so dass grüne Gruppen in F in absehbarer zeit hier gar nicht mehr anzutreten brauchen, ausser, die bekommen Hulot nochmal in die Politik, aber seine Leistung als Umweltminister war mehr als mässig...

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Andre Marg:

          Ich verfüge in Sachen Frankreich allenfalls über ein solides Halbwissen. Nicht geeignet, um in Detailfragen einzusteigen.

          Aber ich weiß, dass es mir ähnlich erging wie Ihnen. Vielleicht weil ich über Macrons Herkunft zu wenig wusste. Seit dieses Manko abgestellt ist, ist mir bewusst, was von ihm zu erwarten ist - und was nicht. Enttäuschungen werden jetzt nicht mehr so schnell eintreten.

          Nochmals zur Frage der Diktatur: ich stöhne und schimpfe oft über die bekannten Demokratien. Wenn ich dann aber an Diktaturen denke, halte ich mich lieber an dem Wenigen fest, als mir das noch Wenigere herbeizuwünschen.

          Meine Wünsche sehen grundlegend anders aus. KEINE MACHT FÜR NIEMAND.

  • Zitat:



    "Wir bezahlen für die systematische Zerstörung des Gemeinsamen der letzten dreißig Jahre.“ Radikaler Sozialabbau, Perspektiv­losigkeit für die jungen Generationen, eine forcierte Modernisierung – all das habe Wut erzeugt.



    Schon lange erweist sich in Frankreich der Mangel an mittelständischen Betrieben als Problem, die Mittelschichtist längst nicht so stabilwie in Deutschland."



    Liest sich wie über Ostdeutschland. Wenn man das endlich begreift, dann versteht man auch die schleichende Radikalisierung hier und sollte ebenfalls einsehen, dass die ständige Beschimpfung diese nicht aufhalten wird. Nur ein Anerkennen der Angehängten und eine Verbesserung deren sozialer Situation und die Rückkehr von Hoffnung, wird sie aus den Fängen der Afd befreien.

  • "Die Macht kommuniziert nicht."Zitat

    Richtig,man unterhält sich nur mit Standesgemäßen und schweigt ansonsten,denn es scheint sich etabliert zu haben,dass wer reich ist,sich vor niemandem mehr rechtfertigen muss.



    Das einzige was einen vom Willen anderer in dieser Welt wirklich erlösen kann, ist Unabhängigkeit durch Reichtum.



    Und wenn die Reichen es dabei beließen,dann hätte ich sogar vor dem Ansinnen reich sein zu wollen Respekt,aber leider bleibt es dabei nicht.



    Stattdessen lassen sich die meisten Reichen zur Protzerei,was nicht schlimm, nur niveaulos wäre,und zur genußvollen Willensdiktatur über andere hinreißen.



    Und hier kommen wir in wirklich gefährliches Fahrwasser.



    Endlich einmal befehlen können,sich endlich nach Herzenslust produzieren können.



    Hierarchien funktionieren in anderen Systemen auch,mit dem Nachteil,dass der Mensch bei irgendeinem "Verein" dann jedoch mitmachen muss,von dem er seine Macht geliehen bekommt.Also keine wirkliche Freiheit sondern nur etwas weniger Unfreiheit,die man durch Gewalt und Willkür gegen schwächere wieder kompensiert.

  • Sehr gut beobachtet und beschrieben !

  • Klingt sehr treffend. Der Autor scheint aber auch nicht weit ueber seinen Dunstkreis in der Pariser Kernstadt hinausgekommen zu sein.



    Welche Rolle spielt eigentlich das anstrengungslose Einkommen in Form selbstgenutzer Eigentumswohnungen in Paris, ggf. mit guenstigem Anwohnerparken verbunden, und steurlich beguenstigt; ggü. den voll besteuerten Lohneinkuenften der Arbeiterklasse, die ein Kaffee in Paris nicht nur 10 Euro netto fuer Parken und Gaststaette kostet, sondern nochmal mehr als 10 Euro fuer die vorher abgezogenen Steuern.