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Zukunft des urbanen VerkehrsDie Stadt als Ort des Experiments

Kommentar von Georg Diez

Autos, Räder, Roller: Lange schon wird über das Miteinander im Verkehr diskutiert. Das Ergebnis sind Verbote. Was fehlt, ist eine urbane Vision.

Viele Berliner*innen wollen eine autofreie Zukunft – wäre das machbar? Foto: imago images/Klaus Martin Höfer

S tädte sind Orte der Zivilisation, der Freiheit, der Versöhnung. In Städten bildet sich ein Gefühl für Verantwortung heraus, für die anderen, das Gemeinsame – schon weil es notwendig ist, um auf engem Raum miteinander auszukommen; Städte sind aber auch Orte des Konflikts, der Gegensätze, der Zuspitzung von Entwicklungen und Bedrohungen, die an anderen Stellen der Gesellschaft nicht ganz so offen zutage treten. Berlin zum Beispiel.

Ich wohne nicht weit von dem Ort, an dem am vergangenen Freitag ein Porsche Macan mit hoher Geschwindigkeit auf den Bürgersteig raste und vier Menschen tötete, darunter ein Kleinkind. In den vergangenen Monaten sind damit in meiner nächsten Umgebung fünf Menschen von Autos getötet worden, und eine Fahrradfahrerin wurde, Minuten nachdem ich dort vorbeigefahren war, von einem Lastwagen schwer verletzt, an der Kreuzung, die meine Kinder Tag für Tag überqueren. Die Diskussionen begannen über Sinn und Unsinn von SUVs in der Stadt: Braucht es 300 PS oder mehr und wenn ja, wozu – vor allem, wenn man weiß, dass Unfälle mit SUVs doppelt so tödlich sind?

Plausible Fragen, könnte man meinen; aber plausibel oder gar vernünftig ist wenig in diesen Zeiten. Man solle diesen Unfall nicht instrumentalisieren, sagten die, die sonst jede Meinung interessant finden, vor allem, wenn sie von sehr weit rechts kommt – in ihrer Aufgeregtheit klangen sie wie Lobbyisten der amerikanischen Waffenorganisation NRA, die noch jeden Amoklauf dazu nutzen, um eine Diskussion über Waffenbesitz zu verhindern.

Aber vielleicht steckt etwas anderes hinter dieser allergischen Reaktion, vernünftige Fragen zu stellen. Viele, auch das hat sich nach dem Unfall gezeigt, sehen Autos tatsächlich als Waffen. Doch eigentlich geht es in dem Streit wohl um etwas Grundsätzliches: um eine soziale und ökonomische Gemengelage, in der Fragen von Differenz eine Rolle spielen, von Abgrenzung gegen Veränderung, gegen das Gemeinsame, ein Morgen. PS als politisches Statement. Benzinvernebelte Identitätspolitik.

Und weil wir in einem ideologischen Durcheinander leben, ist nicht immer ganz klar, wie sich das alles parteipolitisch darstellt. Die Gelbwesten in Frankreich waren ja nicht durchwegs rechts oder reaktionär, oft sogar im Gegenteil, sie waren im Widerstand gegen eine Politik der Ungleichheit, der Umverteilung von unten nach oben, der neoliberalen Ignoranz – trotzdem, der Zukunft zugewandt waren sie auch nicht, genauso wenig wie die norwegischen Wähler, die die Wahl diese Woche zu einer Abstimmung übers Autofahren gemacht und damit auch dort die politische Landschaft verändert haben.

BMW verkaufte so viele SUVs wie nie

Wenn er aber nicht klar politisch zuzuordnen ist – wofür steht dieser Konflikt dann? Woher kommt diese Wut von Autofahrern auf die Radfahrer, von Radfahrern auf Autofahrer, von Fußgängern auf alle – überhaupt von allen auf alle?

Was klar ist: Der Konflikt der Pendler ist vom Land in die Stadt gekommen – es zeigen sich hier die Bruchlinien zweier Zeiten. Auf der einen Seite das komplett entgleiste Öl- und Automobilzeitalter des 20. Jahrhunderts, vorangetrieben vor allem von den Reichen und Wohlhabenden, die viel fliegen und schwere Autos fahren; und auf der anderen Seite das Zeitalter der alternativen Energien, der Pedalkraft, der verantwortungsvollen Mobilität des 21. Jahrhunderts. Diese chronopolitische Konfliktlinie, die die Gesellschaft durchzieht, erklärt wohl auch die Angst und Aggression, mit der diese Diskussion gerade von denen geführt wird, die keine Veränderung wollen – oder das Gefühl haben, sich diese Veränderung nicht leisten zu können.

Andererseits: BMW verkaufte im vergangenen Monat so viele SUVs wie noch nie – der Verkauf von elektrischen Autos stockt dagegen. Das ist natürlich absurd. Ich habe keine Lust, auf das Ende der deutschen Automobilindustrie zu warten; ich habe aber auch keine Lust, ihnen dabei zuzusehen, wie sie die Städte und den Planeten kurz und klein fahren. Was also ist zu tun? Ich finde ja die Diskussion über Verbote nicht hilfreich. Erstens, weil es keine Verbote sind, sondern Regelungen, wie sie im Straßenverkehr oft genug vorkommen, oder wann sind Sie das letzte Mal betrunken gefahren, eine Gefahr für sich und andere? Und zweitens, weil es das Lösungsspektrum verengt; im Grunde ist Scham ja immer noch ein sehr starker menschlicher Antrieb, die Veränderung gesellschaftlicher Normen ist sehr wirkungsvoll und geht effektiver Gesetzgebung oft voraus. In Berlin zirkulieren schon Aufkleber gegen SUVs, auf denen steht: Zu Fett.

Das sind die Schlachten von gestern

Ich glaube, dass es gerade einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess gibt, die Panik der PS-Besitzstandswahrer würde das nahelegen. Aber das sind die Schlachten von gestern. Was heute in einer Stadt wie Berlin zu sehen ist, ist das Versagen einer Verwaltung, überhaupt das Richtige zu tun. Die Stadt als Ort der Zukunft zu sehen und gestalten.

Die Konfliktlinien sind also da; was fehlt, sind die Antworten. Was fehlt, ist eine Perspektive in Architektur und Städtebau, was fehlt, sind Pläne, wie man etwa Parkplätze für Urban Farming verwenden könnte. Was fehlt, ist eine urbane Vision, in der Autos einen untergeordneten Platz haben, weil es ganz andere Möglichkeiten gibt, die Stadt als gemeinsamen Ort zu sehen und zu behandeln. Die Diskussion über Verbote lenkt im Grunde nur von den eigentlichen Herausforderungen ab. Auch die Verwaltung hängt im fossilen Zeitalter fest. Das gilt in Berlin und darüber hinaus. Die Stadt als Ort des Experiments muss sich auf der Ebene des Verkehrs erst noch definieren.

Eigentlich wäre das eine ganz klare progressive Agenda. Ein Green New Deal für den Verkehr. Sucht die SPD nicht gerade nach einem Programm? Suchen nicht fast alle Parteien gerade nach Ideen?

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18 Kommentare

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  • Ich will kein Experimentieren mehr.

    Ich will dass endlich bewährte Konzepte wie sie in den Niederlanden, in Dänemark (Kopenhagen) oder Wien (365 Euro Ticket) endlich auch in Deutschland in breiter Fläche Fuß fassen.

    „Experimentieren (= kein Geld investieren) und ganz ganz toll und das SUV böse finden reicht nicht mehr in Zeiten des Klimawandels.

    Man muss insbesondere den Rot/Rot/Grün regierten Kommunen und Bundesländer kräftig auf die Füße treten. Schließlich stellen diese sich immer bei Wahlen als Protagonisten dar.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Massive Erhöhung der Parkplatz- und Parkhausgebühren auch für Anwohner. Ausweitung von reinen Anwohnerparkplätzen. Reduzierung von innerstädtischen Parkplätzen. Sichere Parkplatzangebote am Stadtrand für park and ride. Strassen zu Radwegen mit Gastfahrlaubnis, d.h. Fahrräder, Roller, Scooter und Fußgänger haben Vorfahrt.



    Weg von der agressiven Hass-, Häme- und Neidgesellschaft.

    • @05653 (Profil gelöscht):

      Wie soll das denn klappen? Die Umwelt als Lebensgrundlage ist den meisten Menschen doch schon völlig wumpe, wieso soll's bei missliebigen Autos besser gehen?



      Die, die diese Dinger fahren, haben genug Geld. Alles andere ist denen doch vollkommen wurscht – aber so was von.

  • Solange eine vernünftige Infrastruktur fehlt, kann man über Autos so viel schimpfen wie man will. Sie werden schlicht und ergreifend gebraucht. Warum Unfälle mit einem SUV doppelt tödlich sind erschließt sich mir aber trotzdem nicht, werden die Opfer da reanimiert und noch einmal überfahren?

    • @Zven:

      Die Unfälle sind gefährlicher, weil die SUVs höher liegen und schwerer sind.



      Ein normaler PKW trifft, wenn er mich von der Seite anfährt, zuerst das Bein oder das Fahrrad, ein SUV trifft die Hüfte oder den Torso. Bei manchen Kleinwagen rutschen sie über die Knautschzone.



      Außerdem fahren die meisten SUVs dezent nachlässig. Man fühlt sich schon recht sicher darin...

    • @Zven:

      Jein, so lange es relativ billig ist bzw. subventioniert wird, Autos als normal gelten, sie bequem sind, werden die Dinger auch gefahren, weil sie für die meisten bequemer sind. ÖPNV, Bahn und Fahrrad können bereits jetzt von viel mehr genutzt werden. Sie sind bereits jetzt günstiger.



      Sicher mag es für einige schwierig sein, Autonutzung zu umgehen. Autos werden aber andererseits häufig aus Gründen der Bequemlichkeit verwendet und weil mensch sie eben hat. Auch an den Wochenenden fahren noch relativ viele Autos in den Städten herum. Und nein, dass sind sicher nicht alles Arbeitnehmer*innen, die nicht mit den Fahrrädern/ÖPNV von/zur Arbeit kämen.



      In einer Doku wurde mal ein kleiner Schornsteinfeger*innenbetrieb gezeigt, der von Autos auf Cargobikes umstellte. Ich denke schon, dass mensch bereits jetzt etwas verändern könnte, wenn mensch den W O L L T E.



      Es gibt auch Berichte/Bücher, die aus bspw. Famillienperspektive auf dem Land (!) beleuchten, wie sie es geschafft haben, ihr Leben autofrei zu gestalten.



      ...

  • Also ich bin auch kein SUV-Fan und denke wir sollten die Dinger definitiv teurer machen und vielleicht auch aus bestimmten Gebierten aussperren. Und einen Green New Deal als politisches Projekt könnte glaube ich eh einige unserer Probleme lösen, nicht nur wirtschaftliche und ökologische, aber ich glaub die Diskussion über SUVs ist da kein guter Einstieg. Der SUV scheint mir vor allem ein Symbol und entsprechend emotional ist die Diskussion.

    Ich störe mich an einem Halbsatz im Artikel der meine Besserwisser-Instinkte geweckt hat: "...vor allem, wenn man weiß, dass Unfälle mit SUVs doppelt so tödlich sind?"



    Die Grundlage für diese Gewissheit würde mich interessieren, so hat Greenpeace in ihrem Report von 2019 geschrieben, die Tödlichkeit sei um 50% erhöht, nicht um 100% im Vergleich zum Durchschnitt. Also 1,5 fache Tödlichkeit statt doppelte.



    Und da finden sie vielleicht auch schon einen Grund warum einige mit der Debatte zu Konsequenzen lieber noch ein bischen warten wollen würden: In der Aufregung übertreibt man Fakten und trifft dann aufgrund dessen vielleicht falsche Entscheidungen.

    • @Hauke:

      Zudem ließe sich vermutlich auch argumentieren das die gefährlichste Kategorie von Autos nicht SUVs sind, sondern veraltete Autos, die sowohl Fahrer als auch anderen Verkehrsteilnehmern nicht das gleiche Maß an Sicherheitsmechanismen bieten.

      • @Januß:

        Es geht ja vor allem um die Gefährlichkeit für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer, nicht um die Insassen. Für die Insassen ist der SUV eines der sichersten Autos, das macht ja auch das Dilemma aus. Man schafft sich selbst Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer.

        Die Gefährlichkeit für andere hängt wohl in erster Linie von der Geschwindigkeit/ bzw. Beschleunigung und dann von der Masse ab. Ein 97er Polo hätte bei dem Fall in Berlin niemals so schnell beschleunigen können und wäre so oder so wohl von dem Ampelmast gestoppt worden. Allerdings wären Fahrer und Beifahrer dann wohl wesentlich schwerer verletzt bzw. vieleicht nicht mehr am Leben. Sicherheitssysteme dürfen per gesetzlicher Regelung niemals den freien Willen des Fahrers "überstimmen" und haben ja in diesem Fall entsprechend auch nicht gegriffen. Ich glaube nicht, dass alte Autos grundsätzlich unsicherer für andere sind. Und auch wenn die Tödlichkeit nur 1,5fach und nicht 2fach ist, sind SUVs grundsätzlich tödlicher fürs Umfeld als andere Autos.

  • Die urbane Vision wird doch schon gelebt. Mit der Innenstadt-Maut. Wer rein will soll extra zahlen. Ansonsten Nahverkehr mit billigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Und keine Sonderlösungen für Radfahrer oder Scooter. Die werden doch nur gebraucht wenn der Nahverkehr mit Bahnen und Bussen den Bedarf nicht deckt.

    • @Gerdi Franke:

      Hä? Wieso keine Sonderlösung für Radfahrer*innen? Die sind doch sogar ökologischer als ÖPNV!

  • Ich lebe gerne in Großstädten*, weil man dort gut essen gehen kann, die Menschen nicht so geschmacklos gekleidet herumlaufen wie auf dem Dorf und ich mir auch nach dem zweiten Cocktail keine Gedanken darüber machen muss wer denn fährt. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für die Vorzüge einer Großstadt, die ich schätze, sie bewegen sich jedoch alle auf der Ebene der Lebensqualität und haben nichts mit einem schwurbeligen Verantwortungsgefühl für andere Großstädter zu tun. Ganz im Gegenteil ganz vorne auf der Liste der Dinge die ich an Großstädten schätze ist die relative Anonymität im Vergleich zum Dorfleben.

    Was diese SUV Sache angeht: Das die Diskussion die geführt wird sich nicht darum dreht wie man mit Epileptikern im Straßenverkehr umgeht zeugt schon davon das es nicht wirklich um die Sache geht. Da hat ein politisches Lager auf eine Gelegenheit gewartet bereits seit langem bestehende Pläne durchzudrücken und nun ist die Gelegenheit da.

    „In Berlin zirkulieren schon Aufkleber gegen SUVs, auf denen steht: Zu Fett.“

    Ich dachte „Fat Shaming“ ist nicht politisch korrekt. Vielleicht entdeckt die Autoindustrie das ja für sich und vermarktet SUVs in zukunft als Curvy Cars.

    * Zumindest tendenziell. Wer freiwillig nach Berlin zieht ist mir ein Rätsel. Dafür müsste man mir Schadensersatz zahlen.

    • @Januß:

      *Weil es da im Vergleich zu München, Frankfurt und Hamburg immer noch billig ist...

      • @Sven Günther:

        Ja aber es gibt andere Städte, die sind in der Neuvermietung, sogar noch günstiger als Berlin und stinken nicht so krass nach Fäkalien, haben einen funktionierenden Nahverkehr und einen Flughafen der nicht in den 70ern hängen geblieben ist.

    • @Januß:

      Soso, die Dörfler sind geschmacklos gekleidet. Das ist ja wohl Geschmackssache. Und dass man ein Auto politisch unkorrekt bezeichnen kann, ist mir neu; ein Auto ist ein Auto ist ein Auto....

      • @resto:

        Das ist meine Empfindung und da es um meine Lebensqualität geht ist das in dem Fall auch die einzig relevante Empfindung dieser Sache.

        Das mit den Autos war ein Witz. Aber Sie haben schon recht man kann sich bei sowas heute nicht mehr sicher sein,.. der unterschied zwischen ernst gemeinter Identitätspolitik und einem Beitrag des Postilons sind oft kaum mehr zu unterscheiden.

  • "Viele, auch das hat sich nach dem Unfall gezeigt, sehen Autos tatsächlich als Waffen. "

    Wenn man "Viele" durch "Eine kleine Minderheit" ersetzt, dann stimmt der Satz.

    Ansonsten kann man ja - statt immer wieder Verbote zu fordern - mal anfangen, den Menschen BESSERE Alternativen als das Auto anzubieten. Gibt es zum größtenteil derzeit halt einfach nicht. Es muss nach Möglichkeit günstiger, angenehmer, schneller, sauberer, sicherer sein, ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen als das eigene Auto.

    Dann wird ein Großteil FREIWILLIG auf das Kfz verzichten. Vorher zurecht nicht.

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, dass angeblich Radfahrer auf Autofahrer und Autofahrer auf Radfahrer wütend wären. Wütend könnte Radfahrer machen, daß sie völlig bedeppert an roten Ampeln halten müssen, an denen gefahrloses Weiterfahren möglich wäre. Besonders nachts. Und es wird weiter gefahren und Ampeln umfahren. Von Frau und Mann.