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SUV-Unfall in Berlin-Mitte500 Menschen trauern um die Toten

Bei einem Unfall mit einem SUV in Berlin kommen vier Fußgänger ums Leben. Eine Debatte um die Sicherheit der Fahrzeuge entbrennt.

Foto: Björn Kietzmann

Berlin taz | Vier Minuten ist Stille. Vier Minuten, in denen der Verkehr nur aus der Ferne zu hören ist. Vier Minuten, je eine für jeden der vier Menschen, die keine 24 Stunden zuvor an dieser Ecke zu Tode gekommen sind. Rund 500 Menschen sitzen am frühen Samstagabend auf der Invalidenstraße in Mitte und schweigen. Nur ein Kind brabbelt und spielt mit einem Grablicht.

„Wenn ein E-Scooter an diesem Unfall beteiligt gewesen wäre, dann wären die Dinger europaweit verboten. Aber es war wieder mal nur ein Auto“, sagt Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities, der zusammen mit Fuss e.V. und dem Verkehrsclub Deutschland zu der Trauerkundgebung aufgerufen hatte.

Am Freitagabend ist an der Invalidenstraße, Ecke Ackerstraße ein Porsche SUV in eine Gruppe Fußgänger gerast. Er hat den Ampelmast mit solcher Wucht getroffen, dass er später komplett verborgen auf dem Gehweg liegt. Dann muss sich der Wagen gedreht haben und ist rückwärts in den Zaun einer Brache gekracht, wo er mit dem Heck voran in der wild wuchernden Vegetation zu stehen kam.

In dem völlig zerstörten Wrack saßen neben dem 42-jährigen Fahrer noch eine 67-jährige Frau und ein sechsjähriges Kind. Alle drei kommen mit leichten bis mittelschweren Verletzungen ins Krankenhaus. Doch die Passanten auf dem Bürgersteig haben keinen Schutz durch Sicherheitsgurte, Airbags und Stahlmantel. Zwei Männer, 28 und 29 Jahre alt, sowie ein dreijähriges Kind und seine Großmutter sind tot. Es ist einer der folgenschwersten Unfälle Berlins seit Jahren.

Eigentlich ist auf dieser Straßenkreuzung kein Platz zum Rasen. Zwei Straßenbahnlinien nutzen die Fahrspuren. Wenige Meter vor und hinter dem Unfallort lassen sie an Haltestellen Passagiere ein- und aussteigen. Zudem queren viele Fußgänger, die die zahlreichen Imbissrestaurants oder den großen Supermarkt in der Ackerhalle besuchen wollen, die Straße. Autos kommen häufig nur im Schritttempo voran, die Fahrer müssen Geduld haben, vor allem im Feierabendverkehr. Wer hier schnell fährt, macht das mutwillig.

„Es sind Autos, die töten“

Durch Zeugenaussagen und ein Video, das die Dash-Cam eines Taxifahrers filmte, scheint mittlerweile so viel klar: Der Porsche Macan kam aus westlicher Richtung über die Invalidenstraße. Dort soll er 100 Meter vor der Kreuzung zur Ackerstraße losgefahren und stark beschleunigt haben. Er überholt mit hoher Geschwindigkeit auf der Gegenfahrbahn die vor der Fußgängerampel wartenden Autos, so als wolle er schnell, bevor die Ampel auf Grün springt, links in die Ackerstraße biegen, rast dann aber auf den Bürgersteig an der Ecke. Eine Bremsspur gibt es nicht.

Panzerähnliche Autos gehören nicht in die Stadt

Stephan von Dassel, Bezirksbügermeister

Eine der möglichen Ursachen, die die Polizei überprüft: Der Fahrer könnte gesundheitliche Probleme gehabt haben, etwa einen Krampf im Bein, der seinen Fuß aufs Gaspedal drückte. Die Polizei machte zu den möglichen Unfallursachen vorerst aber keine Angaben. Allerdings sei dem Fahrer eine Blutprobe genommen worden. Zudem hätten die Beamten seinen Führerschein beschlagnahmt und das Unfallfahrzeug sichergestellt.

„Es bedarf einer besonderen Verantwortung, wenn man zwei Tonnen Stahl durch die Stadt fährt. Denn es sind Autos, die töten“, sagt Heiner von Marschall vom Fußgängerschutzverein Fuss e.V. bei der Trauerkundgebung. Bis Freitag seien in diesem Jahr in Berlin schon elf Fußgänger gestorben, jetzt seien es noch mal vier mehr. „Straßen dürften kein Gefahrenraum für Fußgänger sein.“ Dann stellt er zusammen mit Ragnhild Sørensen vier weiße Figuren an den Straßenrand, die an die Opfer erinnern sollen.

Ebenfalls am Samstag hat auch die politische Debatte um die Folgen für das tödliche Ereignis begonnen. Per Twitter ließ Stephan von Dassel, der grüne Bezirksbügermeister von Mitte wissen: „Solche panzerähnlichen Autos gehören nicht in die Stadt! Es sind Klimakiller, auch ohne Unfall bedrohlich, jeder Fahrfehler wird zur Lebensgefahr für Unschuldige.“

Laut einer Studie von Greenpeace ist für Fußgänger die Gefahr, beim Zusammenstoß mit einem SUV getötet zu werden, 50 Prozent höher als beim Zusammenstoß mit einem konventionellen Pkw. Hauptursache seien der höhere Kühlergrill, der angefahrene Fußgänger nicht an den Beinen, sondern am empfindlicheren Oberkörper treffe. Besonders gefährdet seien Kinder, für die sich der Kühlergrill oft genau auf Kopfhöhe befinde. Auch Florian Schmidt, grüner Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, twitterte deshalb: „Dieser Unfall hat Symbolcharakter! Lasst uns diese Wagen und viele mehr von den öffentlichen Räumen entfernen.“

Zuvor hatte bereits die Deutsche Umwelthilfe getwittert: „Wenn es nach den Autokonzernen geht, soll mehr als jeder zweite Neuwagen ein SUV werden. Wir kämpfen dagegen an!“ Eine weitere Forderung der DUH, SUV hätten „in unseren Städten nichts zu suchen“, stieß allerdings auch auf heftige Kritik. Der Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja meinte: „Heute stand die Zeit in der Invalidenstraße für vier Minuten still. Trauer um die Menschen, die bei dem schrecklichen Unfall ihr Leben verloren haben. Und anstatt nach dem unsäglichen Tweet gestern Trauer Trauer sein zu lassen, legt die Umwelthilfe noch einmal nach. Widerlich.“

An der Invalidenstraße legen am Samstag Nachmittag Trauernde weitere Blumen an den Unfallort. „Ich weiß“, sagt ein Mann, „dass das hier eine stille Kundgebung sein soll. Ich respektiere das. Aber eigentlich möchte ich schreien.“ Die Frage, wem gehört die Stadt, dürfe nicht mit „den Autos“ beantwortet werden. Schon gar nicht mit „den SUVs“, die sich überall breit machten. Er holt Aufkleber aus seiner Tasche, auf denen „FCK SUV“ steht und die zu Protesten gegen die Internationale Autoausstellung in Frankfurt am Wochenende aufrufen.

Spät in der Nacht zu Sonntag sortiert eine Frau unermüdlich die Berge der Blumen. „Vasen“, flüstert sie und schaut sich um, „ich brauche mehr Vasen.“

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13 Kommentare

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  • Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.

    Es gibt genügend Gründe, SUV und den Autoverkehr in den Städten auf den Prüfstand zu stellen, aus Sicherheitsgründen, aus Klimaschutz, unter verkehrspolitischen Gesichtspunkten. Den Straßenverkehr neu auszurichten und mindestens Gleichberechtigung für alle Verkehrsteilnehmer herzustellen ist mehr als nur ein legitimes politisches Ziel, es ist eine Notwendigkeit.

    Eine Gedenkveranstaltung für die Todesopfer eines tragischen Geschehens, bei dem Hintergründe und Ursachen noch gänzlich ungeklärt sind dafür zu benutzen, halte ich nicht nur für pietätlos. Es ist eine Beleidigung der Opferangehörigen und drängt Vergleiche mit dem unsäglichen Vorgehen der AfD auf, Ausländerhetze an bestimmte Geschehnisse zu knüpfen. Von der Umwelthilfe, die ein politisches Florett nicht kennt, sondern immer den Presslufthammer benutzt, erwarte ich nichts anderes. Aber ein Grüner von Dassel, der rhetorisch auf Gaulands Spuren wandelt schmerzt.

    Es gibt für alles eine Zeit, anscheinend auch für den Niedergang einer humanistischen und an Fakten orientierten Politikkultur in Deutschland. Und anscheinend fühlen sich nicht nur AfD und Konsorten berufen, diese Zeit voranzutreiben...

    Als Bürger dieses Landes schäme ich mich heute und hoffe, dass es ein einmaliger Ausraster bleibt.

    • @Cerberus:

      Das ist leider die traurige Realität.Mitgefühl und Trauer werden zunehmend zum Event.

  • Konsequent Tempo 30 in Innenstadtbereichen und zur Sicherung dessen entsprechende Fahrbahnverenungen und Bodenwellen dazu. Das wäre das Rezept, egal ob übermütige Fiat Puntofahrer oder Porsche-SUV-Fahrer gerne rasen möchten. Drei Zeilen in Eurem Text deuten auf das besonders Tragische - dass nämlich auch in diesem Fall möglicherweise Übermut, Fahrlässigkeit und Raserei die eigentliche Ursache waren, dass nun vier Menschen ihr Leben nicht mehr weiter erleben können. Im Text steht: "Der Porsche Macan kam aus westlicher Richtung über die Invalidenstraße. Dort soll er 100 Meter vor der Kreuzung zur Ackerstraße losgefahren und stark beschleunigt haben.". Dort, wo er nach Recherchen anderer Berliner Lokalzeitungen losfuhr, kaum 200 Meter entfernt vor einem Biospäti in der Invalidenstraße. ist eigentlich Parkverbot, aber schnelle Einkäufer halten dort immer wieder, das kann ich als Anwohner bestätigen. Das inzwischen aufgetauchte Video der Crashfahrt zeigt, wie irre schnell das Auto von dort aus auf der Gegenspur beschleunigt (bei einem Porsche-Motor ist das auf 100 Meter leider auch kein Problem). Und das sieht weniger nach angeblichem Beinkrampf oder Herzattacke aus, sondern eher nach dem Versuch, alle vor ihm stehenden vor dem Grünschalten der Ampel dreist zu überholen. Das wäre dann"Hopplajetztkommich-Fahren-inso-einem Auto-darf-ich-das-auch" und besonders fatal.

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    26. März 2012, 23:04 Uhr

    Vor dem Landgericht in Hamburg begann am Montag die Verhandlung gegen den Fahrer jenes grauen Fiat Punto, der an diesem frühlingshaften Tag vor einem Jahr, nachmittags um Viertel vor fünf, mit mindestens 100 km/h auf der Gegenfahrbahn bei Rot in die Kreuzung Eppendorfer Landstraße/Eppendorfer Baum raste, dort mit einem VW Golf kollidierte, sich überschlug, auf den Fußweg schleuderte - und vier Menschen tötete, die dort zufällig standen.

    Werden Puntos auch verboten?

  • Die Debatte zum Unfall zeigt dass die bislang selbstverständlich akzeptierte Dominanz des Autos im Verkehr nicht mehr funktioniert und das ist gut so. Noch vor zehn Jahren hätte ein derartiger Unfall nicht Fragen zum Auto an sich ausgelöst. Doch auch heute fehlt noch fast komplett das Bewusstsein eines jeden Autofahrers dass er prinzipiell allein aus physikalischen Gründen eine potentiell tödliche Waffe durch alle anderen Verkehrsteilnehmer bewegt. Terroristen oder Amokläufer die Autos für Morde nutzen denen ist es bewusst. Autofahrer die durch einen Fahrfehler Kinder oder Erwachsene Totfahren hätten nie damit gerechnet und werden ihres Lebens nicht mehr froh. Und Menschen die als Autofahrer einen Wutanfall (auf den Stau ihr Leben oder was auch immer) haben und losrasen als wären sie alleine auf dieser Welt hätten ohne Auto nicht diese sofort tödliche Wirkung wenn sie eigentlich keine Tötungsabsicht haben. Es macht all die Todesopfer des Autoverkehrs nicht mehr lebendig aber kann künftige Todesopfer verhindern wenn sofort die für andere besonders gefährlichen Fahrzeuge aus Städten und Ortschaften verbannt werden und endlich Mobilität ohne Dominanz des Autos geplant und umgesetzt wird so dass jeder von A nach B kommt ohne per se (Wahl des Verkehrsmittels) eine ständige Bedrohung aller anderen Verkehrsteilnehmer zu sein und diese in ihrer Bewegungsfreiheit, Gesundheit und Sicherheit so drastisch einzuschränken. Politik für Menschen statt für die Gewinne der Autoindustrie ist das Gebot der Stunde.

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    "Unfall"? Die taz sollte sich überlegen, diesen Begriff hier zu verwenden.

    Ja, die Polizei geht voreiligerweise, vor Abschluß der Ermittlungen von einem Unfall aus. Autofahrer werden regelmäßig von der Polizei und den Medien mit dem Unwort "Unfall" entlastet. Gleichzeitig versperrt der Begriff den Blick auf das systematische Problem, daß unsere Verkehrspolitik das Automobil im Fokus hat, nicht Menschen.

    In den USA vermeiden einige Medien seit Jahren das Wort "accident", sondern schreiben erstmal neutral von "crash", solange nicht erwiesen ist, ob es ein Unfall, ein Suizid, ein Mord(versuch) o.ä. war.

    Sie dazu:

    www.neues-deutschl...r-sprache.amp.html

  • Moderne Autos mit Satellitennavigation und Bordcomputer ließen sich problemlos elektronisch auf die erlaubte Geschwindigkeit einbremsen, nur mal so

  • "Eine der möglichen Ursachen, die die Polizei überprüft: Der Fahrer könnte gesundheitliche Probleme gehabt haben, etwa einen Krampf im Bein, der seinen Fuß aufs Gaspedal drückte."



    Wenn es eine Fahrradfahrer*in gewesen wäre, hätte mensch erst einmal betont, dass sie selbst schuld wäre, da ohne Helm und so. Bei einem Autofahrer muss gleich nach einer Entschuldigung gesucht werden? Nicht, dass die Autovorherrschaft Risse bekommt. Widerlich ist die Autoideologie, wie sie von FDP&Co vertreten wird.

    • 9G
      93559 (Profil gelöscht)
      @Uranus:

      Das fällt mir auch auf in der ganzen Diskussion. Langsam bekomme ich den Eindruck, dass auch die Autoindustrie ihre Trollarmee beschäftigt, aber wahrscheinlich ist es doch nur der Autofahrer vulgaris, der sein Recht auf freie Fahrt für freie Autosjeder Größe in Frage gestellt sieht und plötzlich eine Pietät an sich entdeckt, die er dem durch Autos zermatschten Radfahrer und Fußgänger versagt.

    • @Uranus:

      Und selbst wenn es ein Muskelkrampf gewesen wäre, dann gibt es dafür Ursachen, meistens Mineralienmangel.

      Die kann der Fahrer bekämpfen oder er darf sich nicht mehr an das Steuer setzen.



      Ich hoffe, dass es eine sehr genaue Untersuchung gibt, die abschließend beurteilen, inwieweit hier der Tatbestand der fahrlässigen Tötung zutrifft.

      Aber noch schöner wäre es, wenn ab sofort, überall dort, wo auch Fußgänger unterwegs sind, automatisch Schrittgeschwindigkeit eingehalten werden muss.



      Die Berliner Senatorin für Verkehr ist eine Grüne, mal sehen, was die machen werden.

      • @Age Krüger:

        Ich war voll und ganz Ihrer Meinung und habe entsprechend hohe drakonische Strafen für den Fahrer geforder. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich das Video gesehen habe.

        Im Video ist gut zu erkennen, dass die ganze Zeit die Bremsleuchten des Fahrzeuges aufleuchten und das obwohl der bereist schnelle Wagen gefühlt noch weiter beschleunigt.

        Wenn es also einen Krampf gegeben haben sollte, wie sollte dann Schrittgeschwindigkeit solche Unfälle in Zukunft vermeiden?

        Einen Mineralienmangel merkt man in den meisten Fällen auch erst beim Krampf.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Age Krüger:

        Was ihren Hinweis am Schluss des Posts angeht: so viel wie Herr Kretschmann in Baden-Württemberg: nichts.

        In Indien sind Kühe heilig. In Deutschland das Automobil. Koste es, was es wolle. Auch Menschenleben von Unbeteiligten.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Naja, in Berlin könnten Grüne noch von links, also von der LINKEN, mal einen Arschtritt bekommen, dass sie sich etwas von der Automobil emanzipieren.

          Sofern DIE LINKE nicht gerade vor Selbstmitleid vergeht wegen ihrer letzten Wahlergebnisse.