Zukunft der Notunterkunft in Berlin: Teures Tegel als gutes Geschäft
Während die SPD die Massenunterkunft Tegel schließen will, möchte die CDU an ihr festhalten. Womöglich auch, weil die Messe Berlin gut damit verdient.
Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses sollte die Verlängerung an diesem Mittwoch beschließen. Der Linken-Abgeordneten Elif Eralp zufolge ist das Papier allerdings zwei Stunden später offiziell wieder zurückgezogen worden, „weil es im Senat noch nicht abgestimmt sei“, wie es hieß.
Die Opposition sieht hier einen Konflikt zwischen der SPD-geführten Sozialverwaltung und der Finanzverwaltung von CDU-Senator Stefan Evers: Kiziltepe will dem zurückgezogenen Papier zufolge die Notunterbringungen „nachhaltig reduzieren und mittelfristig auflösen“.
Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir sprach im Parlament sogar davon, man wolle die „menschenunwürdige, integrationsfeindliche und extrem teure“ Großunterkunft Tegel so schnell wie möglich verkleinern und mittelfristig schließen. Hingegen drückt die CDU auf die Bremse. Immer wieder wird aus ihren Reihen gefordert, Tegel im Gegenteil sogar zu vergrößern.
Privatsphäre? Fehlanzeige
Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine eröffnete Berlin auf dem früheren Flughafen Tegel zuerst ein Registrierungszentrum für Ukraine-Flüchtlinge, das mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten nach und nach zu einer Großunterkunft wuchs. Die Bedingungen dort sind katastrophal. Zehn bis 14 Personen „wohnen“ in einer Schlafkabine in beheizbaren Zelten ohne jede Privatsphäre und ohne die Möglichkeit, ihre Habe angemessen unterzubringen.
Die Bewohner können sich selbst kein Essen kochen, sondern bekommen drei Mahlzeiten pro Tag. Um ein wenig Selbstbestimmung zu haben, haben etliche Flüchtlinge Koch- und Grillplätze unter einer Brücke in der Nähe des früheren Flughafens errichtet, was wiederum die Nachbarschaft dort kritisiert.
Entlastung durch andere Großunterkünfte
Gegenwärtig sind 4.200 Menschen in Tegel untergebracht, davon 3.300 aus der Ukraine. In den nächsten Tagen ist mit einer kleinen Entspannung zu rechnen, weil ein Hotel in Lichtenberg mit zunächst 800 Plätzen neu belegt wird. Die Unterkunft Tegel böte aber Platz für weitere 2.400 Menschen, sodass man die 2.900 Menschen, die bereits seit Längerem in Hotels und Hostels wohnen, rein rechnerisch unterbringen könnte. Will das der Senat? Eindeutige Statements dafür gibt es nicht.
Aus CDU-Kreisen ist lediglich zu hören, dass Berlin die Unterkunft Tegel noch benötige, auch über Ende 2025 hinaus. Bis dahin läuft der Vertrag, den Berlin dort abgeschlossen hat. Das mit den Hotels und Hostels sei noch nicht durchgerechnet, heißt es weiter. Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir wiederum sagt der taz, das gemeinsame Ziel der Koalition sei die dezentrale Unterbringung und die Reduzierung der Zahl der Bewohner von Tegel.
Das fordern auch Grüne und Linke. „Der Senat muss zügig eine Exit-Strategie für Tegel vorlegen, die aufzeigt, in welchen Schritten die Ausdünnung und letztendlich die Schließung erfolgen wird“, sagt der Grünen-Abgeordnete Jian Omar der taz. Die wäre nicht nur humaner, sondern auch deutlich preiswerter als die Unterbringung in Tegel.
Die Landesregierung hält sich bedeckt mit Informationen, wie hoch die Kosten dort sind. Nach Rechnungen der taz auf der Grundlage von unvollständigen Unterlagen des Senats kostet die Unterbringung in Tegel pro Tag und Person zwischen 260 und 280 Euro. Dafür kann man sogar in einem Sternehotel unterkommen. Welche Gründe könnte es geben, dass die CDU trotz der hohen Kosten an Tegel festhält?
Die Messe Berlin streicht Provision ein
Hierzu konnte die taz mit einem Insider sprechen, der namentlich nicht genannt werden will. Seine These: Das Flüchtlingslager bringe der Messe Berlin und dem DRK viel Geld ein und trage dazu bei, sie vor roten Zahlen zu bewahren.
Die Messe ist nach eigenen Angaben vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Tegel mit Planung, Bauerrichtungsmaßnahmen, Facility-Management und Sicherheitsdienstleistungen beauftragt. Die Security stellt sie allerdings nicht selbst, sondern beauftragt damit die Firma Teamflex Solutions GmbH, die wiederum etliche Subunternehmer beschäftigt. Bei Polizeikontrollen gab es zahlreiche Beanstandungen.
Dem Insider zufolge soll die Messe allerdings nicht das gesamte Geld, das das LAF ihr für die Sicherheitsdienstleistungen zahlt, auch weiterreichen, sondern 15 Prozent als Provision einbehalten. Der Mann will auch wissen, warum Berlin sich so ein teures Geschäft leistet: „Die Messe ist ein landeseigenes Unternehmen. Die Einnahmen aus ihrem Kerngeschäft gehen zurück. Berlin darf sie aber wegen der EU-Gesetzgebung nicht direkt bezuschussen, um sie am Laufen zu halten. Darum der Umweg über die Miete und Sicherheitsaufträge für Tegel.“
Weder das LAF noch die Messe wollen sich zu der Sache mit den 15 Prozent auf taz-Nachfrage äußern. Sie berufen sich auf vertrauliche Verträge.
Wer in den aktuellen Geschäftsbericht der Messe schaut, kann klar erkennen, dass deren Umsatzerlöse aus ihrem Kerngeschäft wie Messen und Veranstaltungen rückläufig sind, während die „sonstigen Umsatzerlöse“ steigen. 2023 waren das 136 Millionen Euro, gut ein Drittel der Gesamtumsätze. „Das lässt sich vor allem auf unser Engagement am Ankunftszentrum für Geflüchtete in Tegel zurückführen“, heißt es im Geschäftsbericht.
Glaubt man dem Spiegel, dann zahlt das Land Berlin allein 90 Millionen Euro für Miete und Reinigung von insgesamt 45 Großzelten. Das macht pro Quadratmeter Zelt 200 Euro Miete ohne Strom, Heizung und Wasser, aber mit Reinigung.
Jian Omar von den Grünen kritisiert, dass die „Profiteure“ in Tegel auf Kosten der dort untergebrachten Geflüchteten hohe Gewinne machen. Bei der Messe spricht er von einer „Hintertür-Finanzierung des landeseigenen Unternehmens, was rechtlich eigentlich nicht erlaubt ist“. Der Senat müsse, so Omar, „mehr Transparenz über die Verträge und den Betrieb von Tegel schaffen. Unsere parlamentarische Kontrolle wird in Tegel permanent verhindert.“ Er habe bereits vor zwei Monaten Akteneinsicht über alle Verträge beantragt, warte aber bis heute auf eine Antwort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?