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Zukunft der IndustrieStandort D – top oder flop?

Droht hiesigen Produktionsunternehmen der Zusammenbruch, wie es aus der CDU heißt? Die Wirtschaftsdaten belegen das nicht.

Ein „Zukunftsort“ in der Altmark – Werk Mercer Stendal Foto: Dietmar Gabbert/dpa

Berlin taz | Gute wirtschaftspolitische Nachrichten häufen sich in jüngster Zeit. In Thüringen eröffnete die chinesische Firma CATL ihre erste ausländische Batterie-Fertigung für E-Autos. Der US-Fahrzeughersteller Tesla will sein Werk bei Berlin massiv vergrößern. Der Elektronik-Konzern Intel plant eine neue Chip-Fabrik bei Magdeburg. Das Stahlunternehmen Thyssenkrupp erhält zwei Milliarden Euro vom Staat, um seinen ersten Wasserstoff-Hochofen zu bauen. Siemens will 500 Millionen Euro in Nürnberg investieren.

Negativ klingende Schlagzeilen gibt es aber auch. So droht der Chemiekonzern Dow Chemical an der Elbe wegen der hohen Stromkosten mit Verlagerung ins Ausland. Meyer Burger, die Solarfirma aus der Schweiz, baut eine neue Fabrik in den USA, nicht in Sachsen-Anhalt. BASF investiert stark in China, VW hat Probleme beim Absatz von Elektroautos. Doch ein „schleichender Prozess der Deindustrialisierung“, wie ihn CDU-Chef Friedrich Merz oder CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner an die Wand malen, ist nicht zu sehen. Denn „Deindustrialisierung“ bedeutete, dass wesentliche Teile der Industrie verschwinden würden.

Die Fakten sprechen gegen diese These, zum Beispiel die Zahl der Arbeitsplätze. 7,5 Millionen Leute beschäftigen die Industrieunternehmen hierzulande. Die Tendenz ist weitgehend stabil – vor zehn Jahren waren es 7,4 Millionen Jobs. Dann wuchs die Zahl etwas, seit 2020 ist sie leicht um vier Prozent gesunken. „Darin steckt auch die steigende Produktivität“, erklärt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Die deutsche Industrie arbeitet effektiv.“ Weniger Menschen produzieren mehr Güter. „Das ist das Gegenteil von Deindustrialisierung“, sagt Gornig.

Ein ähnliches Bild zeigt die Entwicklung der Firmeninsolvenzen. Die Zahl der Unternehmen, die aufgeben müssen, steigt in diesem Jahr an. Kürzlich schrieb das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH): „Die Zahl der Insolvenzen ist so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr.“ Aber das bezog sich nur auf Juni 2023. Von Januar bis Mai lagen die Firmenpleiten dagegen unter dem Vor-Corona-Niveau. „Ich stimme zu, dass wir noch im Bereich ‚Normalisierung‘ sind, wenn auch jetzt schon leicht über dem Normalniveau“, sagt IWH-Experte Steffen Müller.

Weit weg von einem Zusammenbruch

Im vergangenen Jahr gingen laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 10.432 Betriebe pleite. Vor Corona, als die Wirtschaft gut lief, waren es jedoch viel mehr: 13.609 (2019), 2016 fast 16.000 und 2014 fast 18.000. Dabei sind nur ungefähr zehn Prozent der erfolglosen Unternehmen dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen, also der Industrie. Mit einem vermeintlichen Zusammenbruch der Industrie hat das nichts zu tun.

Weitere Daten stützen diesen Befund. Der Destatis-Produktionsindex, der Wert und Menge der industriellen Fertigung darstellt, verzeichnet bis Ende 2022 keine Abnahme. Das kurzfristige Auf und Ab folgt dem langfristigen Trend. 2023 geht es allerdings leicht runter. Doch „der etwas abfallende Produktionsindex in diesem Jahr ist ein Ergebnis kurzfristiger Effekte“, sagt DIW-Ökonom Gornig. Hier macht sich beispielsweise die augenblickliche Inflation bemerkbar. „Eine langfristige, strukturelle Deindustrialisierung ist daran aber nicht zu erkennen“, so Gornig.

Auftragsbetand nimmt zu

Ein ausgesprochen positives Bild zeigt der Auftragsbestand der Industrie. Der liegt nach Destatis-Angaben deutlich über dem Niveau der Jahre seit 2015. Im Mai und Juni diesen Jahres nahmen die Aufträge mit gut sechs und sieben Prozent stark zu.

Und wie sieht es bei den Investitionen aus? Hier werden augenblicklich Zahlen diskutiert, die die These der Deindustrialisierung stützen könnten. Denn nach Angaben der Bundesbank haben sich die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland 2022 im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Das lässt sich so interpretieren: Investoren etwa aus den USA sehen gerade weniger Sinn darin, Geld in Deutschland anzulegen – was ein grundsätzliches Problem anzeigen mag.

Schwächen hohe Energiekosten Standort D?

Aber DIW-Experte Gornig gibt sich auch an diesem Punkt entspannt. „Dass Deutschland momentan weniger attraktiv ist für Investitionen aus dem Ausland, hat überwiegend konjunkturelle Gründe“, sagt er. Diese Schwierigkeiten könnten sich bald wieder verflüchtigen. Er fügt hinzu: „Die hohen Energiekosten sind für die meisten ausländischen Investoren wenig relevant.“ Denn für einen Großteil der Unternehmen machten die Energieausgaben nur einen kleinen Posten der Gesamtkosten aus.

Die Gegenposition formuliert Oliver Falck, Ökonom am ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München: „Die Gründe für die Zurückhaltung ausländischer Investoren sind vorwiegend langfristiger Natur“ – und damit potenziell bedrohlich auch für das Überleben der hiesigen Industrie. „Einen entscheidenden Nachteil bilden die hohen Energiekosten etwa im Vergleich zu den USA“, erklärt Falck.

Alternde Geesellschaft und Arbeitskräftemangel

Weil Deutschland das billige russische Gas nicht mehr kauft, sind die hiesigen Firmen auf teure Flüssiggas-Importe aus anderen Quellen angewiesen. In Nordamerika wird der Brennstoff aus heimischen Lagerstätten dagegen viel billiger angeboten. Das ist ein Grund, warum die hiesige Öffentlichkeit nun darüber debattiert, ob Industrieunternehmen zusätzliche Energiepreis-Subventionen vom Staat erhalten sollen.

Und aus Falcks Sicht könnten weitere Hürden den industriellen Weg in die Zukunft erschweren. „Strukturelle Nachteile für die hiesige Industrie liegen in der möglicherweise sinkenden Nachfrage infolge der Alterung der Gesellschaft und im Mangel an Arbeitskräften.“ Ja, Deutschland muss einige grundsätzliche Baustellen bearbeiten – aber ist der Begriff „Deindustrialisierung“ nicht etwas weit hergeholt? Falck: „Wenn die Politik die Rahmenbedingungen für Investitionen angemessen setzt, rechne ich nicht mit der Gefahr einer Deindustrialisierung, wohl aber mit einem starken Strukturwandel.“

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8 Kommentare

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  • Während sie die kommende Krise schön reden, denkt bereits jeder 4.te Mittelständer übers Aufgeben nach.



    www.welt.de/wirtsc...Aufgeben-nach.html

    Wenn sie jetzt nicht handeln, wird es auch so kommen.

  • Der Artikel hat vergessen sich die Investitionen genauer anzuschauen. Aus der "Wirtschaftswoche" vom 28.6.2023

    "Rund 132 Milliarden Dollar (125 Milliarden Euro) mehr Direktinvestitionen flossen 2022 aus Deutschland ab, als im gleichen Zeitraum in die Bunderepublik investiert wurden. Damit gemeint ist die Differenz zwischen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland. Die Summe stellt die höchsten Netto-Abflüsse dar, die jemals in Deutschland verzeichnet wurden. Vor allem die ausländischen Investitionen in Deutschland sind nach OECD-Zahlen zuletzt fast vollständig eingebrochen: Während die Abflüsse bei fast 135,5 Milliarden Euro lagen, wurden nur noch rund 10,5 Milliarden Euro in Deutschland investiert."

    Die Wirtschaftsdaten belegen das sehr wohl, man muss sie nur anschauen.

  • Zitat: „Wenn die Politik die Rahmenbedingungen für Investitionen angemessen setzt, rechne ich nicht mit der Gefahr einer Deindustrialisierung, wohl aber mit einem starken Strukturwandel.“ Konjunktiv...... wenn, aber wenn sie die Rahmenbedingungen nicht angemessen setzt, gibt es die Gefahr einer Deindustrialisierung, so lese ich das. Man kann das natürlich auch als Durchhalteparole bezeichnen.

  • Die -durchaus gut und neutral analysierten - Wirtschaftsdaten belegen die Vergangenheit. Naturgemäß reagiert die Wirtschaft mit Verzögerung und die Daten sind dann sogar noch älter. Die schlechte Wirtschaftspolitik der letzten Jahre der großen Koalition werden ja jetzt getoppt von der katastrophalen Politik der Ampel. Da liegt es schon nahe, dass wir sehenden Auges in den Abgrund rasen.

    Die Zahlen werden es zeigen, leider. Nur eben zu spät.

    • @Mangahn:

      Exakt ausgedrückt, Zustimmung und Danke.

  • Die ausländischen Direkinvestitionen sind seit 2017 kontinuierlich rückläufig und nicht erst seit ein paar Monaten. Allein 2022 flossen 122 Mrd. Dollar mehr Direktinvestitionen ab als in Deutschland investiert wurde. Und mit Direktinvestitionen steht und fällt langfristig unsere Wirtschaft, weil die an einer langfristigen Stabilität interessiert sind. Und genau die kann Berlin nicht bieten.

    Resultat: Fast jedes dritte dt. Indsutrie-Unternehmen will in den nächsten fünf Jahren insbesondere aufgrund hoher Personalkosten Personalbestand in West- und Südeuropa abbauen und in Indien, Nordamerika und China aufbauen.

    So was sollte uns Sorgen machen. Da nützen uns volle Auftragsbücher für die nächsten 1-2 Jahre herzlich wenig.

  • "Aber DIW-Experte Gornig gibt sich auch an diesem Punkt entspannt. „Dass Deutschland momentan weniger attraktiv ist für Investitionen aus dem Ausland, hat überwiegend konjunkturelle Gründe“, sagt er."

    Den Optimusmus aus dem Hause Fratzscher teilen auch andere nicht: "Noch nie haben Unternehmen so viel Geld aus Deutschland abgezogen wie im vergangenen Jahr, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Zahlen alarmieren: Im schlimmsten Fall ist das der Beginn der Deindustrialisierung. (...) Während die Abflüsse bei fast 135,5 Milliarden Euro lagen, wurden nur noch rund 10,5 Milliarden Euro in Deutschland investiert." www.iwkoeln.de/pre...-hoch-wie-nie.html

    Das Stichwort "Deindustrialisierung" stammt jedenfalls von hier. Wie auch immer man dies einschätzt: Bloße Schwarzmalerei der CDU ist es jedenfalls nicht.

  • Die Mechanismen sind seit Jahrzehnten immer die gleichen: Regiert die Union, ist immer Aufschwung und die Aussichten sind rosig, regiert die Union nicht, geht die Welt unter. Bei Kohl war selbst bei 5 Mio Arbeitslose alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und die konservative Kampfpresse verbreitet diesen Unsinn.