Zu viel Verkehr: „Heute quert man vier Spuren“
Ältere Menschen fühlen sich im Straßenverkehr nicht mehr wohl, warnt Sozialverbands-Chef Klaus Wicher. Das Problem: Es ist zu voll.
taz: Herr Wicher, welches Problem haben die Mitglieder Ihres Verbandes mit dem Verkehr?
Klaus Wicher: Wir hören Klagen in unseren 30 Hamburger Ortsverbänden über zwei Dinge: Die, die Auto fahren, sagen, sie fühlen sich behindert durch die neue Verkehrsführung, die Radfahrer und Autos auf eine Fahrbahn bringt, und durch die vielen Baustellen.
Und die Fußgänger?
Die zweite Klage kommt von älteren Menschen, die eingeschränkt sind. Die beklagen, dass es eine sehr starke Mischung der Verkehre gibt. Wer über die Straße gehen möchte, muss erst links, rechts auf die Radfahrer, dann auf die Autofahrer, und dann wieder auf die Radfahrer achten. Ist da keine Ampel, kommen Sie schlecht rüber. Vor allem ältere Menschen fühlen sich nicht sicher.
Ist diese Verkehrslage neu?
Früher waren die Autos allein auf der Fahrbahn. Da musste man einmal links und einmal rechts gucken, um rüberzugehen. Heute quert man vier Spuren: Rad, Auto, Auto, Rad.
Und wo waren früher die Radfahrer?
Die waren auf dem Fußweg. Man hatte da als Fußgänger noch eine Sicherheitszone, so einen Streifen zwischen Radweg und Autostraße. Eine Art Verkehrsinsel, wo man stehen konnte und es passiert nichts. Heute sind die Radspuren eben auf dem Asphalt.
Was machen Sie nun?
Klaus Wicher
70, ist Landesvorsitzender des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), der in Hamburg über 21.000 Mitglieder hat, Durchschnittsalter 62 Jahre.
Ich habe zum Beispiel dem Verkehrssenator geschrieben, auch dass wir gerne für Fußgänger längere Ampelphasen möchten.
Wo sollen die Radwege hin?
Wir haben keine ultimative Lösung. Es geht uns darum, dass man Sicherheit schafft zum Queren der Fahrbahn. Es gibt ja Ampeln. Aber da muss man als Fußgänger erst mal hin. Das können Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt sind, nicht so leicht. Man müsste, dort wo keine Ampeln sind, andere Querungsmöglichkeiten schaffen. Dieses: Rad-Fahrbahn-Fahrbahn-Rad-Prinzip fordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Damit wird man Menschen, die eingeschränkt sind, nicht gerecht.
Fehlt in Hamburg eine seniorengerechte Planung?
Hier geht etwas in die Fläche, wo wir den Eindruck haben, es geht an den Interessen einiger Gruppen vorbei. Wir haben in Hamburg rund 440.000 Senioren über 60 und 365.000 über 65 Jahre. Sie sind noch jung. Möchten Sie über die Straße, gehen Sie zur nächsten Ampel. Menschen, die Hilfsmittel brauchen, können das nicht. Es gibt Senioren, die sagen: Ich gehe gar nicht weg, ich warte, bis mein Sohn oder meine Tochter kommt. Das schränkt ein.
Liegt es auch an den Radfahrern? Fahren die anders als vor 20 Jahren?
Man hat den Eindruck. Die Politik sagt, Radfahrer sollen nicht mehr benachteiligt werden. Der eine oder andere Radfahrer leitet davon ab: Ich habe jetzt Vorfahrt. Menschen haben den Eindruck, die nehmen keine Rücksicht mehr.
Ist es aus der Mode, auf Alte Rücksicht zu nehmen?
Das möchte ich nicht pauschalieren. Das Problem ist ja auch: Der Verkehr nimmt nicht ab. Die Flächen werden anders aufgeteilt. Die Auto-Zulassungen werden nicht weniger. Mit der Verdichtung der Stadt nimmt der Individualverkehr zu.
Also müssen wir den öffentlichen Nahverkehr verbessern.
Richtig. Es gibt da auch tolle Angebote für Senioren. Zum Beispiel das Taxi-Zubringersystem in Osdorf und Lurup. Dort werden Menschen zum ÖPNV-Tarif zum Bahnhof gefahren. Nur gibt es hier technische Schranken. Der Taxi-Dienst ist nur mit Smartphone über eine App zu buchen. Das schließt alte Menschen aus. Das kann nicht sein. Wir müssen im Zeitalter der Digitalisierung auch an die Älteren denken. Es muss weiter Offline-Angebote geben.
Sind nicht die Senioren auch schlicht die Autofahrer-Generation? Junge Großstädter haben seltener Führerschein.
Das kann sein.
Liegt bei dieser Senioren-Gruppe nicht viel Potenzial, um Autoverkehr zu reduzieren?
So viele werden das nicht sein. Auch ältere Menschen steigen schon länger auf ÖPNV um und viele junge Leute fahren mit dem Auto. Der Individualverkehr ist ja auch etwas Gutes. Nur müssen wir für die Umwelt und die Senkung der CO2-Belastung diesen reduzieren und andere Wege gehen. Die Sorge, die wir hier haben, ist, dass Menschen nicht mehr teilhaben können. Das geht gar nicht. Wer genug Geld hat, findet andere Lösungen. Der bestellt sich ein Taxi. Wir haben in Hamburg aber rund 60.000 Menschen, die in Altersarmut leben, und noch mal eine hohe Dunkelziffer. Für die setzen wir uns ein.
Braucht Hamburg eine Offensive für seniorengerechten Verkehr?
Gute Idee. Da müsste man die Verbände und auch die Betroffenen an einen Tisch bringen.
Wie kommen Sie eigentlich von A nach B?
Das ist jetzt eine etwas gemeine Frage. Ich fahre Auto, weil ich so viele Termine habe. Ich schaffe es anders nicht, ich habe das versucht. Aber wenn ich meinen Job als Vorsitzender aufgebe, fahre ich mehr Bus und Bahn. Das ist auch bequemer.
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