Zu Besuch auf der Plattform apex.art: Zum Dahinschmelzen
Die Ausstellung „Goodbye, World“ von Andreas Templin und Raimar Stange bringt die Kunst ins ewige Eis. Dort geht sie dann zugrunde.
So verloren sah er noch nie aus, der berühmte Filzanzug. Ausgerechnet zum hundertsten Geburtstag von Joseph Beuys hängt er inmitten einer schier endlosen Eiswüste an einem hölzernen Dreibein, wie eine Vogelscheuche, die auf den Frühling wartet. Er ist eines der Exponate von insgesamt 10 KünstlerInnen, die an der Ausstellung „Goodbye, World“ von Andreas Templin und Raimar Stange teilnehmen.
Wie so viele Ausstellungen in diesen Zeiten geht auch der Weg in diese Ausstellung übers Netz, in diesem Fall auf der New Yorker Plattform apexart.org, auf deren Open Call die Kuratoren mit dem Vorschlag für dieses Projekt antworteten. Und wie ein Abenteuerfilm fängt es an: Wer auf das erste Bild zur Ausstellung klickt, dem wird sofort klar, dass sich diese Präsentation weder im White Cube noch in der Virtual Reality abspielt.
Stattdessen spektakuläre Videobilder, aufgenommen aus einem Hundeschlitten heraus, es geht durch glitzernde Weiten. Dann stakst der Kurator auf Schneeschuhen herum, packt die auf dem Schlitten mitgebrachten Arbeiten aus und platziert sie im Kreis, wie der Begleittext mitteilt, inmitten des zugefrorenen Bottnischen Meerbusens, knapp unterhalb des Polarkreises.
Dort wird die Ausstellung auch bleiben. Mit den langsam steigenden Temperaturen wird die Eisdecke ab Mitte März nach und nach in einzelne Schollen brechen, die schließlich schmelzen werden. Irgendwann wird der Filzanzug auf seiner Scholle in den Untergang segeln, bis er wie die anderen Werke untergeht und auf dem Meeresboden langsam zersetzt wird.
„Good Bye, World“ existiert bis zur Eisschmelze in der Bothniabucht, Schweden. Broschüre
Vornehmes Gedeck auf dem Eis
Tatsächlich handelt es sich bei dem Anzug „nur“ um ein Faksimile des berühmten Beuys-Multiples, er wurde vom Kieler Künstler Peter Niemann als exakte Kopie angefertigt. Allerdings hat er sein Exemplar mit einem Zusatz versehen: Der Aufnäher einer großen Zigarettenmarke prangt über der Brusttasche, wie das Logo eines Sponsors.
Das weist auf die Verstrickungen und Widersprüche im Verhältnis von Kunst, Konsum und Kapitalismus, auch und gerade beim ökologischen Vorreiter und Mitbegründer der Grünen, der ja auch selbst ein Star des Kunstmarkts war. Und darauf, dass aus dieser Ausstellung kein direktes Kapital zu schlagen ist, denn die gezeigten Werke werden, wenn sie untergehen, nicht nur dem Blick der Betrachtenden, sondern auch dem Kunstmarkt entzogen.
Auch dem „Picknick égoiste“(2002) von Olaf Nicolai steht dies bevor. Dafür wurde vornehmes Besteck und Porzellan für eine Person im Eis ausgelegt, samt Zahnstocher, Serviette und Korkenzieher. Dieses hier so deplatziert wirkende Dinner for One zeichnet sich durch eine ebenso selbstverständliche wie aus der Zeit gefallene bürgerliche Förmlichkeit aus – es wird gegessen was auf den Tisch kommt.
Mehrere Künstler greifen in ihren Arbeiten Motive von Nahrungsmitteln auf: Nika Fontaine ließ einen kleinen Hügel aus mit Kohle geschwärztem Schnee errichten und darauf Brotskulpturen in Totenkopfform anordnen. „Bread of Shame“, lautet der Titel. In Anlehnung an eine Lehre der Kabbala müssen das Brot der Schande diejenigen verzehren, die unverdient ein Geschenk erhalten haben. Gängigen Auslegungen zufolge ist dieses das Geschenk des Lebens, woraus sich die individuelle Verpflichtung ergibt, dieses sinnvoll zu gestalten.
Martha Rosler hat einen Blechkuchen ins Eis geschickt. Dessen Oberfläche hat sie mit einer Fotomontage verziert, die den ehemaligen US-Vizepräsidenten Mike Pence als Chef der neu gegründeten Space Force zeigt. Mit vier Händen wirkt er wie eine Art Buddha eines sinnentleerten Aktionismus, der nur das Ziel hatte, von drängenderen Problemen abzulenken, wie beispielsweise den kalifornischen Waldbränden als katastrophaler Auswirkung des sich immer dramatischer verändernden Weltklimas.
Der Hohepriester der Hybris und Technologiegläubigkeit
Er erscheint als Hohepriester der Hybris, dass Fortschrittsglauben und neue Technologien für alles eine Lösung finden werden. Hoffentlich verderben sich die Tiere nicht den Magen daran.
Der bemalte Tierknochen, den Stefanie von Schroeter den Betrachtenden hinwirft, erinnert an Stanley Kubricks berühmten Film „2001 – Odyssee im Weltraum“, in dem sich ein von Menschenvorfahren in die Luft geschleuderter Knochen in ein Raumschiff verwandelt.
Das morbider Hybrid aus Malerei und Objekt, gleichermaßen künstlerische und natürliche Schöpfung, ist ein Köder, der zur Spekulation anregt, gerade weil er sich der eindeutigen Interpretation verschließt. Als rätselhafter, mystischer Gegenstand, verbinden sich in diesem Vergangenheit und apokalyptische Vorahnung, bunter Überrest einer möglicherweise bereits verlorenen Zukunft.
Die Ausstellung wirkt wie ein Köder
Die gesamte Ausstellung hat etwas von einem Köder. Der Mythos, den sie produziert, ist bestimmt nachhaltiger als die an sich durchaus visuell faszinierende Präsentation der Kunstwerke vor Ort. Die „Vicarious fragile pilgrims“ (stellvertretende fragile Pilger, 2020) sind flatternde Figuren aus weißem Papier, die an einem Tor aus dünnen Baumstämmen flattern.
Sie sind als Stellvertreter da, für die Teilnehmer einer jährlich stattfindenden, zuletzt verbotenen Pilgerreise indigener Völker zu einem durch Schmelze schrumpfenden Gletscher in den Anden, um lebenspendende Eiskristalle zu sammeln.
Damit hat die Künstlerin Eliana Otta aber auch ein Bild für diese Ausstellung gefunden, die Kunstwerke, die als Stellvertreter für die Menschheit dem drohenden Untergang überlassen werden – eine Opfergabe. Damit aber auch ein Plädoyer für eine politische Kunst, die sich positioniert, auf die Dringlichkeit ihrer Anliegen pocht und öffentliche Bilder produziert, die in Erinnerung bleiben werden.
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