Zoonosen bedrohen Gesundheit: Gefährliche Nähe
Lange vor Corona und Affenpocken litten unsere Vorfahren schon unter Zoonosen. Verändert hat sich im Laufe der Jahrhunderte die Gefahr für Pandemien.
Ebola in Westafrika, Zikafieber in Lateinamerika, das Coronavirus als globale Krankheit, HIV als omnipräsente Infektion, Rinderwahn, Schweinepest und Vogelgrippe in unseren Ställen, Salmonellen im Seniorenheim und nun die Affenpocken. Dass an dieser Stelle der Begriff Zoonosen, also zwischen Tier und Mensch übertragene Infektionskrankheiten, kaum erklärt werden muss, liegt wohl an ihrer Alltäglichkeit. Pro Jahr infizieren sich damit etwa 2,5 Milliarden Menschen. Nicht selten liest man sogar vom Zeitalter der Zoonosen.
Ganz richtig ist das nicht, suggeriert es doch, Zoonosen seien eine Geißel der Moderne. Dabei sind sie so alt wie die Menschheit selbst. „Parasiten oder auch Milzbrand sind Beispiele für Erreger, mit denen schon die frühen Menschen zu kämpfen hatten“, sagt Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH).
Die Gründe liegen auf der Hand: Geschwächte und kranke Tiere waren eine leichte Beute für urzeitliche Jäger, die Kulturtechnik des Bratens noch unbekannt. Mit der Sesshaftwerdung in der Jungsteinzeit wächst die Nähe zu (Nutz-)Tieren und damit auch die Wahrscheinlichkeit für die Übertragung.
„Die Größe der Jäger-und-Sammler-Gruppen und frühen Siedlungen sind allerdings noch überschaubar, der Austausch untereinander geringer. Eine Pandemie konnte so nicht entstehen. Es blieb bei lokalen Ausbrüchen“, so der Zoonose-Experte weiter. Das ändert sich spätestens in der Antike.
Die Hochkulturen in Europa, Asien und Afrika stehen im engen Austausch. Die Weltbevölkerung wächst stetig, die Weltmetropolen wie Athen, Babylon oder Rom entstehen. Gut übertragbare Erreger wie Masern oder Pocken haben nun ein leichtes Spiel.
Mangelnde Hygiene und Unwissen
Ihren Ursprung haben viele Krankheiten aber schon deutlich früher. Ein Beispiel dafür ist die Pest. Im 14. Jahrhundert löscht der Schwarze Tod fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung aus. Übertragen wird sie von Flöhen, die im Fell von Ratten sitzen. Begünstigt wird die Pandemie durch schreckliche hygienische Zustände und medizinisches Unwissen im Mittelalter.
Neu ist die Krankheit in dieser Zeit nicht. Paläogenetiker konnten anhand von Knochenfunden zeigen, dass bereits in der Bronzezeit viele Menschen an der Pest verstarben, ganze Landstriche fielen ihr zum Opfer. Völkerwanderungen trugen die Krankheit vermutlich durch die Welt.
Auch Spuren von Lepra oder Syphilis fanden Forschende an Skeletten aus dieser Zeit. Die ersten schriftlichen Quellen zu Zoonosen kommen aus der Antike. „Die Symptome von Tollwut, also Wesensveränderungen, aggressives Verhalten oder Lähmungen, werden schon in historischen Schriften beschrieben. Auch Warnungen vor Hunden gibt es in diesem Zusammenhang schon. Auch passende Beschreibungen zu Pocken oder Milzbrand kennen wir aus römischen, griechischen, aber auch ägyptischen Quellen“, sagt Veronika Goebel vom Institut für Paläoanatomie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Pocken zählen zu den tödlichsten der Krankheitserreger. Für viele antike Seuchen werden sie inzwischen verantwortlich gemacht. Zwischen 430 und 426 v. Chr. tritt zum Beispiel in Griechenland die Attische Seuche auf. Der Philosoph Thukydides schreibt von Fieber, Geschwüren und blutenden Mündern. Viele Menschen sterben, am Ende ist Athen so stark geschwächt, dass die Stadt später von den Spartanern besiegt und eingenommen wird.
Im 2. Jahrhundert n. Chr. bringen römische Legionäre die Antoninische Pest aus Asien in die Metropole. Am Ende sterben 5 bis 7 Millionen Menschen, der Kaiser Mark Aurel inklusive. Die Pandemie tritt zeitlich mit innenpolitischen Spannungen und wachsendem Druck an den Reichsgrenzen auf und trägt zu einer tiefen, ja fast endgültigen Krise des Weltreichs bei. Als Erregerfavorit gelten auch hier die Pocken.
Bis ins 20. Jahrhundert gibt es immer wieder Ausbrüche. Ludwig XV., König von Frankreich, stirbt an Pocken, Queen Elizabeth I. überlebt nur knapp die Infektion. Erst eine großangelegte Impfkampagne ab Mitte der 1900er Jahre beendet diese Bedrohung.
Auch die Masern könnte es schon in der Antike gegeben haben. Dieses Virus ist eng mit dem inzwischen verschwundenen Erreger der Rinderpest verwandt und muss einst vom Rind auf den Menschen übergesprungen sein. Bis heute hält sich die Krankheit wacker, immerhin gibt es aber eine wirksame Impfung dagegen. Dieses Glück hatte ein zweijähriges Mädchen 1912 noch nicht. Ihre Lungen hat sich entzündet, in dieser Zeit war eine Bronchitis lebensgefährlich. Berliner Pathologen entnahmen dem kleinen Körper wichtige Organe und konservierten sie in Alkohol. Ein Glücksfall für das Forscherteam, das knapp 100 Jahre später die Gläser öffnet, auf der Suche nach dem erhaltenen Erbgut des Krankheitserregers.
Sebastien Calvignac-Spencer von Robert-Koch-Institut in Berlin ist einer von ihnen. „Mit dem Erbgut wollen wir die Frage klären, wann sich der erste Mensch mit Masern ansteckte“, sagt der Genetiker. Tatsächlich werden er und sein Team fündig. Das historische Genom vergleichen sie mit modernen Masernviren und verwandten Erregern. So erfahren sie mehr über die Geschwindigkeit, in der sich das Genom verändert und können das Alter des Erregers ausmachen.
Große Städte begünstigen Ausbreitung
Das erstaunliche Ergebnis: Mit 2.500 Jahren sind Masern deutlich älter als bisher angenommen. Nicht im Mittelalter, sondern schon im 6. Jahrhundert v. Chr. traten sie vermutlich auf. „Dieser Zeitpunkt fällt mit der Entstehung großer Städte zusammen. Dort konnten sie gut zirkulieren und sich dauerhaft verbreiten“, sagt Calvignac-Spencer.
Das sei kein Zufall. Immerhin haben epidemiologische Studien gezeigt, dass Masernviren eine Bevölkerungsgruppe von mindestens 250.000 Menschen brauchen, um sich auszubreiten und dauerhaft zu überleben. Antike Metropolen wie Athen, Rom oder auch Babylon erfüllen mit ihrer Größe und den internationalen Handelsbeziehungen alle Kriterien für eine „gute“ Weitergabe durch direkten Kontakt oder Tröpfchen-Infektion. Im Abgleich mit historischen Quellen finden sich außerdem einige Ausbrüche, bei denen die beschriebenen Symptome durchaus zu einer Masern-Erkrankung passen.
Das Wissen über historische Zoonose-Pandemien wächst also stetig, auch Impfungen und Heilmittel gegen Masern, Pocken oder Pest gibt es heute. Ein Ausbruch, wie zuletzt bei Covid-19, stellt unsere Welt trotzdem vor große Herausforderungen und kostet Millionen von Menschen das Leben. Weltweit ringen Fachleute deshalb um bessere Überwachung von Zoonose-Erregern wie SARS oder die Pocken, um bessere Kommunikation zwischen Pandemie- und Gesundheitsexperten und die Entwicklung von universelleren Impfstoffen.
Selber schuld?
Doch ein großes Problem bleibt dabei oft unerwähnt, unser eigenes Verhalten. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, bei Zoonose auf die Tiere als Verursacher zu zeigen“, sagt Fabian Leendertz. Es sei vor allem unser eigenes Verhalten, dass die Ausbrüche befeuert, früher wie heute.
Die Weltbevölkerung wächst, mit ihr die Metropolen. Der menschengemachte Klimawandel fördert auch die Ausbreitung von Mücken und Zecken, die gefährliche Krankheiten übertragen können. Außerdem dringen wir Menschen immer weiter in natürliche Lebensräume ein, machen Jagd auf Wildtiere, treiben mit ihnen illegalen Handel und sorgen so für neue Übertragungswege. Wenn wir konsequent die Natur schützen und respektieren, wäre das ein wichtiger Schritt für die Prävention vor neuen Pandemien – auch das ist eine Erkenntnis, die wir aus der Geschichte ziehen könn(t)en.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe