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Zolldrohung gegen RusslandDer Rubel rollt nicht mehr

Russlands hochsubventionierter Kriegswirtschaft geht es schlecht, besonders wegen sinkender Gas- und Ölexporte. Neue US-Zölle treffen sie zusätzlich.

Bade­vergnügen in der Nähe von St. Petersburg. Im Hintergrund: Erdöl-Tanks, von deren Inhalt Russland gerade zu wenig exportiert Foto: Dmitri Lovetsky/ap

Für Russland kommt es im Angriffskrieg auf die Ukrai­ne dieser Tage besonders dick: Nach Angriffen der Ukrai­ne auf russische Ölraffinerien stieg der Benzinpreis an Moskauer Tankstellen am Dienstag rasant. Dann war da vor wenigen Tagen der Tsunami, der nach dem größten Erdbeben bei den russischen Pazifikinseln Kurilen seit 70 Jahren 120 Tonnen Lachs und Millionen Jakobsmuscheln aus einer Fischverarbeitungsanlage ins Meer gespült hatte. Und inzwischen rutschen sogar die besonders vom Kreml-Kriegsregime verwöhnten Rüstungsbetriebe in die Pleite.

Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow warnt bereits davor, sein Land stehe „am Rande einer Rezession“. German Gref, Chef der noch immer größten Bank Osteuropas, der russischen Sber, spricht sogar von einem „perfekten Sturm“, der sich über der Wirtschaft zwischen Petersburg und Pazifik zusammenbraue. Das Haushaltsdefizit, dessen Höhe das Finanzministerium bereits im März ausgeweitet hatte auf umgerechnet 41 Milliarden Euro, hat bereits im ersten Halbjahr über 90 Prozent dieser Marke erreicht.

Ein Hauptgrund: der deutliche Fall der Öl- und Gasexporte. Sie machen etwa ein Drittel der russischen Haushaltseinnahmen aus. Russlands Ölexporteinnahmen schätzt die Kyiv School of Economics auf nur noch 141 Milliarden Dollar im laufenden Jahr nach laut der Internationalen Energieagentur 192 Milliarden für Rohöl- und Ölproduktausfuhren 2024.

Ob Kremlchef Wladimir Putin überhaupt noch mit Geld in dieser Höhe rechnen kann, hängt vor allem von US-Präsident Donald Trump ab. Der bisher Putin freundlich gesinnte Chef im Weißen Haus droht: „Wenn der Ölpreis um weitere 10 Dollar pro Barrel fällt, wird Putin keine andere Wahl haben [als den Krieg zu stoppen]. Die Wirtschaft befindet sich bereits in einer schwierigen Lage“, sagte Trump am Dienstag in einem CNBC-Interview. Er will nach seinen Angaben in den nächsten Tagen Russland mit ernsthaften Sanktionen treffen, um ein Ende des russischen Überfalls auf die Ukraine zu erzwingen.

US-Besuch in Moskau

Langes Gespräch Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Mittwoch in Moskau etwa drei Stunden lang mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff gesprochen. Einzelheiten zu dem Treffen wurden zunächst nicht genannt. Fotos des Kremls zufolge nahm auch Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow an dem Gespräch teil. Der US-Unterhändler kommt im Auftrag des US-Präsidenten Donald Trump. Dieser droht mit Sanktionen, falls der Krieg gegen die Ukraine nicht rasch beendet wird.

Kurzes Ultimatum Sollte die Frist zu einer Waffenruhe, die Trump dem russischen Präsidenten gesetzt hat, ohne Ergebnis verstreichen – sie begann laut Trump am vergangenen Dienstag und läuft an diesem Freitag aus – will Trump Strafmaßnahmen verhängen. Diese sollen sich auch gegen Staaten richten, die russisches Öl und Gas kaufen, um Moskau die Finanzierung des Krieges zu erschweren. Darunter ist auch Indien. (dpa)

Russisches Öl und Gas fließt weiter nach Ungarn

Die Drohungen aus Washington seien „nicht hinnehmbar“, moserte Putins Sprecher Dmitri Peskow nach Trumps Ankündigung, Indien mit noch höheren als den bisher schon verhängten 25-prozentigen Strafzöllen zu überziehen, die ab Freitag greifen sollen. Tatsächlich unterschrieb Trump dann am Mittwochnachmittag ein Dekret, für viele indische Produkte die Einfuhrzölle auf 50 Prozent zu verdoppeln. Diese Regelung soll in drei Wochen in Kraft treten.

Indien bezieht mit etwa 1,75 Millio­nen Barrel täglich etwa 51 ­Prozent der russischen Erdöl­ausfuhren. Auch China und die Türkei kaufen weiter Treibstoff in großem Stil von Russland – und einige EU-Staaten auch: 209 der 883 Milliarden Dollar, die Russland seit der Vollinvasion in der Ukraine 2022 durch Ausfuhren erlöste, kamen nach Berechnungen des Centre for Research on Energy and Clean Air aus EU-Ländern. Russisches Öl und Gas fließt weiter nach Ungarn und in die Slowakei, andere Länder kaufen verflüssigtes Erdgas (LNG) oder noch immer Gas aus russischen Pipelines gen Türkei.

Exportverbote für Diesel und Benzin

Die jüngsten ukrainischen Drohnenangriffe auf zwei russische Raffinerien führten derweil dazu, dass am Dienstag die Moskauer Behörden Exportverbote für Diesel und Benzin verhängten. Das dortige Finanzministerium ­rechnet wegen der deutlich geringeren Einnahmen aus Öl- und Gas-Verkäufen mit einer Verdreifachung des Haushalts­defizits und einem Abschmelzen des einst mit Gold und chinesischen Yuan durch hohe Überschüsse aus der Öl- und Gasförderung prall gefüllten ­Nationalen Wohlfahrtsfonds. Fast zwei Drittel der bei Kriegsbeginn angesparten Milliarden sind inzwischen weg.

Die Ebbe in der Kreml-Kasse macht das bisher erfolgreiche Abmildern westlicher Sanktionen immer schwerer. Flaute herrscht nicht nur beim „schwarzen Gold“. Auch andere Sektoren stehen unter Druck und könnten weitere drastische Verluste bei den Energieausfuhren nicht ausgleichen: Wegen der erheblichen Ernteausfälle aufgrund zweijähriger Dürre im Weizen-Hauptanbaugebiet rechnet das Institut für Agrarmarktstudien in Moskau statt der Rekordernte von 2023 mit etwa 154 Millionen Tonnen Getreide nur noch mit 130 Millionen Tonnen in diesem Jahr.

Die landwirtschaftlich bedeutsamen Gebiete Russlands erwärmen sich wegen der Klimakrise sieben Mal so schnell wie der Rest der Welt. Der größte Weizenexporteur der Welt leidet zudem unter der größten Kartoffel- und Gemüsekrise seit Jahrzehnten: Die Preise haben sich in den vergangenen Monaten verdreifacht. Wegen anhaltender Missernten ruft der Agrarverband Russinnen und Russen auf ihre „Datschas“: Baut Obst und Gemüse besser selbst an.

Nun kommt zum Problem mit Indien auch noch Ärger mit dem Verbündeten China: Die russische Normierungsbehörde hat gerade den Import chinesischer LKW gestoppt und sogar tausende schon in Russland zum Verkauf stehende Laster aus dem Verkehr gezogen. Offizielle Begründung: Probleme mit den Bremsen und Verstoß gegen Abgasnormen. Die nationale Normungsorganisation Ros­standard „hat aber trotz Bedenken wegen der Bremssysteme chinesischer Marken kein vollständiges Fahrverbot für schon verkaufte Lkws verhängt“, bemerkt das Warschauer Zentrum für Oststudien.

Russische Lkw-Hersteller haben Kurzarbeit angeordnet

Der wahre Grund dürfte also darin liegen, dass die russischen Lkw-Hersteller Kamaz und GAZ gerade Kurzarbeit angeordnet haben – nach Absatzeinbrüchen von 60 Prozent, trotz der Lieferungen von Lastern an die Front. Auch der Absatz von in Russland produzierten Pkws ist seit Jahresbeginn weiter um ein Viertel gesunken, nach einem doppelt so großen Einbruch schon im Vorjahr. Sechs von zehn in Russland verkaufte Neuwagen kommen aus China, bei Lkw beträgt dieser Marktanteil 65 Prozent.

Selbst der militärisch-industrielle Sektor zeigt Anzeichen einer Stagnation. In der Leninstraße 431 in Michail Gorbatschows Heimat Stawropol klagt der Elektronikfirmenchef Pawel Bondarenko über „staatlich festgelegte Preise weit unter den Produktionskosten“, die das Verteidigungsministerium erzwinge. Dadurch seien sein Werk Optron-Stawropol in den Konkurs und die Mitarbeiter des einzigen russischen Herstellers von Silizium­dioden für Suchoi-Kampfjets zu Kündigungen gezwungen worden.

Die Rüstungsindustrie hat nicht nur Milliardensubventionen verschlungen. 6,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Russland offiziell für Militär und Bewaffnung aus, mehr als doppelt so viel, wie Deutschland aktuell plant. Durch rasante Lohnerhöhungen in den Rüstungsschmieden werden massiv Arbeitskräfte aus anderen Branchen abgezogen in einem Land, das nur 2,3 Prozent Arbeitslosigkeit hat. Und in dem die vielen Gefallenen, ins Ausland Geflüchteten und durch das grassierende Coronavirus in den Schützengräbern Erkrankten das Arbeitskräftepotenzial noch dezimieren.

„Diese Rezession ist kein Fehler – sie ist die logische Folge von Russlands Militarisierung der Wirtschaft“, meint Elina Ribakova vom Peterson Institute for International Economics über die aktuelle Wirtschaftslage. Zentralbankchefin Elvira Nabiullina fordert inzwischen „ein neues Wachstumsmodell“.

Putins Kriegskapitalismus

Russland bricht nicht zusammen, aber es zermürbt sich selbst

Benjamin Hilgenstock, Ökonom

Putins dekretierter Kriegskapitalismus hat zu schweren ökonomischen Verwerfungen geführt. 4,1 Prozent Wirtschaftswachstum konnten seine Finanzjongleure um Zentralbankerin Elwira Nabiullina in den beiden Jahren nach dem Überfall auf das Nachbarland generieren. Das Institute for International Finance rechnet jetzt nur noch mit 0,8 Prozent.

„Das war nie nachhaltiges Wachstum, sondern Überhitzung, die als Erholung verkauft wurde“, bilanziert Benjamin Hilgenstock von der Kyiv School of Ecnomomics die bisherigen Bemühungen. Russland leidet unter einer Inflation von 9,4 Prozent. Die Zentralbank bekommt sie trotz eines Leitzinses von 18 Prozent kaum in den Griff, würgt aber Investitionen der Wirtschaft außerhalb des mit staatlich subventionierten Krediten versorgten Rüstungssektors ab.

Nun komme der Versuch, eine Kriegswirtschaft unter Bedingungen globaler Isolation und mit zunehmend knapperen Ressourcen zu erhalten, analysiert die Brüsseler Denkfabrik Bruegel in einer aktuellen Studie zu Russlands Wirtschaft: „Russland führt nicht nur Krieg – es versucht, ihn mit immer weniger Spielraum zu finanzieren“, so Co-Autorin Ribakova.

Im Russland Putins, der in 20 seiner 25 Jahre als Staatschef Kriege geführt hat, können inzwischen die seit dem Überfall auf die Ukraine betriebene Finanz- und Geldkosmetik eine tiefgreifend nötige Transformation nicht mehr ersetzen. Nur dadurch entstehe nachhaltiges Wachstum, sagt Hilgenstock. So wie es derzeit laufe, „bricht Russland nicht zusammen – aber es zermürbt sich selbst“. Wie lange es weitergehe, sagt der Analyst, „hängt von Ölpreisen, Sanktionen und Geopolitik ab, die eine Kurskorrektur erzwingen könnten“ – und damit also stark vom US-Präsidenten Trump.

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