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Zoff um Haltung zum Gaza-KriegStressreaktion im Fußballparadies

Jackson Irvine ist Profi bei St. Pauli und Fanliebling. Nun wurde er wegen seiner Haltung zu Palästina von einem Funktionär zum Abschuss freigegeben.

Außen vor: Jackson Irvine sorgt derzeit abseits des Platzes für Aufsehen Foto: Lobeca/imago

Hamburg taz | Bei der 0:1-Niederlage in Bremen musste der FC St. Pauli einmal mehr ohne seinen Kapitän auskommen. Jackson Irvine, gerade erst von einer OP nach Stressreaktion im Mittelfuß genesen, hatte zuletzt einen Rückschlag erlitten und stand daher nicht im Kader. Dennoch dreht sich auf St. Pauli derzeit alles um ­Irvine. Um dessen politisches Engagement für die Palästinenser ist eine Schlammschlacht entbrannt.

Schon im Mai hatte Irvine Teile der Fanszene irritiert: Seine Ehefrau Jemilla Pir hatte auf Instagram Fotos veröffentlicht, die ihn mit einem pinken T-Shirt der Modemarke „FC Palestina“ zeigen. Darauf ist stilisiert die Nummer 11 zu sehen – zusammengesetzt aus den Umrissen des früheren britischen Mandatsgebiets Palästina, einschließlich des heutigen Israel.

Das Symbol wird weithin als Absage an das Existenzrecht Israels und mithin als antisemitisch interpretiert. Irvine sagte dazu, er habe mit dem T-Shirt auf die Not der Bevölkerung von Gaza aufmerksam machen wollen. Kritik an seiner Aktion nannte er „sehr verletzend“. Zum Existenzrecht Israels bekannte Irvine sich damals nicht.

Bei St. Pauli ist das Thema, wie in der Linken insgesamt, umstritten. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatten Club und Fanszene sich solidarisch mit den Opfern gezeigt. Aber in den vergangenen Wochen und Monaten ist im Stadion vermehrt Kritik an Israels Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung laut geworden.

Haltungsstreit auf Social Media

Vor zwei Wochen nun positionierte sich Irvine erneut, indem er auf Instagram ein Video einer Hamburger Demonstration unter dem Titel „SOS Gaza“ postete. Obwohl sein Arbeitgeber im Vorfeld der Demo kritisiert hatte, dass Fans im Stadion dafür geworben hatten, weil dazu neben linken auch rechts-offene Gruppierungen aufgerufen hatten.

Der Konter kam von einem Aufsichtsratsmitglied des Vereins: René Born hat in beispielloser Weise auf Instagram gegen den Kapitän seines Clubs geschossen – über Bande. Unter einem Posting von Irvines Ehefrau Jemilla Pir hatte er geschrieben: „Niemand ist größer als der Club!“ Zwei Tage später legte Born noch mal nach: „Das ist unser Club, nicht deiner. Du wirst in wenigen Monaten weg sein und für einen Euro mehr woanders spielen. Wir werden immer hier sein, während du nicht mehr als eine Fußnote bist.“

Online-Mobber müssen zur Rede gestellt werden. Insbesondere solche wie René Born, die in einer Machtposition sind

Jemilla Pir, Spielerfrau

Die Britin antwortete auf das Foul mit einem Video: „Online-Mobber müssen zur Rede gestellt werden“, sagt sie darin. „Insbesondere solche wie René Born, die in einer Machtposition sind und glauben, dass sie dich öffentlich einschüchtern können und dir das Gefühl geben, dass sie dich aus deinem Zuhause vertreiben können.“

Das war durchaus wörtlich gemeint: Irvine spielt nicht nur auf St. Pauli, sondern lebt auch dort. Erst vor ein paar Wochen hatte er in einem Interview für die Fußballer-Gewerkschaft Fifpro davon geschwärmt, wie schön es sei, nach einem Bundesligaspiel vier Minuten zu Fuß nach Hause zu gehen. Er habe sich bewusst dafür entschieden, weil der Stadtteil zu seinem Lebensstil passe, als „Angelpunkt von Diversität, Kunst und Kultur – alles, was ich am Leben interessant finde“.

Kiezkicker aus dem Bilderbuch

Der Australier mit schottischen Wurzeln ist ein Profi wie gemalt für St. Pauli. Offensiv wie kein anderer Spieler identifiziert er sich mit der linken Haltung und den sozialen Werten des Clubs. Mit seinen blondierten langen Haaren, Schnurrbart und gelegentlichem Nagellack ist er anschlussfähig für die junge, eher genderfluide Generation der Fans. Er spielt Gitarre und ist in der britischen Popszene gut vernetzt, wirbt für das Reeperbahn-Festival ebenso wie für das soziale Unternehmen Charitea. Fast zu schön, um wahr zu sein.

Während seiner langen Verletzungspause ist viel Werbung in eigener Sache hinzugekommen. Das Ehepaar Irvine/Pir inszeniert sich als popkulturelles Powercouple. Vor allem zum Wohle von Pirs noch ziemlich jungem Modelabel. Immer wieder sind die beiden an emblematischen Orten im Stadtteil zu sehen – in T-Shirts, die dem Merchandising des FC St. Pauli manchmal zum Verwechseln ähnlich sehen. Darüber sind im Stadtteil nicht alle froh. Der Verein muss das hinnehmen, da er sich den Namen des Stadtteils nicht markenrechtlich schützen lassen kann.

Vordergründig hätte man Borns Ausfälligkeiten auch darauf beziehen können. Doch Born gehört zum proisraelischen Flügel unter den St.-Pauli-Fans, sein Profil zieren gelbe Schleifen, als Zeichen der Solidarität mit den Geiseln in der Gewalt der Hamas.

Born hat seine Posts nach Gesprächen mit der Clubführung gelöscht, die sich auch in einem Brief an Irvine und Pir für dessen Pöbeleien entschuldigt hat. Von Born dagegen, ließ Pir am Freitag wissen, „haben wir nichts gehört“.

Gut möglich, dass der am Ende teilweise recht behält: Irvine möchte im kommenden Jahr mit Australien zur WM fahren und braucht dafür dringend Spielpraxis. Die ist dem Kapitän bei St. Pauli derzeit, auch wenn er fit ist, nicht sicher. Dazu spielen im defensiven Mittelfeld Neuzugang Joel Fujita und der von einer Schulterverletzung genesene James Sands zu stark. Die Versuchung könnte groß werden, im Winter noch einmal zu wechseln.

Vielleicht hat Born sie noch ein bisschen größer gemacht – und hätte damit das getan, was er Irvine vorwirft: sich und seine politische Haltung über den Verein gestellt.

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11 Kommentare

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  • Warum können sich denn nicht Sportler nur um eines kümmern: den Sport.



    Die Situation spaltet mehr und mehr die Bevölkerung.



    Nun also auch den Sport. Wie traurig!

  • René Born an die Adresse von Irvine:

    „Das ist unser Club, nicht deiner. Du wirst in wenigen Monaten weg sein und für einen Euro mehr woanders spielen. Wir werden immer hier sein, während du nicht mehr als eine Fußnote bist.“

    Klingt fast, als wäre Jackson Irvine aus Sicht von Born so etwas wie ein "wurzelloser Kosmopolit", der im Gegensatz zu ihm keine Heimatverbundenheit kenne.

    Wahrscheinlich wähnt sich René Born mit diesem verhängnisvollen Bild auch noch als Kämpfer gegen Antisemitismus.

  • Puh, was war denn das für ein respektloser Umgangston von Born?



    Für gleiche Rechte universal zu sein, wofür St. Pauli auch stehen will, schließt natürlich auch Palästina und palästinensische Menschen ein.



    Das haben viele lange leider übersehen.

    Von gewissen Abbildungen des Lands rate ich jedoch großisraelischen wie großpalästinenischen Aktivisten gerade dabei deutlich ab.

  • René Born sagt: „Das ist unser Club, nicht deiner. Du wirst in wenigen Monaten weg sein und für einen Euro mehr woanders spielen. Wir werden immer hier sein, während du nicht mehr als eine Fußnote bist.“

    Das klingt fast wie: "Du bist ein Kosmopolit, der nur an an Geld denkt, während wir deutschen Vereinsmeier eine Heimat haben."

    Der Fußballclub FC St. Pauli mit einer bewusst linken, antifaschistischen und den Menschenrechten verpflichteten Kultur ist meiner Ansicht nach der falsche Verein für einen wie René Born.

  • 》Nun wurde er wegen seiner Haltung zu Palästina von einem Funktionär zum Abschuss freigegeben《



    .



    Und: 》René Born hat in beispielloser Weise auf Instagram gegen den Kapitän seines Clubs geschossen – über Bande.《



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    Vielleicht doch mal über die Wortwahl nachdenken?



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    Unbestritten, auch im Artikel, scheint ja: 》Das Symbol [die Nummer 11 zusammengesetzt aus den Umrissen des früheren britischen Mandatsgebiets Palästina, einschließlich des heutigen Israel] wird weithin als Absage an das Existenzrecht Israels und mithin als antisemitisch interpretiert《



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    Außerdem: 》Zum Existenzrecht Israels bekannte Irvine sich damals nicht.《



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    Eigentlich klare Kante gegen Rechts, gegen Antisemitismus, was Born da abgeliefert hat.



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    Aber wenn das Thema 'insgesamt in der Linken' "umstritten" ist, zu der Demo "neben linken auch rechts-offene Gruppierungen aufgerufen hatten"...



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    'Mailand oder Madrid - Hauptsache... Israel'?

  • Kritik an Israel = Antisemitismus

    Diese Gleichung findet sich leider auch hier mal wieder und macht dann jede Kritik an Israel unmöglich.



    Der Autor sollte sich mal den fast gleichzeitig erschienen Artikel / Interview zu dem Verdacht von gezielten Tötungen von Männern in einem bestimmten Alter durch die israelische Armee durchlesen und dann nochmal überlegen, ob Kritik daran wirklich antisemitisch ist.

  • Was hat denn Herr Born so falsches getan ?



    Vielleicht hat er mit dem einen Euro etwas untertrieben, aber Irvine ist um Geld zu verdienen gekommen, und irgendwann wird er auch wieder gehen, besonders wenn er anderswo mehr verdienen kann.

  • Weshalb die gelbe Schleife gleichbedeutend mit "proisraelischem Lager" ist und was genau mit dieser Zuschreibung zum Ausdruck gebracht werden soll, weiß vermutlich nur Jan Kahlcke. Angehörige der Geiseln zählen bekanntlich zu den schärfsten Kritikern Netanyahus. Nebenbei muss man nicht "proisraelisch" sein, um den platten Aktivismus des Ehepaars Irvine/Pir zu kritisieren, und den ihrer offen antisemitischen Allies, die Hisbollah und Hamas zu Helden erheben, Israel von der Landkarte getilgt sehen wollen und für die der 7. Oktober 2023 folgerichtig ein großer Festtag war.

    Wer den Konflikt um Irvine dennoch so labelt, hier würde jemand "zum Abschuss freigegeben", weil ein "proisraelischer AR" eine abweichende "politische Haltung" nicht erträgt, schreibt schlichtweg am Thema vorbei.

  • Da fällt einem natürlich irgendwie das Grundgesetz ein. Freie Meinungsäußerung und so. Aber da es bei diesem Thema schon mehr als ein Berufsverbot gab - z.B. auch beim ÖRR - ist das ja nichts Neues. Das ist das Land, in dem wir leben. Und es geht abwärts.

  • Wenn ein Flachkicker unbedingt sein politisches Gebrabbel loswerden muss, kann er auch mit den Konsquenzen leben.

  • Wer sind denn diese rechts offenen gruppierungen?