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Zerstörung von AKW SaporischschjaWarnung vor Anschlag

Ukrainische Atomexperten spekulieren darüber, ob, wann und wie Russland das AKW Saporischschja zerstören könnte. Der Geheimdienst ist alarmiert.

Strahlenschutzübung in Saporischschja Foto: Evgeniy Maloletka/ap

Kyjiw taz | Plant Russland einen Anschlag auf Europas größtes Atomkraftwerk, das im ukrainischen Energodar gelegene AKW Saporischschja? Das jedenfalls sagt der ukrainische Geheimdienst. Russland soll den Kühlwasserteich auf dem Gelände vermint haben. Präsident Wolodimir Selenski warnte Anfang der Woche die internationale Gemeinschaft vor dieser Gefahr. Seitdem wird darüber spekuliert, wann und wie Russland das AKW zu zerstören versuchen und wie man das verhindern könnte.

„Ich glaube nicht, dass sie die Reaktoren in die Luft jagen werden“, sagte die unabhängige Atomexpertin Olga Koscharna auf einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center auf dem Kiewer Maidan am Dienstag. Eher würden sie das Abkühlbecken für abgebrannte Brennstäbe sprengen oder die Wasserzufuhr behindern, ist sich Koscharna sicher.

Das AKW Saporischschja ist seit dem 3. März 2022 unter russischer Militärkontrolle und gerät immer wieder unter Beschuss. Das AKW liegt an der russisch-ukrainischen Front­linie in der südukrainischen Region Saporischschja. Das AKW ist derzeit nicht in Betrieb und erhält lediglich Energie von ukrainischer Seite, um die Reaktoren am Laufen zu halten.

In einem Beitrag in der renommierten Zeitung Dserkalo Tyschnja (Wochenspiegel) erklärt Mykola Gawris, Dozent am Polytechnischen Institut der Charkiwer Universität: „Man kann das Reaktorgebäude verminen, den Reaktor selbst jedoch nicht“. Das sei nicht nur wegen der hohen Radioaktivität nicht möglich. Es gebe dort einfach keinen Ort, an dem man einen Sprengsatz anbringen könnte.

„Wahrscheinlich sprengen sie die Brennelemente“

Für Gawris besteht das größte Risiko darin, dass die Russen das AKW nicht friedlich verlassen, wenn es für sie an der Zeit sei, zu fliehen. „Wahrscheinlich werden sie versuchen, das Trockenlager oder die Becken für abgebrannten Brennelemente im AKW zu sprengen“, schreibt Gawris im Dserkalo Tyschnja.

„Im ersten Fall wird die Umgebung kontaminiert, aber der größte Teil der radioaktiven Stoffe wird im Lager verbleiben. Im zweiten Fall werden die Innenräume des AKW Saporischschja erheblich kontaminiert.“ Außerhalb des AKW-Geländes würde es jedoch fast keine radioaktive Kontamination geben, ist Gawris überzeugt. „Eine Evakuierung in größerem Umfang oder gar die Einrichtung einer Sperrzone würde nicht erforderlich sein.“

Demgegenüber schließt Ivan Kovalez, Umweltinformatiker am Institut für mathematische Maschinen und Systeme der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, eine Sperrzone nicht aus. Im schlimmsten Fall, so zitiert der ukrainische Dienst der Deutschen Welle Kovalez, müsste die Bevölkerung in einem Umkreis von 20 Kilometern um das AKW sofort evakuiert werden. Insgesamt müsse man in so einem Fall mit gesundheitlichen Gefahren in einem Gebiet in einem Radius von bis zu 550 Kilometern um das Kraftwerk herum rechnen.

Die unabhängige Atom­expertin Olga Koscharna warnt zudem in einer Kolumne für die Onlineausgabe vom unabhängigen Medium „New Voice of Ukraine“: „Im Falle eines Terroranschlags Russlands auf das AKW Saporischschja mit Strahlenfolge könnte ein großer Teil der landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine, Russland und den Nachbarländern auf Jahrhunderte für die landwirtschaftliche Produktion nutzlos werden.“

Die sechs Reaktoren des AKW sind abgeschaltet, müssen aber weiter gekühlt werden. Sorgen macht ukrainischen Atom­expertInnen insbesondere Reaktor 5. Der befindet sich nach Aussagen Koscharnas, die früher mal Mitglied des Kollegiums der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde war, immer noch im Zustand einer sogenannten Heißabschaltung. Obwohl die ukrainische Atomaufsichtsbehörde eine Kaltabschaltung auch dieses Reaktors angeordnet habe, weigerten sich die Besatzer, das auch zu tun. Dabei seien sie dazu sowohl nach ukrainischem als auch russischem Recht verpflichtet.

Im US-Senat wurde vergangene Woche eine Resolution eingebracht, nach der die Zerstörung einer Atomanlage seitens Russland als Angriff auf die Nato zu werten sei, wenn dadurch Nato-Gebiet kontaminiert werde.

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11 Kommentare

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  • Man sollte nicht nur vorsichtig bei den Meldungen aus Moskau, sondern auch aus Kiew sein (Nordstream dürfte dafür ein gutes Beispiel sein).

    Natürlich besteht eine Gefahr, dass Russland oder auch die Ukraine (wobei letzteres unwahrscheinlicher ist) einen Anschlag verüben. Aber wahrscheinlicher dürften wohl Schäden durch einen Wiedereroberungsversuch sein, unabhängig davon ob er klappt.

    Wenn man sich das vor Augen hält was dort passiert ist es absoluter Wahnsinn;



    Wie kann man nur so verrückt sein und ein AKW erobern? Und wie kann man fast genauso verrückt sein und versuchen es zurückzuerobern?

    Die ganze Thematik zeigt Recht deutlich welche Verantwortungslosigkeit bei vielen Entscheidungsträger vorhherrscht.

    • @Alexander Schulz:

      Wie kommen Sie auf die Idee,



      dass die Ukrainer eine (direkte, militärische) Rückeroberung des AKW in Erwägung ziehen?



      Die Russen werden irgendwann gezwungen sein, den gesamten Süden zu räumen, also auch das AKW, und sich auf die Krim zurückzuziehen. Werden sie einfach so abziehen, oder vorher mutwillig eine Havarie herbeiführen oder Sprengungen durchführen, dass ist die Frage, die Putin allein beantworten kann, und auf die weder der Westen noch die Ukrainer Einfluss nehmen können.

  • "Im US-Senat wurde vergangene Woche eine Resolution eingebracht, nach der die Zerstörung einer Atomanlage seitens Russland als Angriff auf die Nato zu werten sei, wenn dadurch Nato-Gebiet kontaminiert werde."



    //



    Also dann Bündnisfall? Mobilisierung? Gegenschlag, sogar aus der Luft? Wie ist die Strategie?



    Ähnlich aussichtsreich: Beteiligte Einheiten zu terroristischen kriminellen Vereinigungen erklären und ein Prozess in Den Haag.



    Es muss baldigst eine Verhandlungslösung mit einem Sonderstatus (extraterritorial) geben, denn eine (vielleicht unbeabsichtigte) GAU-Initiierung ist nach dem Ökozid am Staudamm ja keineswegs auszuschließen. Die russischen Fähigkeiten zur Wahrung der technologischen Souveränität werden in einigen neuralgischen Bereichen wohl maßlos überschätzt, das letzte Wochenende war ein Lehrstück zu "fliehenden Kräften".

  • bitte erinnern wir uns wie von der anti-atomkraft bewegung noch vor harrisburg und tchernobyl davor gewarnt wurde, wie katastrophal gefährlich a-werke in kriegerischen ausseinandersetzungen sind. fest in den boden betonierte bomben. et voilà*

  • Internationale Beobachter und Inspektoren der



    Atomenergiebehörde (IAEA) konnten bei ihrer Untersuchung, laut eigener Aussage, bisher keinerlei Anzeichen für eine Verminung durch die Besatzer ausmachen.....soviel dazu.

    • @Jens,Lars, Antifarce...:

      Allerdings scheint die IAEA auch noch immer keinen vollständigen Zugang zu der Anlage zu bekommen und zwar u.A. nicht zu den besonders kritischen Kühlsystemen.



      www.tagesschau.de/...selenskyj-100.html

      • @Ingo Bernable:

        Nichtsdestotrotz wurden die Behauptungen des ukrainischen Geheimdienstes damit gesichert wieder als genau das bestätigt, was sie sind...Behauptungen. Das solche von vielen Medien meist bereitwillig in völlig unkritischer Weise aufgegriffen und dann auch ebenso publiziert werden erweist der Sache sowie der eigenen Glaubwürdigkeit, bei allem Verständnis für die Situation der Ukraine, auf längere sicht einen absoluten Bärendienst...



        Und das Dinge wie die so gerne beschworenen "westlichen Werte", z.B. in Gestalt von Menschenrechten, die Vertretung legitimer eigener geopolitischer Interessen, oder eine konsequente Achtung/Durchsetzung getroffener Abmachungen/geltenden Rechts vom überwiegenden Teilen der westlichen politischen Führung in der tatsächlichen Praxis eine doch nur recht selektive Rolle spielen...nämlich lediglich exakt so lange es den eigenen Interessen auch nicht entgegensteht...macht es nicht besser.

        Worauf Ich damit eigentlich hinaus will, ist folgendes: Um das unser eigenes, auf Humanität und dem entsprechendem gemeinsamen Wertekanon basierendes Selbstverständnis als westliche Gesellschaft auch auf eine halbwegs integere Art und Weise nach außen repräsentieren zu können, wäre es um wirklich ernst genommen zu werden aufs dringlichste geboten uns mal wieder ernsthaft in etwas Demut und kritischer Selbstreflexion zu üben.



        Denn mit solch unsäglichen Attitüden wie z.B. unserem absolut überheblichen, und vor allem zunehmend in entlarvender Heuchelei mündentem, Dogmatismus unterminieren wir nicht nur alles jenes, was wir derart großspurig vorgeben ebenso zu vertreten, wie auch bewahren zu wollen; oh nein - wir laufen dazu auch unnötig Gefahr uns im Zuge der eigenen Ignoranz schlussendlich höchstselbst - wenn auch nur in klitzekleinen Schritten und daher fast unmerklich - in etwas zu verwandeln dessen Bekämpfung unser ursprüngliches Ziel war.

        • @Jens,Lars, Antifarce...:

          Ich denke die Fakten sprechen auch unabhängig von der Frage ob diese isolierte Information des ukrainischen Geheimdienst verifizierbar ist oder nicht eine doch sehr eindeutige Sprache sprechen. Da sitzt die Armee der Kriegspartei, die in diesem Krieg bereits für eine Liste an Kriegsverbrechen erheblicher Länge verantwortlich ist und immer wieder ihre Bereitschaft zur nuklearen Eskalation erklärt auf einem Reaktor der immer wieder beschossen wurde und der bereits mehrfach in der Lage war die Kühlung nur noch knapp sicherstellen zu können. Verhandlungen um eine Sicherheitszone mit der das AKW aus dem Kriegsgeschehen herausgehalten werden könnte scheiterten und zwar wohl kaum an mangelndem Interesse der Ukraine.



          Man hat also allein schon auf Grundlage von Informationen die als relativ gesichert gelten können mehr als genug Grund zur Sorge und zu der Befürchtung, dass es in der Anlage zu einem 'Unfall' kommen könnte wenn dies im strategischen Interesse der russischen 'Spezialoperation' liegen sollte. Die Frage ob man westliche Werte teilt oder für verlogene Doppelmoral hält spielt für diese Einschätzung keinerlei Rolle.

  • „Ukrainische Atomexperten spekulieren darüber, ob, wann und wie Russland das AKW Saporischschja zerstören könnte. Der Geheimdienst ist alarmiert.“



    Das reicht nicht, das geht über nationale Sicherheitsinteressen der Ukraine weit hinaus, da gehören von Kiew ausgehend die gesamte Völkergemeinschaft, UNO Vollversammlung, UNO Sicherheitsratsmächte, IAEO in Wien alarmiert, Verantwortung zu übernehmen, den AKW Komplex Saporischschja mit robustem UN-Mandat zum exterritorialem Gebiet unter Kontrolle IEAE, UNO zu erklären, rund um den Komplex eine entmilitarisierte Zone samt Flugverbotszone einzurichten, dessen und die Sicherheit und damit die der Bevölkerung zu garantieren damit, dass was im AKW Saporischschja seit März 2022 an Gefahren unvorstellbaren Ausmaßes droht, wie es UNO Generalsekretär Antonio Guterres Sommer 2022 mit Entsetzen als Apokalypse beschworen hat, die Basis entzogen ist. Warum hört man da nichts aus Berlin, Paris, London, Rom, Wien, Warschau, Washington, Den Haag, Baltikum, London, EU in Brüssel, statt nur von der Nato, Pentagon lapidar zu erklären, sollte in in prognostizierten Gefahren Szenarien Nato Gebiert atomar kontaminiert werden, gelte das als Angriff auf die Nato, wenn ja durch wen? Eine außer Rand und Band geratene Soldateska, über die der Kreml, das Oberkommando russischer Armee längst die Kontrolle verloren, siehe Prigoschins gescheiterter Marsch auf Moskau vor einigen Tagen? Klappe zu"Affe" tot?

    • @Joachim Petrick:

      Selbst wenn Russland im Sicherheitsrat kein Veto gegen die Entsendung einer UN-Mission in die Ukraine einlegen sollte wäre es wohl völkerrechtlich kaum möglich, dass man dort einfach mal so Teile der Ukraine für exterritorial erklärt. Immerhin geht es bei dem Konflikt ja auch ganz wesentlich um die Frage ob internationales Recht einzuhalten ist oder sich nach Belieben durch das Recht des Stärkeren ersetzen lässt. Es bräuchte also neben der Zustimmung Russlands auch die Zustimmung der Ukraine. Wenn aber beide Kriegsparteien einem solchen Konstrukt zustimmen, braucht es kein robustes UN-Mandat. Zu klären wäre dann allerdings noch welche Staaten bereit und in der Lage dazu sind die nötigen Truppen für eine solche Sicherungsmission zu stellen und auch da wird es schwierig weil es eben Staaten sein müssten die sowohl von der Ukraine als auch von Russland als neutral angesehen werden. Da wird es schnell sehr dünn und ein solcher Staat müsste dann ja auch noch dazu bereit sein seine eigenen Leute dort praktisch zwischen die Fronten zu stellen.

  • So richtig klar wird leider nicht warum 'nur' die Szenarien Kühlwasserteiche oder Abklingbecken als realistisch betrachtet werden, nicht aber beispielsweise die Option die Steuerstäbe einzuholen und dann die Kühlwasserpumpen zu sprengen um einen möglichst großflächigen Schaden anzurichten.