Nach der Zerstörung des Staudamms: Russland blockiert Opferhilfe

Die UNO wirft Russland vor, Hilfsleistungen für Betroffene der Staudamm-Zerstörung zu verhindern. Kremlsprecher Peskow laviert.

Vier Menschen bergen eine Leiche aus dem Wasser

Freiwillige bergen Leichen aus den Fluten in Hola Prystan Foto: Alexander Ermochenko/reuters

BERLIN taz | Lavieren lautete offensichtlich die Devise von Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. Er kenne die Nuancen nicht genau, doch es gebe viele Fragen: Wie die Sicherheit garantieren? Es gebe ständig Angriffe und Provokationen, zivile Objekte würden beschossen, Menschen stürben. Alles sei „sehr kompliziert“, sagte Peskow dem russischsprachigem Webportal insider.ru zufolge.

Damit reagierte er auf eine Erklärung der UNO-Vertreterin in der Ukraine, Denise Brown, über die von russischen Truppen besetzten Teile des Gebietes Cherson inklusive des linken Ufers des Flusses Dnipro. In der Nacht zum 6. Juni war das Wasserkraftwerk Kachowka explodiert. Seitdem herrschen in der gesamten Region infolge großflächiger Überflutungen katastrophale Zustände.

„Die Regierung der Russischen Föderation hat unseren Antrag auf Zugang zu den Gebieten unter ihrer vorübergehenden Kontrolle bislang abgelehnt. Die UN wird weiter versuchen, diesen Zugang zu bekommen. Menschen, die Hilfe brauchen, darf diese nicht verweigert werden“, heißt es in der Erklärung.

Brown rief Moskau dazu auf, im Einklang mit seinen Pflichten gemäß dem humanitären Völkerrecht zu handeln. Zuvor hatten die russischen Behörden ihre Bereitschaft erklärt, Zugang zu den betroffenen Gebieten zu gewähren, jedoch müsse der Weg durch „russisches“ Territorium genommen werden.

Zahl der Toten ums Zehnfache höher

Dass der Zugang zum linken Dnipro-Ufer und die Verteilung humanitärer Hilfe dort derzeit unmöglich sei, hatten zuvor auch freiwillige Hel­fe­r*in­nen beklagt. Laut offiziellen Angaben der Verwaltung der russischen Besatzer seien bislang 35 Menschen zu Tode gekommen und 7.800 evakuiert worden. Der Journalistin Ewgenija Wirlitsch zufolge, die sich noch immer in Cherson aufhält, dürfte die Zahl der Toten um das Zehnfache höher liegen.

Für das rechte Dnipro-Ufer, das die Ukraine kontrolliert, wird die Zahl der Toten mit 17 angegeben – vier davon sollen bei Angriffen ums Leben gekommen sein. 31 Personen gelten noch als vermisst.

Vor wenigen Tagen hatte die Nachrichtenagentur Reuters Fotos aus der Stadt Hola Prystan veröffentlicht. Der Ort mit 14.600 Ein­woh­ne­r*in­nen liegt 15 Kilometer von Cherson entfernt am linken Dnipro-Ufer und war von den Überflutungen mit am schwersten betroffen. Hier sollen 13 Menschen zu Tode gekommen sein. Auf den Bildern – sie sollen am 16. Juni aufgenommen worden sein – ist zu sehen, wie Leichen, die bäuchlings mit dem Gesicht im Wasser liegen, aus zerstörten Häusern geborgen und in Plastiksäcken abtransportiert werden.

Die Mehrheit steht hinter Präsident Wolodimir Selenski

Unterdessen soll die ukrainische Armee nach Kyjiwer Angaben an einem stark abgesicherten Frontabschnitt im Süden des Landes mittlerweile acht Ortschaften zurückerobert haben. Die Soldaten seien in der Gegend zudem bis zu sieben Kilometer auf russisch besetztes Gebiet vorgestoßen, teilte die Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Montag mit. Dabei hätten sie 113 Quadratkilometer Land unter ihre Kontrolle gebracht. Als achter Ort sei das Dorf Pjatychatky eingenommen worden. Die Siedlung gilt als bedeutsam, da sie nur etwa 90 ­Kilometer von dem von Russland besetzten Küstenstreifen am Asowschen Meer entfernt liegt.

Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums hat Moskau in den vergangenen zehn Tagen begonnen, Soldaten zu verlegen, um für potenzielle Vorstöße der ­Ukrainer besser gewappnet zu sein. So seien vom Ostufer des Flusses Dnipro Truppen teilweise abgezogen worden, um Stellungen in Saporischschja und Bachmut zu verstärken. Dies sei mutmaßlich Russlands Einschätzung geschuldet, dass ein größerer ­ukrainischer Angriff über den Fluss Dnipro nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms weniger wahrscheinlich sei.

Auch wenn ein Ende des Krieges nicht absehbar ist, scheint die überwiegende Mehrheit der Ukrai­ne­r*in­nen immer noch fest hinter dem Kurs von Präsident Wolodimir Selenski zu stehen. Laut einer Umfrage des Internationalen Instituts für Soziologie in Kyjiw wünschen sich nur 23 Prozent der Befragten, dass der Präsident nach dem Krieg durch eine andere Person ersetzt wird. Demgegenüber sprechen sich 69 Prozent für Neuwahlen aus.

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