Russische Besetzung von Saporischschja: Labile Lage im Atomkraftwerk
Die Internationale Atomenergiebehörde fordert den Abzug der russischen Truppen aus dem ukrainischen AKW. Die Sicherheitslage sei besorgniserregend.
Die russische Armee hatte das Atomkraftwerk am 3. März 2022 mit militärischer Gewalt in Besitz genommen, ein in der Geschichte der Atomenergie einmaliger Vorgang. Der Gouverneursrat ist nach der Generalkonferenz das zweitwichtigste Kontroll- und Lenkungsorgan der IAEO.
Der Rat zeigt sich besorgt über die labile Sicherheitslage im AKW. Es fehle an qualifiziertem Personal, Wartungsarbeiten würden nicht wie sonst üblich durchgeführt, die Versorgung mit Strom und Wasser sei instabil, Minen zwischen dem inneren und dem äußeren Umkreis der Anlage gefährdeten die Sicherheit zusätzlich, heißt es in dem Beschluss.
Insgesamt achtmal sei die Anlage seit März 2022 ohne Stromversorgung von außen gewesen. Hinzu komme ein zunehmender riskanter Verschleiß der Geräte und die unsichere Kühlwasserzufuhr nach der Zerstörung des Kachowkadamms.
Zuvor hatte die IAEO berichtet, dass man ihren Experten den Zugang zu einigen Bereichen des AKW Saporischschja verwehre. Besorgniserregend seien regelmäßig zu hörende Detonationen in der Nähe der Anlage. Auch die Online-Übertragung von Daten aus dem Strahlungsüberwachungssystem des AKW sei unterbrochen.
IAEO-Generaldirektor trifft Putin
Am Mittwoch hatte sich IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi in Sotschi mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin getroffen. Es war ihr zweites Treffen. „Wie ich wiederholt erklärt habe, muss ich mit beiden Seiten sprechen, um die Gefahr eines potenziell schweren Atomunfalls, der keine Grenzen kennt, zu verringern“, so Grossi.
Man müsse alles tun, um einen schweren Atomunfall zu verhindern. „Dies war auch meine Botschaft an Präsident Putin und andere hochrangige russische Beamte“, zitiert das IAEO-Portal Grossi nach seinen Gesprächen.
Für den in der Nähe von Moskau lebenden Atomphysiker Andrej Oscharowski ist vor allem interessant, was Grossi dort nicht sagt. So sei in den Erklärungen der IAEO zu dem Treffen mit Putin nichts darüber zu finden, dass auch Vertreter des russischen Militärs und der russischen Nationalgarde dabei waren. Darüber habe nur Rosatom informiert, so Oscharowski zur taz. „Offensichtlich ist der IAEO dieser Sachverhalt sehr unangenehm.“
Oscharowski vermisst einen konkreten Aktionsplan, wie es weitergeht. Ohne das erschienen solche Gespräche als ziemlich erbärmlicher Versuch, die IAEO als Beteiligte an „Verhandlungen über das AKW Saporischschja“ darzustellen. „Verhandlungen“, so Oscharowski, „die eigentlich gar keine Verhandlungen sind.“
Auch in Russland regt sich Widerstand gegen die Atomenergie. In Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan, demonstrierte am Sonntag ein knappes Dutzend Umweltschützer gegen Müllverbrennung und ein geplantes AKW.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“