Zerstörte Stromversorgung in Kiew: Leben mit dem Blackout
Russland zerbombt gezielt die Stromversorgung der Ukraine. In Kiew hat man gelernt, mit den Ausfällen umzugehen – am besten in der Pizzeria.
Der Boom kam für die Pizzeria, die jetzt an allen Tischen ständig Gäste hat, unerwartet. Der Erfolg hat zwei Namen: unterbrechungsfreien Strom und Internet rund um die Uhr.
Während in Kiew die Heizungen problemlos funktionieren, man sogar nachts wegen der Bullenhitze der Zentralheizung das Fenster öffnen muss, ist Strom in der Hauptstadt der Ukraine Mangelware. Er ist so knapp, dass es in den meisten Bezirken täglich Stromausfälle von bis zu zehn Stunden gibt. Wer hätte gedacht, dass man sich sogar an Stromausfälle von zehn Stunden gewöhnen kann. Als am 7. September in meiner Heimatstadt Mönchengladbach der Strom für sechs Minuten, ausfiel berichtete die örtliche Presse groß über den „Blackout in Mönchengladbach“. Heute kann ich darüber nur lachen.
Ich komme jedenfalls mit Stromausfällen von zehn Stunden gut zurecht. Ich habe von der taz netterweise eine Powerstation finanziert bekommen, damit kann ich Laptop und Tischlampe acht Stunden betreiben. Rechne ich noch der Akku meines Computers hinzu, komme ich zwölf Stunden ohne Strom aus. Außerdem nehme ich Speisen, die ich brauche, vorzeitig aus dem Kühlschrank. Und beim Stromausfall bleibt der Kühlschrank zu.
Die meisten nehmen die Stromausfälle stoisch
Nun erfährt auch Bargeld in Kiew wieder neue Beliebtheit. Bargeldloses Einkaufen war noch bis vor kurzem in der Ukraine weiter verbreitet als in Deutschland. Aber wenn ein Geschäft keinen Strom hat oder der Kontakt zum Bankserver unterbrochen ist, kann man mit Kreditkarte auch nicht einkaufen.
Doch während die Stromausfälle auf einer städtischen Internetseite angekündigt werden, ist das mit dem Internet schwieriger. Sicher ist nur eins: wenn das Internet ausfällt, dann nur in Zeiten, in denen es auch keinen Strom gibt. Wie die oben erwähnte Pizzeria es schafft, trotzdem ständig Internet anzubieten, ist mir schleierhaft.
Die meisten Menschen nehmen die Stromausfälle stoisch zur Kenntnis, sind sie doch den regelmäßigen russischen Raketenangriffen auf das ukrainische Energiesystem geschuldet. Niemand macht den ukrainischen Behörden einen Vorwurf. Was jedoch die Menschen erzürnt, sind die damit einhergehenden Ungerechtigkeiten. Wer im Stadtzentrum oder in der Nachbarschaft eines sogenannten „strategischen Objektes“ wie etwa ein Krankenhaus wohnt, hat immer Strom. Weiter weg nicht.
Ausreise – eine Form des Energiesparens
„Apartheid“ kommentiert die Rentnerin Nadja, die am Stadtrand von Kiew wohnt, diese Ungerechtigkeit. Für sie ist klar: der arme Teil der Bevölkerung, der außerhalb des Zentrums lebe, müsse Strom sparen, während die im Zentrum weiter leben können, als sei alles wie immer. Dort sei sogar abends die Straßenbeleuchtung immer an, weiß eine im Zentrum lebende Bekannte von Nadja zu berichten. Der Gang zum Italiener ist für Nadja keine Option. Wenn sie jeden Tag dort nur einen einzigen Cappuccino trinken würde, wäre in einem Monat die halbe Rente weg.
Besserung ist nicht in Sicht. Am Freitag kündigte Stromnetzbetreiber Ukrenergo an, dass es neben den geplanten Stromausfällen auch zu außerplanmäßigen, also nicht angekündigten, kommen werde. Und am Samstag riet Maxim Timtschenko, Generaldirektor des größten ukrainischen Stromversorgers DTEK seinen Mitbürger:innen, für die nächsten drei oder vier Monate eine alternative Niederlassungsmöglichkeit im Ausland zu suchen, damit das Land Strom sparen könne.
Mit jedem weiteren russischen Raketenangriff auf das Energiesystem werde dieses unstabiler, so Timtschenko. Man sei nicht mehr in der Lage, den Bedarf an Energie zu befriedigen. Und Ausreise ist eine Form des Energiesparens.
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