Zerschlagung von Wintershall Dea: 850 Mitarbeiter müssen gehen
BASF will nicht mehr: Der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea wird zerschlagen. 850 Mitarbeiter in Hamburg und Kassel verlieren dabei ihre Jobs.
BASF erhält für seinen Anteil von 72,7 Prozent an Wintershall Dea 1,56 Milliarden Dollar sowie neue, von Harbour ausgegebene Aktien. Dadurch – und das ist wohl für BASF der Clou des Deals – wird der Ludwigshafener Dax-Konzern mit 39,6 Prozent Großaktionär des vergrößerten Harbour-Konzerns. Harbour Energy mit Sitz in London ist der größte britische Öl- und Gasproduzent. Er entstand 2021 aus einer Fusion zwischen Chrysaor und Premier Oil.
Die ehemalige Dea-Eignerin Letter One, die 27,3 Prozent an Wintershall Dea hält, soll rund 590 Millionen Euro sowie neue Aktien im Volumen von 14,9 Prozent an Harbour erhalten. Die Investorengruppe Letter One gehört dem russischen Milliardär Michail Fridman, der im Zuge des Kriegs in der Ukraine auf die EU-Sanktionsliste gesetzt worden war.
Die Unternehmenssitze von Wintershall Dea in Kassel und Hamburg sollen geschlossen werden. Harbour wolle einige Mitarbeitende übernehmen, hieß es in einer Mitteilung. Die Wintershall-Mitarbeiter sollten am Freitag in einer internen Veranstaltung vom Aufsichtsratsvorsitzenden von BASF, Hans-Ulrich Engel, und dem Vorstandsvorsitzenden der Wintershall Dea, Mario Mehren, informiert werden. „Für das Team von Wintershall Dea in Kassel und Hamburg und mich persönlich ist diese Nachricht, gerade so kurz vor Weihnachten, eine große Enttäuschung“, sagte Mehren laut der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen.
Kleine Belegschaft in Kassel könnte bleiben
Wintershall könnte nach der Übernahme mit einer kleinen Belegschaft in Kassel weiterexistieren, schreibt die HNA. „Dass den Hauptverwaltungssitzen von Wintershall Dea in Kassel und Hamburg die Schließung droht, ist für die Beschäftigten ein harter Schlag“, sagte Wintershall-Betriebsbetreuer Michael Winkler von der Gewerkschaft IG BCE der taz. „Für die IGBCE ist klar, dass BASF und Letter One in der sozialen Verantwortung für die von der Schließung betroffenen Menschen stehen. Gerade BASF ist das den Beschäftigten nach mehr als 50 Jahren als Wintershall-Eigentümer schuldig.“
Für die Mitarbeiter von Wintershall Dea ist es ein weiterer Tiefschlag: Das Unternehmen hatte erst im September den Abbau von rund 500 seiner weltweit mehr als 2000 Stellen angekündigt, davon etwa 300 in Deutschland.
BASF will sich schon seit Jahren aus dem Öl- und Gasgeschäft zurückziehen. Die Pläne für einen Börsengang von Wintershall Dea wurden aber mehrmals verschoben – sei es wegen eines schwachen Marktumfelds oder auch wegen eines Zwists mit LetterOne – und letztlich vom Krieg in der Ukraine zunichtegemacht. Der Konzern entstand 2019 aus dem Zusammenschluss der BASF-Tochter Wintershall mit dem Rivalen Dea.
Der Ludwigshafener Chemieriese sieht den Deal als „wichtigen Schritt“ bei dem geplanten Ausstieg. Der Anteil an dem kombinierten Unternehmen könne zu Geld gemacht werden, da Harbour an der Londoner Börse notiert sei. „Neben der Barkomponente bieten die Anteile an Harbour, die BASF beim Abschluss der Transaktion erhalten wird, deutliches Wertsteigerungspotenzial und ermöglichen über die nächsten Jahre einen schrittweisen und optimierten Ausstieg aus dem Öl- und Gasgeschäft“, sagte BASF-Finanzchef Dirk Elvermann.
Russland-Geschäft von Putin beschlagnahmt
BASF und Letter One bleiben formell noch Eigentümer des Geschäfts mit Russland-Bezug, das der russische Präsident Wladimir Putin per Präsidialerlass allerdings beschlagnahmt hat. Die rechtliche Trennung dieser Geschäfte, zu denen neben Gemeinschaftsunternehmen auch Beteiligungen in Libyen, den Niederlanden und an der Gaspipeline Nord Stream gehören, gehe wie geplant voran, teilte BASF mit. Nicht Teil des Verkaufs an Harbour ist der Anteil von Wintershall Dea an der Gasnetzgesellschaft Wiga. Diese ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Wintershall Dea und der staatlichen Energiefirma Sefe, die ehemalige Gazprom Germania. Wintershall wolle ihren Wiga-Anteil weiterhin separat verkaufen, hieß es.
Die Transaktion mit Harbour Energy muss noch von den Wettbewerbsbehörden genehmigt werden, der Abschluss ist für das vierte Quartal 2024 geplant. Im ersten Halbjahr 2023 erzielte das kombinierte Geschäft den Angaben zufolge einen Pro-forma-Umsatz von 5,1 Milliarden Dollar und ein operatives Ergebnis von 3,7 Milliarden Dollar. Insgesamt beliefen sich die Produktionsmengen von Harbour und Wintershall Dea im ersten Halbjahr 2023 auf 513 Tausend Barrel Öläquivalent pro Tag – das ist etwa so viel wie in Aserbaidschan gefördert wird. Das Land ist weltweit im Ranking auf Nummer 28 der erdölfördernden Länder. Wintershall Dea alleine war im dritten Quartal mit mehr als einer halben Milliarde Euro in die roten Zahlen gerutscht, vor allem wegen Restrukturierungskosten und Wertberichtigungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen