ZDF-Recherche zu Steuerparadies im Wald: Dem Grafen, was des Grafen ist
Gregor von Bismarck hat im Sachsenwald ein Steuerparadies für Briefkastenfirmen eingerichtet. Zwei der Firmen hat die Linke Hamburg nun angezeigt.
Sie ist offenbar Scheinsitz von 21 teils millionenschweren Firmen wie die Logistikgruppe Aves One GmbH und der Energie-Investor Luxcara Energy GmbH, die die Adresse mitten im Wald als Briefkastenfirma nutzen – sie begehen Steuerflucht.
Briefe des Rechercheteams, adressiert an die Firmen in der Waldhütte, gingen stattdessen an die jeweiligen Firmensitze in Hamburg. Dort scheint die wirkliche Geschäftstätigkeit stattzufinden.
Aufgrund des Anfangsverdachts auf Steuerhinterziehung hat am Dienstag David Stoop, haushaltspolitischer Sprecher der Hamburger Linksfraktion, Anzeige gegen Aves One und Luxcara Energy erstattet.
Steuern fließen nicht an den Staat
Das Team von Satiriker Jan Böhmermann und „Frag den Staat“ hatte vor Ort zwei Monate lang mit Wildkameras dokumentiert, dass viele Wildschweine, aber nur wenige Menschen die Auffahrt zum vorgeblichen Büro nutzten. Das fiel vor allem durch leere Schreibtische, leere Papierkörbe und leere Aktenordner auf.
Für die Firmen ist die Adresse attraktiv, weil der Gewerbesteuerhebesatz dort klein ist: Seit 1958 liegt er bei 275 Prozent – 200 Prozent weniger als in Hamburg. Auch in den umliegenden Gemeinden liegt der Hebesatz mit mindestens 380 Prozent weit höher.
Den niedrigen Steuerhebesatz im Sachsenwald hat kein Gemeinderat beschlossen und keine Kommune wird von den Steuereinnahmen der 21 Firmen finanziert. Das Steuergeld fließt in die Gutsverwaltung – und kommt damit am Ende vor allem dem Gutsherrn zugute, dem der Wald und auch die Hütte in dessen Zentrum gehören: Gregor Graf von Bismarck, ein Ururenkel von Reichskanzler Otto von Bismarck.
Der Sachsenwald ist auf dem riesigen betroffenen Areal unbewohnt und er ist keiner der umliegenden Gemeinden zugeordnet: Er ist ein sogenanntes „gemeindefreies Gebiet“. Die öffentliche Verwaltung obliegt hier dem Besitzer des Waldes, dem Gutsherrn – ein Anachronismus aus dem 19. Jahrhundert; für die meisten betroffenen Gebiete in Schleswig-Holstein hatte ein Gesetz von 1927 diesen rechtlichen Sonderstatus abgeschafft, doch der Sachsenwald in Besitz der Bismarck-Erben war damals explizit ausgenommen worden.
Die 21 ansässigen Firmen waren vom Rechercheteam befragt worden, warum sie den Firmensitz im Herzen des Waldes bevorzugen. Geantwortet haben sie übereinstimmend: Es passe zu den Unternehmenszielen, dass die Steuergelder in den Erhalt und die Aufforstung des Waldes fließen.
Tatsächlich steht das Geld von Bismarck nicht zur freien Verfügung: Als der Hebesatz 1958 festgelegt wurde, wurde auch festgehalten, dass die Einnahmen für die Wegeverbesserung innerhalb des Gutbezirks zu verwenden sind.
Nun ist der Sachsenwald kein reines Naherholungsgebiet und kein reines Naturschutzgebiet: Der Forst wird von den Bismarcks bewirtschaftet. Aufforstung ist Teil der normalen forstwirtschaftlichen Betriebsausgaben. Auch die Versorgung der Wege wäre im Normalfall wohl aus den Einnahmen zu bestreiten, nicht aus Steuergeld.
Auch wenn die aktuelle Affäre um die Briefkastenfirmen neue Brisanz in die Thematik bringt: Der grundsätzliche rechtliche Sonderstatus des Gebiets hat schon vor Jahrzehnten für Kritik gesorgt. Anfang der 1990er hatte die Landesregierung schon einmal versucht, das Gebiet aufzulösen – gescheitert war man, weil keine umliegende Gemeinde für den Wald zuständig sein wollte. Man versprach sich von dem Gebiet hohe zusätzliche Arbeits- und Verwaltungskosten und keinerlei Steuereinnahmen.
Aber: Würde das Gebiet einer Gemeinde angegliedert, wäre von Bismarck bei der Wegesicherung nicht ganz aus der Pflicht, schätzt Karsten Steffen, Pressesprecher des zuständigen Kreises Herzogtum Lauenburg. „Eigentum verpflichtet“, sagt er. Mindestens ein Teil der Wegesicherung bliebe sicherlich Aufgabe des Waldeigentümers.
Initiative beantragt Offenlegung
Völlig unklar bleibt, um wie viel Geld es überhaupt geht, wie viele Steuern aktuell von der Gutsverwaltung eingenommen werden, und damit auch, ob das Geld dann tatsächlich in die Wegesicherung fließt.
Offenbar hat der Gebietsvorsteher eine Gewerbesteuerumlage an das Land Schleswig-Holstein gezahlt. Die Finanzbehörde möchte aber aus Datenschutzgründen nichts zur Höhe sagen. Ablesen könnte man die Daten für gewöhnlich in der Aufstellung des zuständigen Statistikamts Nord. Das weist allerdings für das Gebiet Sachsenwald einen Messbetrag von Null aus.
Ein „Übertragungsfehler“ des Statistikamts sei Schuld, vermutet man in der Innenbehörde. Für den Kreis Herzogtum Lauenburg ein Fehler mit Folgen: Anders als das Land konnte der Kreis dank der fehlenden Daten keine Gewerbesteuerumlage vom gemeindefreien Gebiet einziehen.
Wie es zu diesem „Übertragungsfehler“ kommen konnte, können die Behörden bisher nicht klären. Die Initiative „Frag den Staat“ hat am 10. Oktober beim Verwaltungsgericht die Offenlegung der Gewerbesteuereinnahmen des Forstbezirks durch den Eigentümer, also von Bismarck, beantragt.
Anmerkung der Redaktion: In der Printausgabe war an einer Stelle am Beginn des Textes fälschlicherweise von „Grundsteuer“ statt von „Gewerbesteuer“ die Rede
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