ZDF-Meteorologe über Orkan „Sabine“: „Der Sturm ist nicht normal“
Bei „Sabine“ sei der Fußabdruck des Klimawandels nicht zu bezweifeln, sagt der Meteorologe Özden Terli. Zugstopps und Kita-Schließungen seien richtig.
taz: Herr Terli, das Tief „Sabine“ ist über Deutschland hinweggezogen, die nächsten Tage soll es weiter stürmen. Sind das bereits Auswirkungen des Klimawandels oder ist das ganz normales Winterwetter?
Özden Terli: Die Frage ist nicht mehr zeitgemäß, sorry. Wir leben in einer Welt, die sich bereits um etwas über 1 Grad erwärmt hat. Das heißt: Das Klima hat sich schon verändert. Die zunehmende Erwärmung durch das unkontrollierte und exzessive Freisetzen der Treibhausgase, also durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas, wirkt immer stärker in der Atmosphäre und verändert sie immer massiver – und damit unser Wetter.
Der Orkan ist also eine direkte Folge des Klimawandels?
Der Sturmkomplex ist jedenfalls der stärkste, den es aktuell auf der gesamten Nordhalbkugel der Erde gibt – und damit nicht normal. Wir haben Februar, also Hochwinter. Das müsste normalerweise die kälteste Zeit des Jahres sein. Stattdessen messen wir Temperaturen von 14 bis 15 Grad – im Hochwinter! Gegen mein Fenster sind heute Hagelkörner geprasselt. Typisch und üblich wäre dagegen, dass es kalt ist und wir nicht Aprilwetter haben. Der Fußabdruck des Klimawandels ist nicht zu bezweifeln, die Klimakrise längst nicht mehr zu leugnen.
Özden Terli
48, ist Diplom-Meteorologe. Er arbeitet seit 2013 für das ZDF in Mainz und moderiert dort die Wettervorhersage.
Es gibt Kritiker, die sagen, die Vorhersagen der Meteorologen seien überzogen. Die Stadt Solingen erklärt „Sabine“ zum „Sabinchen“. Andere schreiben, Grund für die massiven Warnungen sei die Gier nach Sensation und Klicks im Internet.
Wenn man natürlich von einem „Horrororkan“ oder Ähnlichem spricht, ist das übertrieben. Aber wer den Orkan zum „Sabinchen“ herunterredet, handelt unverantwortlich oder hat sich mit der Materie schlicht nicht beschäftigt. Unsere Wettermodelle sind heute weitaus präziser als noch vor 20 Jahren. Seit Anfang vergangener Woche war absehbar, dass uns ein überdurchschnittlich starkes Sturmtief erreicht. Seit Donnerstag haben wir im ZDF deshalb vor einem drohenden Orkan gewarnt – und das war richtig. Während wir hier am Montagmorgen telefonieren, werden am Flughafen München gerade Windstärken von 119 Stundenkilometern gemessen – das ist voller Orkan! In Fürstenzell bei Passau sind es sogar 155 Stundenkilometer – das ist die Geschwindigkeit eines Schnellzugs, der an Ihnen vorbeirauscht.
Die Warnungen haben halb Deutschland lahmgelegt: Bei der Bahn fuhr kein Fernzug mehr, Schulen und Kindergärten blieben geschlossen. War das nicht übertrieben?
Nein. Die Situation war lebensgefährlich. Stellen Sie sich vor, nur ein einziger ICE wäre mit 300 Stundenkilometern in einen umgestürzten Baum gerast – das hätte mit Toten und Schwerverletzten enden können und hätte einen Riesenaufschrei zur Folge gehabt. Deshalb war es völlig richtig, dass die Bahn gerade im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen auch die Regionalzüge komplett gestoppt hat. Und zu den geschlossenen Schulen und Kindergärten: Wer übernimmt die Verantwortung, wenn nur ein fallender Ast Kinder verletzt?
Also sind die Kritiker ignorant?
Wie Klimaleugner gibt es auch Wetterleugner – also Menschen, die auch bei dringenden Warnungen meinen: Alles Panikmache, so schlimm wird’s wohl nicht werden. Das liegt vielleicht auch einfach in der Natur des Menschen, dass man so ein Ereignis nicht wahrhaben möchte. Trotzdem, entweder man hört auf die Fachleute oder man muss mit den Konsequenzen leben. Leider haben wir uns so weit von der Natur entfernt, dass wir ihre Kraft nicht mehr wirklich ernst nehmen.
Inwiefern?
Wenn ich Bilder sehe von Leuten, die bei vollem Orkan auf dem Brocken im Harz spazieren gehen, dann weggeweht werden und dabei fast aufs Gesicht stürzen, kann ich nur sagen: Das ist unverantwortlich. Wir müssen wieder lernen, uns zurückzunehmen und die Gewalt der Natur zu akzeptieren. Das gilt bei Wetterphänomenen wie Orkan „Sabine“ wie in der Klimakrise. Wir müssen uns anpassen – doch das passiert nicht. Stattdessen steigen die Treibhausemissionen Jahr für Jahr. Das ist unverantwortlich und ein denkbar schlechtes Risikomanagement.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen