Wolfsdebatte in Niedersachsen: Geheul aus allen Richtungen
In der Samtgemeinde Rosche tötete ein Wolf einen Hund. Zugleich will Niedersachsens Umweltminister Meyer Abschussgenehmigungen vorab veröffentlichen.
Nun ist die Gemeinde einigermaßen in Aufruhr und ihr Bürgermeister Michael Widdecke gleich mit. Immerhin geschah der Vorfall in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebiet. Widdecke schrieb daraufhin das niedersächsische Umweltministerium und die örtlichen EU-, Bundes- und Landtagsabgeordneten an mit der Bitte, man möge ihm sagen, wie sich solche Vorfälle in Zukunft verhindern ließen, wie die Lokalredaktion der Allgemeinen Zeitung (AZ) berichtet.
Denn auch Experten wie der zuständige Wolfsberater Raoul Reding sagen, dass dieses Verhalten relativ normal sei: Der Wolf reagiere schlicht auf das Eindringen in sein Revier. Problematisch sei allerdings, dass der Wolf nun gelernt habe, dass er kleine Hunde töten könne, sagte Reding dem NDR.
Es ist der erste nachgewiesene Vorfall mit einem Hund in Niedersachsen und er platzt mitten in eine Debatte darum, wie Niedersachsens Wolfspolitik künftig aussehen könnte. Denn Niedersachsens neuer Umweltminister Christian Meyer (Grüne) setzt sich beim Umgang mit Wölfen klar von seinem Vorgänger Olaf Lies (SPD) ab – und stößt damit beim Landvolk und anderen Institutionen erwartungsgemäß auf scharfe Kritik. So sollen in dem Bundesland Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss sogenannter Problemwölfe künftig vorab angekündigt werden. Die Genehmigungen würden eine Woche vor ihrem Erlass öffentlich einsehbar sein, sagte Meyer.
Jörn Ehlers, Vize-Präsident des Landvolks Niedersachsen
„Damit schaffen wir mehr Transparenz bei notwendigen Entnahmen und sorgen für eine Versachlichung der Diskussion. Spekulationen, ob – und wenn ja – wie viele Abschussgenehmigungen auf welcher fachlichen Grundlage erteilt werden, wird damit ein Ende bereitet.“ Die vorherige Landesregierung hatte mehrmals Ausnahmegenehmigungen für Wolfsabschüsse erteilt, das aber erst im Nachhinein mitgeteilt. Umweltorganisationen und die Grünen hatten gegen dieses Vorgehen protestiert und auch erfolgreich vor Gericht geklagt.
Mit der Neuregelung sei „kein genereller Stopp“ von artenschutzrechtlichen Abschussgenehmigungen für Problemwölfe verbunden, betonte Meyer. Auch künftig könnten Problemwölfe entnommen werden, wenn die Voraussetzungen des Bundesnaturschutzgesetzes erfüllt seien.
Personenbezogene Daten würden bei der Veröffentlichung der Ausnahmegenehmigungen unkenntlich gemacht oder geschwärzt, erläuterte der Minister: „Mir ist besonders wichtig, die mit der Umsetzung rechtmäßiger Genehmigungen betrauten Jägerinnen und Jäger vor Anfeindungen und Repressalien zu schützen. Der Schutz derjenigen, die für uns staatliches Handeln umsetzen, muss auch weiterhin gewährleistet sein.“
Der Naturschutz Nabu zeigt sich über den Schritt hoch erfreut. „Bisher war unklar, welche Wölfe mit welcher Begründung zum Abschuss freigegeben worden sind“, so Nabu-Landeschef Holger Buschmann. „Es konnte keine unabhängige Prüfung der Fälle erfolgen, was Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit schürte.“ Dieser Kritik werde nun zurecht begegnet.“
Scharfer Widerspruch kommt dagegen vom Landvolk Niedersachsen. Mit seinem Erlass torpediere Meyer die bisherige Politik der SPD, sagte Landvolk-Vize Jörn Ehlers am Montag. Er stehe „in völligem Widerspruch zur bisherigen Wolfspolitik“ und verärgere Niedersachsens Weidetierhalter.
Umweltminister Meyer mache damit „faktisch eine Entnahme so bürokratisch und schwer, dass sie nicht vernünftig durchzuführen ist“. Das Landvolk befürchte, dass die Jägerschaft unter solchen Umständen eine Mitwirkung an angeordneten Entnahmen ablehnen werde, da die Sicherheit der beteiligten Jäger und Tierhalter gegenüber den „radikalen Wolfsfans nicht gewährleistet“ sei: „Das karikiert die bisherige Wolfspolitik.“
Zudem bemängelt Ehlers, dass Meyer gleich zu Beginn seiner Amtszeit die von seinem Amtsvorgänger Olaf Lies (SPD) auf den Weg gebrachte Beschwerde gegen ein Urteil des Oldenburger Verwaltungsgerichts zurückgenommen habe. Das Gericht hatte zuvor dem Land den Abschuss eines Wolfes aus dem Kreis Friesland untersagt und damit dem Antrag des „Freundeskreises freilebender Wölfe“ stattgegeben.
„Die Wolfspolitik in Niedersachsen scheint sich innerhalb kürzester Zeit um 180 Grad zu drehen und besteht in Zukunft nur noch aus beschwichtigenden Gesprächsrunden für die Tierhalter“, mosert Ehlers. Das Landvolk werde sich „nicht mit den angekündigten Dialogrunden zum Thema Wolf abspeisen lassen, wenn daraus nicht in kürzester Zeit Aktivitäten entstehen.“ Dass sein Verband auch die Politik der vorherigen Landesregierung immer wieder als zu „wolfsfreundlich“ gegeißelt hatte, verschwieg Ehlers.
Ähnlich schrill äußerte sich der Präsident der Region Hannover, Steffen Krach (SPD). Wie Meyers Erlass zur Versachlichung der Diskussion beitragen solle, sei ihm ein Rätsel: „Wir stoßen vielmehr damit an, dass die Diskussion befeuert wird. Dieser Erlass trägt zur Eskalation bei.“
Das betrifft Krach nicht nur theoretisch: Die ihm unterstellte Untere Naturschutzbehörde der Region Hannover hat gerade erst selbst eine Abschussgenehmigung erteilt. Sie betrifft einen Wolf, der mehrere Nutztiere gerissen haben soll. Darunter war auch das Pony „Dolly“, das der Familie von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen gehört.
Auch auf EU-Ebene steht der Schutzstatus des Wolfes mal wieder zur Debatte: Die konservativen Fraktionen des Parlament haben die Kommission zur Überprüfung aufgefordert. Nach dem Dolly-Vorfall spekuliert mancher, von der Leyen könnte nicht abgeneigt sein. Noch hat die Kommission damit gar nicht angefangen, da nutzt die AfD die Gelegenheit schon einmal, die niedersächsische Landesregierung zu fragen, wie sie sich denn dazu verhalten möchte. Am heutigen Mittwoch gibt es dazu eine dringliche Anfrage im Landtag. Die Antwort lässt sich schon erahnen: Erst mal abwarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus