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Wohnen in der ZukunftKleinstadt als Chance

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Verklärung der Millionenstädte als „the place to be“ ist veraltet. „Glokalisierung“ in kleineren Städten ist ein Zukunftstrend.

Idyllisch: Finowkanal bei Eberswalde Foto: imago-images/Rex Schober

E berswalde zum Beispiel. Die 40.000-­Einwohner-Stadt im Umland von Berlin bietet mehrtägiges „Probewohnen“ an, für InteressentInnen an einem Zuzug. Die Plätze werden verlost, die Zahl der BewerberInnen steigt.

Eberswalde gehört zu den sogenannten Mittelstädten mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern. Die Bedeutung dieser Städte nimmt zu, auch weil sie zur Entlastung der überhitzten Wohnungsmärkte vieler Großstädte beitragen. So steht es in einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Das Wachstum der kleinen Städte im Umland von Metropolen wirft eine soziokulturelle Frage auf: Lebt es sich nun besser oder schlechter in einer kleineren Stadt? Ist diese nur eine Art „zweite Wahl“, weil man sich das Wohnen in der Metropole nicht leisten kann?

Die Frage rührt an kulturelle Normen und ist ein Politikum, denn die Verklärung der Millionenstadt als „the place to be“, den Ort, an dem die Arbeits-, Aufstiegs- und sexuellen Möglichkeiten unbegrenzt sind, an dem die Kreativität überbordet, diese Verklärung schafft eine Hierarchie: Wer es sich leisten kann, in einer Metropole zu wohnen, dessen Leben gilt als voller, als aufregender, und dies hebt auch das Selbstwertgefühl.

Immobilien als Statussymbol

Die Vermögenden können sich ein gehobenes Lebensgefühl dann durch den Erwerb einer Immobilie in einer Millionenstadt kaufen, was mit ein Grund ist, warum es zum Statussymbol der Superreichen gehört, eine Wohnung in Berlin oder in London zu besitzen, auch wenn sie die meiste Zeit leer steht. Wer hingegen in eine kleine Stadt zieht, auch weil die Familie das Leben in der Me­tro­pole nicht bezahlen kann, dessen Horizont verengt sich, das Leben wird langweiliger, irgendwie verpasst man was. So weit das Klischee.

Dabei gleicht das Internet viele regionale Unterschiede im Informationsangebot inzwischen aus. Ob man nun in der Berliner U-Bahn auf sein Smartphone starrt oder im Bus im brandenburgischen Ketzin, ob man in Hamburg oder in Neu­stre­litz am Abend Netflix-Serien schaut, ist eigentlich egal, der Bildschirm ist der Gleiche. Es gebe einen Trend zur „Mischung“ „realer und virtueller Räume“, schreibt der Kanadier Colin Ellard in seinem Buch „Psychogeografie“.

Wenn Telearbeit erleichtert wird, wenn das Einkaufen, die Partnersuche per Internet läuft, dann müsste es eigentlich nicht mehr so entscheidend sein, ob man für teures Geld in einer Metropole wohnt oder billiger in einer Klein- oder Mittelstadt. Jedenfalls dann, wenn sich die Pendelzeiten zur Arbeit in Grenzen halten.

Aber es geht um das Gefühl, dort zu sein, wo das Leben tobt, die „Vitalillusion“ der Millionenstadt. In „Triumph of the City“ beschwört der US-amerikanische Ökonom Edward Glaeser die Megastadt. Die Stadt ermögliche die Kooperation, in der die Menschheit „am hellsten leuchtet“, schreibt er. „Weil die Menschen so viel voneinander lernen, lernen wir mehr, wenn mehr Leute um uns herum sind.“

Wo das Leben tobt

So einfach ist es nicht. Mit Tausenden von Fremden in nächster Nähe zusammenzuleben, sei evolutionsbiologisch betrachtet „völlig unnatürlich“, schreibt Ellard. Die Metropole ist auch ein Ort der inneren Abschottung, die man erlebt, wenn man in Berlin oder London um sechs Uhr abends U-Bahn fährt. Unter den BewohnerInnen der Mil­lio­nen­städte herrscht eine Sehnsucht nach Grenzen, nach einer überschaubaren Nachbarschaft, wie jeder Stadtplaner erfährt, der Neubauten in einen solchen Kiez pflanzen will.

Die Menschen in Millionen- und Kleinstädten sind also nicht so unterschiedlich. Trotzdem wird die Klein- und Mittelstadt oft als deprimierend empfunden.

Görlitz zum Beispiel liegt in Sachsen an der polnischen Grenze. Die 56.000-Einwohner-Stadt mit schöner Altstadtarchitektur bietet einen ganzen Monat mietfreies „Probewohnen“ an. 54 Haushalte mit Zugereisten nahmen bisher daran teil, darunter KünstlerInnen, AutorInnen, IT-Entwickler. Nur fünf Haushalte blieben.

Die AfD ist hier sehr stark. In einer Kleinstadt zu leben, in der ein Klima der Enge, der Rückständigkeit herrscht, macht einen Ort unattraktiv. Dabei wäre eine kleinere Stadt eigentlich der richtige Ort für die Individualisierung: Man wird mehr gesehen, mehr wahrgenommen, „man kann viel selbst gestalten“, sagt Stadtforscher Robert Knippschild aus Görlitz, der sich mit der Entwicklung von Mittelstädten in peripheren Lagen beschäftigt.

Örtliche Reizarmut ausgleichen

Gerade den BewohnerInnen von kleinen Städten täte es gut, sich innerlich zu öffnen, um gewissermaßen die örtliche Reizarmut auszugleichen. Handwerksbetriebe in kleineren Städten haben mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen und profitieren, wenn sie beispielsweise MigrantInnen als Auszubildende gewinnen können.

Die soziokulturelle Hierarchie zwischen Metropole und Kleinstadt ist obsolet. Wir alle sind Weltbürger

Aber es erfordert Persönlichkeit, Mut und eine gewisse Anpassungsfähigkeit, sich in einem engen Milieu niederzulassen. Man braucht als Zuzügler möglichst schon etwas soziale Andockung vor Ort. Sind offene Leute da, vielleicht eine Hofgemeinschaft, ein Kulturzentrum, vielleicht ein soziales Projekt, dann wirkt die kleine Stadt für Zuzügler sofort attraktiver. „Wichtig ist, dass eine Stadt weltoffen ist, auch Neues willkommen heißt“, sagt Knippschild. Das Ideal ist die Kleinstadt, in der Einwohnerinitiativen zum Beispiel Geflüchtete vor Ort unterstützen und damit gewissermaßen „Weltstadt“ spielen. Während die Bewohner in Millionenstädten ihren dorfähnlichen „Kiez“ oft eifersüchtig hüten.

Vom Zukunftstrend „Glokalisierung“ spricht der Politikforscher Daniel Dettling im Newsletter Kommunal.de, was so viel heißt wie: Man kann sich sowohl als Mitglied einer lokalen Gemeinschaft fühlen als auch als Mitglied der Weltgesellschaft, und zwar beides gleichzeitig. Die soziokulturelle Hierarchie zwischen Metropole und Kleinstadt ist obsolet. Wir alle sind Weltbürger. Das ist eine Tatsache.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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16 Kommentare

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  • Ich versteh mal wieder nur Bahnhof, während hier gerade ein Güterzug am Fenster vorbeizieht.



    Jetzt müsste bloß noch der Bahnsteig behindertengerecht ausgebaut werden, aber da wird man trotz Robur auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet.



    Und dann sollte ich nicht ständig



    -walde mit -berg verwechseln.

  • Mittelstadt ist nicht gleich Mittelstadt, wenn ich z.B. Limburg mit Prenzlau vergleichen müsste, ergeben sich schon vielfältige Unterschiede. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, kulturellen Gegebenheiten, verkehrstechnische Anbindungen, Infrastruktur uvam sind sehr verschieden, da nützt es nicht, über ein Kamm zu scheren.

    • @Hans aus Jena:

      So isch's no au wieder.



      Wie der grüne Gemeinderatsfraktionsvorsitzende der autofeindlichsten Stadt Deutschlands Christoph Joachim schon seit bald 40 Jahren weiß: Kein Atomkraftwerk in Mittelstadt und auch nicht anderswo!

    • @Hans aus Jena:

      Sehr richtig. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich nach 50 Minuten in der S-Bahn in Berlin Mitte rauskomme, oder nach 11/2 Stunden in einer nachrangigen Landeshauptstadt, zumal ich auf diesen Zug schon wieder mindestens 30 Minuten mit dem ÖPNV hinzuaddieren muss, natürlich in beide Richtungen.



      Landleben produziert nicht nur, es ist auch größtenteils Mist.

  • Meinem Eindruck nach hat sich dieser Artikel leider mehr dem Normativen als dem Faktischen verschrieben.



    Nachdem ich vor einigen Monaten, genau wie hier propagiert, jobbedingt aus einer Metropole in eine Mittelstadt gezogen bin, muss ich leider feststellen, dass nahezu alles was hier als Klischee und Vorurteil beiseite geschoben wird schlicht Realität ist.



    Da wäre etwa die Beobachtung, dass manche Lebensmittel (und dabei geht es mir mitnichten um überteuerte Luxuskost für den distinktionsbedürftigen Hipster) in fußläufig erreichbaren Supermärkten nicht zu bekommen sind. Oder die, dass es für den Großteil jener Stadtbewohnenden, die ihren Wohnsitz nicht im überaus überschaubaren "Zentrum" haben sondern in einem der am Stadtrand suburban-trist wuchernden Wohngebiete, überhaupt keine zu Fuß erreichbaren Einkaufsmöglichkeiten gibt weswegen mangels adäquatem ÖPNV mindestens ein, meistens mehrere, PKW je Haushalt die Norm sind um Einkauf oder Kinder von einem Stadtrand zum anderen zu gondeln.



    In eine ähnliche Wüstenei schweift der Blick bei der Suche nach Kultur- oder Ausgehmöglichkeiten, von Sub- oder Gegenkultur gar nicht erst zu reden.



    Dann wäre da noch die Frage der Jobperspektive und der damit verbundenen längerfristigen Planbarkeit, insbesondere dann wenn man einer etwas spezialisierteren Tätigkeit nachgeht. In der Großstadt kann man davon ausgehen idR eine Alternative auftun zu können, wohingegen dies innerhalb der Mittelstadt kaum der Fall sein wird, was dann eben entweder zum Umzug oder häufiger noch zum Pendeln per PKW führt.



    Auch sollte man in Frage stellen ob der romantisierende Blick auf die Dorgemeinschaft oder den überschaubaren Kiez nicht auch blind für das Privileg ist sich bei der Gestaltung des eigenen Lebenswandels eben nicht die Frage "Was sollen nur die Nachbarn denken?" stellen zu müssen.

    ...

    • @Ingo Bernable:

      ...



      Neu ist der "Zukunftstrend „Glokalisierung“" nicht, schon Marx und Engels sprachen davon die Unterschiede von Stadt und Land überwinden zu wollen. Wenn das Ergebnis dessen aber ein Modell ist, dass ohne eigenes Auto nicht praktikabel ist und bedeutet Lebenmittel von Amazon und Kultur via Netflix und Youtube zu beziehen dann ist das kein Zukunftstrend sondern ein Auslaufmodell.

  • Kleinstadt als Chance ist wie Geduld als Spucke.

  • Scheint ja eine sensationelle Neuigkeit zu sein, die da in der Hauptstadt aufgetan worden ist. Sind halt echt helle Köpfe, die Berliner.



    Im Ernst: das Problem, dass Dörfer und Kleinstädte (und auch Großstädte in den prekären Regionen wie Gelsenkirchen, Primasens, Gera...) veröden, kommt doch nicht einfach nur davon, dass die dort Wegziehenden den ideologischenVerlockungen der "Metropolen" folgen. Zuvorderst liegt das schlicht daran, dass es in vielen "provinziellen" Regionen keine qualifizierte bezahlte Arbeit gab und gibt.



    In diesen Regionen nehmen dann leider die faktisch und geistig Immobilen zu, der Teufelskreis des brain drains halt.



    Was jetzt entsteht, ist doch lediglich die ökonomisch getriggerte Flucht in den Umlandspeckgürtel der Metropolen mit Zunahme der Pendler und Pendlerdistanzen

  • 9G
    92489 (Profil gelöscht)

    Ich komme aus einer Kleinstadt und man will da eigentlich nur weg.

  • Evolutionspsychologie ist Quatsch. Man lese Susan McKinnon. Ansonsten: Ganz schön viele Wenns! Und was mir an Städten gefällt, gleicht das Internet eben nicht aus. Ist aber natürlich Geschmackssache.

  • Nur so als Randbemerkung, zwischen dem Leben in einer pulsierenden Metropole und dem Leben in einem ostdeutschen Provinznest mit reichlich Plattenbauten, und ohne jegliche Lebensqualität dafür aber wieder reichlich Nazis, gibt es dann immer noch die Möglichkeit in kultivierten mittleren und Kleinstädten im restlichen Europa zu leben.

  • „Nur fünf Haushalte blieben. Die AfD ist hier sehr stark.“



    Das ist das Problem - ein sich selbst verstärkendes Problem.

  • Nur so als Randbemerkung.

    10% der deutschen Wähler leben in den vier Millionenstädten Berlin, Hamburg, München und Köln.

    Weiter 20% der deutschen Wähler leben in den restlichen deutschen Großstädten (also über 100.000 Einwohner), wobei es dabei etliche gibt, die nur deshalb Großstadt sind, weil sie etliche umliegende Dörfer eingemeindet haben. Als Beispiel sei Hamm in Westfalen genannt.

    Der Rest von 70% der deutschen Wähler lebt in Mittelstädten, Kleinstädten und Dörfern.

    Die Journalisten sind anders verteilt.

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Huck :

      guter hinweis - der deutsche ist eher ein kleinstadt-oder dorfmensch.



      der urbanismus ist hier nicht wirklich beliebt, das entspricht mentalität der leute.



      in italien zb. gibt es auch in kleineren dörfern in der regel einen von bewohnern genutzten, öffentlichen platz, oft mit einer bar. urbanismus ist wohl eher eine frage von stil als eine von bewohnerzahlen.



      im gegenzug wird in deutschen großstädten auch mal die polizei zur durchsetzung des privaten ruhebedürfnisses bemüht.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @90118 (Profil gelöscht):

        "guter hinweis - der deutsche ist eher ein kleinstadt-oder dorfmensch."

        Und vielen von denen gefällt das auch so. Der gepriesene Dorf-Urbanismus macht aber nicht zwangsläufig zufrieden.

        "Warum die Deutschen so zufrieden sind

        Optimismus in Deutschland, Pessimismus in Italien. Laut einer Bertelsmann-Studie gehören die Deutschen zu den glücklichsten EU-Bürgern. Mit der Lage im Land sind sie zufrieden, nur mit der EU haben sie ein Problem."







        www.dw.com/de/waru...en-sind/a-40370599

      • @90118 (Profil gelöscht):

        Kein Mensch der Welt aus keiner Kultur und Religion und zu keiner Zeit war je ein "Stadtmensch". Großstädte sind Legebatterien für Menschen. Der Mensch ist kein Herdentier, sondern ein Rudelwesen. Er braucht ein überschaubares soziales Umfeld, auch um daraus die Sicherheit zu schöpfen, die es ihm ermöglicht, Neuem und Unbekanntem ohne Ängste zu begegnen.