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Wirtschaftspolitik mit Boris JohnsonDer Donald von Großbritannien

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Boris Johnson erinnert nicht nur in seinem Populismus an den US-Präsidenten Donald Trump. Auch bei ökonomischen Fragen ticken sie ähnlich.

Johnson inszeniert sich gerne als starker Mann, hier mithilfe eines Militärfahrzeugs Foto: ap

W er ist Boris Johnson? Diese Frage bewegt ganz Europa, ohne dass es klare Antworten gäbe. Johnson selbst vergleicht sich am liebsten mit Winston Churchill, dem Premier im Zweiten Weltkrieg. Aber diese Analogie ist schon deswegen falsch, weil die Nazis fehlen, die er bekämpfen könnte.

Viele konservative Johnson-Fans sehen in ihm auch eher eine männliche Variante von Margaret Thatcher. Sie hoffen auf einen erneuten „Big Bang“, die große Deregulierung, die die Reichen noch reicher macht. Doch auch diese Analogie trifft nicht zu, weil sich Geschichte nicht wiederholen lässt.

Thatcher entmachtete die Gewerkschaften, privatisierte das Staatsvermögen, baute Großbritannien zur Steueroase aus und deregulierte den Finanzsektor. Thatcher war dabei so gründlich, dass es jetzt kein Staatsvermögen mehr gibt, das Johnson verscherbeln könnte. Den Finanzsektor kann er ebenfalls nicht mehr deregulieren, denn der dreht schon frei. Was also ist von dem neuen Premier ökonomisch zu erwarten?

Es hilft ein Blick über den Atlantik: Johnson erinnert nicht an Thatcher, sondern an US-Präsident Donald Trump. Gleich fünf Eigenschaften haben die beiden Blonden gemeinsam, wenn es um die Wirtschaft geht.

Alles finanzieren mit Nichts

Erstens: Sie stammen aus dem Establishment, werden aber vor allem von sozial Deklassierten gewählt. Zweitens: Sie zetteln sinnlose Handelskriege an, was bei den Briten „Brexit“ heißt. Drittens: Beide wollen die Steuern senken – und zwar vor allem für die Reichen. Viertens: Gegen Staatsschulden haben sie nichts, solange sie selbst diese Defizite machen. Fünftens: Inhaltliche Widersprüche sind kein Problem, sondern garantieren Erfolg bei den Wählern.

Wochenendkasten 27./28. Juli 2019

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Diese unbekümmerte Widersprüchlichkeit ließ sich in den vergangenen Tagen bestens beobachten, als Johnson erst in der Downing Street und dann im Parlament auftrat. Jedes Mal trug er eine lange Liste vor, wo überall er investieren will: in das Gesundheitswesen, das Internet, die ­Bildung, die Polizei und den Wohnungsbau. ­Alles soll besser werden, aber die Finanzierung fehlt, weil die Steuern ebenfalls sinken sollen. Ein kohärentes Programm sieht anders aus.

Auch Trump ist nicht entgangen, wie groß die Ähnlichkeiten zwischen ihm und Johnson sind. „He will be great“, twitterte der US-Präsident begeistert. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis er Johnson ins Weiße Haus einlädt. Er wird dem Briten einen „Deal“ anbieten.

Nichts könnte Johnson besser gebrauchen als diesen Imageerfolg, um weiter am Brexit zu werkeln. Johnson wird die Legende verbreiten, man könne auf den Handelspartner Europa bestens verzichten, da man die Supermacht USA auf seiner Seite hat.

Johnson braucht die Kehrtwende

Mit diesem Unsinn dürfte Johnson die eigenen Anhänger durchaus begeistern. Boris-Fans wird nicht auffallen, dass in jedem „neuen“ Handelsvertrag mit den USA ungefähr das Gleiche stehen dürfte wie in den alten Abkommen. Zwischen Europa und Amerika herrscht längst Freihandel. Das lässt sich kaum noch toppen.

Zum Glück sind die Brexit-Fans inzwischen eine Minderheit. Die quälenden Debatten im Unterhaus waren nicht umsonst: Viele Briten ahnen inzwischen, dass der Traum vom „truly global Britain“ schon deswegen absurd ist, weil die weltweiten Märkte längst aufgeteilt sind. Niemand wartet auf die Briten.

So bitter es für die englischen Nationalisten ist: Die Kunden der britischen Firmen sitzen zumeist in Europa. Ein harter Brexit war daher nie eine Option. Es wird also spannend, wann und wie Boris Johnson seine Kehrtwende organisiert. Denn auch diesen Wesenszug hat er mit Trump gemeinsam: Er besitzt ein pragmatisches Verhältnis zur Macht. Zum Premier wurde Johnson, weil er als Hardliner posierte. Langfristig kann er aber in diesem Amt nur bleiben, wenn er sich von einem harten Brexit wieder verabschiedet.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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16 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Was wirtschaftlich aus GB wird steht noch in den Sternen - ich vermute auch, dass es eine riesige und vor allem unregulierte „Freihandelszone für Geld aller Art“ geben wird.



    Ansonsten finde ich Johnson momentan eher populistisch-großmäulig, weil er ja nicht liefern muss und Trump intelligent-gefährlich, weil er seine Provokationen extrem geschickt einsetzt. Zum testen, wie weit er gehen kann und als Auslöser für die Fehler der Gegner. Sprache ist für Trump eine „Machtinvestition“, mit der er prüft, wo er politische Macht ernsten kann. Johnson produziert nur Parolen.

  • Das Problem ist, dass Johnson über Witz und Ironie verfügt. Das ist nicht überall in Europa gern gesehen.

    • @C.O.Zwei:

      Ich muss meine Prognose (siehe unten) in einem wichtigen Punkt ändern:

      Es sieht danach aus, als ob BoJo schon bei Wahlen im Oktober, also VOR dem Brexit-Datum, eine große Mehrheit bekommen könnte. Die Brexit-Party schwächelt bereits, weil ihren Wählern die Torys jetzt als verlässliche Brexiter erscheinen, und Farage wird dann wohl, bevor er sich blamiert, bald ganz zu den Torys übergehen und dazu aufrufen, BoJo & Cons. zu wählen.

      Dann sind die Brexit-Stimmen vereint, während die Remain-Stimmen halb-halb geteilt werden zwischen LibDem/Green und Labour, und letztere nicht bereit sind zu einem Remain-Bündnis.

      Dann reichen BoJo ca. 40% für eine Riesenmehrheit, 35% für eine absolute Mehrheit. Das ist zu schaffen.

      Ich sehe also schwarz. Und Brexit-Pur. Mit allen Konsequenzen.

    • @C.O.Zwei:

      Wenn er Witz und Ironie verbinden würde mit Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft, könnten wir das schätzen.

  • Trumps "Strategien" (besser: Unverschämtheiten und Provokationen) funktionieren nur, weil die USA nach wie vor die bzw. eine der wirtschaftlich (und militärisch) stärksten Nationen ist. Trump kann also nach Belieben die Welt erpressen und andere Nationen an der Nase herum führen.

    England ist zwar wirtschaftlich und militärisch nicht unbedeutend, aber gegenüber der USA und anderen Wirtschaftsmächten eine kleine Leuchte.



    Johnson wird also kein Erpressungspotential haben, sondern im Gegenteil selber erpressbar sein und mit ihm England.

    Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen sich global derzeit massiv ändern. Die Erde stellt so nach und nach immer mehr unbeglichene Rechnungen bzw. Mahnungen aus weil wir seit langem über unsere Verhältnisse leben, die Ressourcen aufbrauchen und die Natur zerstören.

    Diese "Rechnungen" wird auch England aufgetischt bekommen, und Johnson ignoriert diese Fakten ebenso vehement wie Trump.



    Der Brexit und Johnsons Pläne sind dieser Situation, in der alle Nationen angesichts der globalen Herausforderungen friedlich und kooperativ an einem Strang ziehen sollten, in keiner Weise gewachsen und nicht zukunftsfähig.

  • Die Ähnlichkeit der beiden reicht bis zur Unterstützung der MAGA/Brexit-Kampagnen, obline geführt mithilfe von Cambridge Analytica, also dem Mercer/Bannon-Netzwerk.

  • We are the village green presavation society...



    Ich bleibe gespannt.

  • 'Thatcher war dabei so gründlich, dass es jetzt kein Staatsvermögen mehr gibt, das Johnson verscherbeln könnte.'



    sehr schön...



    😂

  • "Die Kunden der britischen Firmen sitzen zumeist in Europa. Ein harter Brexit war daher nie eine Option. Es wird also spannend, wann und wie Boris Johnson seine Kehrtwende organisiert."

    Ja.

    Das Problem ist, dass viele Normal-Britten eine knallharte Rechnung für Johnson zugestellt bekommen.

    Die Liste, wo er investiert, ist nur ein Trick. Ohne echtes Geld schafft er das gar nicht. Er kann auch nur begrenzt Schulden aufnehmen, d.h. er hat hier eigentlich schon gelogen.

    Und beim Brexit wird die Wende kommen. Großbritannien produziert nicht wirklich in der Liga von Deutschland, Japan und schon gar nicht in den Quantitäten von China.

    Aber wenn Boris alles rockt, dann kostet eben Ballentimes oder Johny Walker €30 - wer wird da nicht zur irischem Whisky greiffen? Oder Barbour-Jacken, Peter Scott-Cardigans etc - die Preise könnten sich verdreihfachen.



    Und Bentley oder Range Rover etc. - es könnten am Ende sogar Produkte für immer verschwinden.

    Boris Johnsons ist leider ein Spaßvogel, der der britischen Unter- und Mittelschicht ordentlich einen mitgibt. (Aber einige wollten es so)

    Was er eine Weile schaffen wird, ist so einen diffusen Zeitgeist für sich selbst schaffen. Aber wenn der Glanz verblast und die Realität kommt, wird er untergehen.

    Bei Labour war es der Irak-Krieg - den merkten die Briten aber nicht in Main Street - aber sie wollten diese Krieg nicht. Das hat Labour schon in die Schlagseite gebracht.

    Wenn Boris jetzt den Brexit vermasselt, was ihm zuzutrauen ist, dann wandert die Torry-Partei vom Altenheim zum Friedhof.

    • @Andreas_2020:

      Boris' Chance:



      Vielleicht (!) schafft er den Brexit pünktlich - es ist unsicher, aber möglich.

      DANN kündigt er Wahlen an und verbündet sich dafür eng mit Farage & the Brexiters: Sie treten gemeinsam an, oder die Brexit-Partei geht ganz zu den Tories über.

      DANN gewinnen sie haushoch: Mit ca. 40-45% der Stimmen bekommen sie zwei Drittel der Mandate, denn die Remainer zersplittern ihre Stimmen (Labour, LibDem, Green) - was sich im britischen Wahlsystem grausam rächt.

      DANN hat BJ eine riesige absolute Mehrheit im Parlament und damit erst einmal freie Hand.

      Die Hürde davor: Irgendwie muss er den Crashout durchdrücken, gegen das Parlament und gegen das Volk.

      • @Leo Brux:

        Und was macht er dann mit der riesigen Mehrheit?

      • @Leo Brux:

        Wo sind monty python, wenn man sie braucht...?

  • Ulrike Herrmanns Sicht liegt mir näher als die von Dominic Johnson gestern oder vorgestern.

    Ich bezweifle aber den (vorsichtigen) Optimismus der Kommentatorin: BJ werde schon noch auf einen pragmatischen Kurs kommen (müssen).

    Seine Anhänger (Torys und Faragisten) werden ihn nicht lassen. BJ kann und darf es sich nicht mit den harten fanatischen Ideologen, an die er sich gebunden hat, verderben.

    Er sitzt also in der Falle.

    Und so steuert das Schiff auf die Klippen zu. Volle Fahrt voraus!

    Damit die Stimmung vorerst mal gut bleibt, entfaltet BJ einen Ankündigungszauber. Vielleicht danach auch noch eine Finanzorgie: massive Infrastruktur-Investitionen bei gleichzeitiger massiver Steuererleichterung für die Reichen. Das könnte eine kurze zeit lang wirken und über die Schäden, die der Brexit verursacht, hinwegtäuschen. Bis dann die Realität zubeißt.

    Aber dann hat BJ vielleicht genug Zeit gewonnen, um von der Ursache des Desasters - dem Brexit - ablenken zu können.

    • @Leo Brux:

      Boris hat ein Kabinett von Lemmingen um sich versammelt, das sich kollektiv auf den "jump off the cliff" vorbereitet. Ein Riesenspaß!



      Wäre Boris kurz nach dem Referendum so aufgetreten, wäre eine pragmatische Wende denkbar, aber mit dieser Entourage der Gescheiterten, unterstützt von ein paar ultranationalistischen Medien, geht das nicht. Drei Jahre Selbstauflösung und



      Middle-Muggel England befindet sich in einem Zustand lautstarker Heiterkeit. Alle anderen ziehen in gebührendem Abstand an den



      Besoffenen vorbei mit der Gewissheit, dass der Kater sich schon bald einstellt.

    • @Leo Brux:

      Wenn er diese Investitionen wirklich im großen Stil mit Anleihen finanziuert, wird er schnell schlechtere Ratings und höhere Zinsen dafür erhalten. Dies macht ihn dann sogar abhängig von den Kreditgebern, die regieren mit und er muss die Binnennachfrage so in den Griff bekommen, dass das Wachstum anhaltend und lange ist, also BIP plus 3 oder 4 Prozent. Sollte das dann platzen, Gnade ihm Gott. Wenn er das überhaupt macht. Er lügt doch eigentlich jetzt schon rum, jedenfalls so kommt mir das vor.

  • “Der Donald von Großbritannien“ - Liggers 👹

    kurz - 🦆🦆- Die Donaldinies from EtonOxbridge & WASPs-💨



    &



    Not - Huey, Dewey and Louie - at hand.



    Nowhere. Really Really.

    kurz - Concrete Iron Butts on ride 💨 💨 💨

    🇺🇸 & 🇬🇧 - 🗿&🗿 - Na Mahlzeit

    unterm——btw not only — 🥊 🥊



    Herr Jost Maurin - Übernehmen Sie - 👻 👻 👻