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Windpocken in BerlinNeue Viren für die Impfgegner

Nach den Masern kämpft Berlin nun auch gegen steigende Fallzahlen von Windpocken-Infektionen. Schuld sei die Impfmüdigkeit, meint eine Behörde.

Windpocken-Opfer: Angelina Joli steckte sich im Dezember 2014 an. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Impfmüdigkeit vieler Berliner hat der Hauptstadt einen weiteren Anstieg vermeidbarer Infektionskrankheiten binnen weniger Monate gebracht: Nach den Masern sind nun auch die Windpocken auf dem Vormarsch, teilte eine Sprecherin des Landesamts für Gesundheit und Soziales am Mittwoch mit.

In den ersten beiden Monaten des Jahres habe es 240 Fälle gegeben, allein in der vergangenen Woche seien 22 Neuinfektionen registriert worden. Bereits im Vorjahr habe es einen deutlichen Anstieg gegeben. Damals habe sich die Zahl der Erkrankungen innerhalb eines Jahres auf 1577 verdreifacht.

Windpocken zählen zu den hoch ansteckenden Viruserkrankungen, gegen die es keine Therapie gibt. Schutz bietet lediglich eine zweifache Impfung, die die Ständige Impfkommission seit 2004 ab dem 11. Lebensmonat empfiehlt. Das Virus wird durch Tröpfchen übertragen, die beim Atmen oder Husten ausgeschieden werden; von 100 Nicht-Geimpften erkranken 90, teilt das Robert-Koch-Institut, Deutschlands oberste Seuchenbehörde, mit.

Windpocken sind wegen ihrer möglichen Komplikationen gefährlich. Bei jedem fünften erkrankten Erwachsenen führt sie nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu einer Lungenentzündung, die gewöhnlich 3 bis 5 Tage nach Krankheitsausbruch auftritt und schwer verlaufen kann. Selten (bei 0,1 Prozent der Erkrankten) greift die Krankheit das zentrale Nervensystem an; Gleichgewichtsstörungen und eine Reizung der Hirnhäute sind mögliche Folgen.

In den ersten sechs Monaten der Schwangerschaft können Windpocken selten zu schweren Fehlbildungen, Augenschäden, neurologischen Erkrankungen oder zum Tod des Kindes führen. Erkrankt die Schwangere um den Geburtstermin, kann eine Windpocken-Infektion für Neugeborene lebensbedrohlich sein; 30 Prozent der Kinder sterben.

Die Windpocken brechen 8 Tage bis 4 Wochen nach Ansteckung aus. Erkrankte sind aber schon 1 bis 2 Tage ansteckend, bevor der Ausschlag zu sehen ist und bis zu 5 bis 7 Tage, nachdem sich die letzten Bläschen gebildet haben. Wer eine Erkrankung überstanden hat, ist lebenslang immun.

Erst seit 2013 sind Windpocken meldepflichtig, weswegen verlässliche Daten über die bundesweite Verbreitung in den vergangenen Jahrzehnten fehlen. Die Impfquoten bei Schulanfängern lagen 2012 laut Robert-Koch-Institut bundesweit bei gut 60 Prozent für die zweite Windpockenimpfung.

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14 Kommentare

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  • Wer sich schützen will, kann sich ja impfen lassen. Also wo ist das Problem?

     

    Kommt mir jetzt bloß nicht mit der Impfpflicht....

    • @Friedrich Zoller:

      Ganz einfach: Bei allen Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragen werden, gibt es das Risiko, dass ich als (ungeimpfte_r) Erkrankte_r:

      - Kleinkinder anstecke, die noch nicht geimpft werden konnten

      - Menschen anstecke, die wegen schwerer Erkrankungen (Chemotherapie, Immunschwächen, Transplantierte...) nicht geimpft werden können

      - Menschen anstecke, die trotz Impfung keinen Impfschutz aufbauen (meist 1-5%).

      Die ersten beiden Gruppen sind meist auch noch die, die ein besonders hohes Risiko für Komplikationen haben, die dritte Gruppe ist meist in besonderen Lebenssituationen (Schwangerschaft, hohes Alter...) gefährdet

      Impfgegner nennen das dann Schicksal (oder behaupten, die Grunderkrankung sei schuld, wie bei dem an Masern gestorbenen Kleinkind, das wäre ja eh bald gestorben). Ich nenne es verantwortungslos. Werde alle geimpft, die impfbar sind, sind auch die geschützt, die nicht impfbar/nicht immunisierbar sind...

      Eine freie Entscheidung sehe ich bei Krankheiten wie FSME, die wird nur von Zecken übertragen und nicht von Mensch zu Mensch. Da gefährde ich nur mich selbst.

  • "Wer eine Erkrankung überstanden hat, ist lebenslang immun."

     

    Wow, fast alle Erwachsenen und Kinder, die vor 2004 geboren sind, die ich kenne haben diese angeblich seit einigen Jahren "gefährliche" Krankheit durchgemacht und sind daher lebenslang immun. Darunter ist auch ein Erwachsener, der sie als Kind nicht durchgemacht hat, er hat sie über sein Kind erst bekommen.

     

    Unsere private "Überlebensgeschichte":

     

    2002 haben meine Kinder direkt nach einer ersten Kinderinfektionskrankheit (von einem erwachsenen Babysitter "bekommen") auch noch die Windpocken von einer Kindergartenfreundin bekommen (alle Kinder ca. 1 bis 3 Jahre alt). Von unseren Kindern haben es dann (nur) die ganz direkten Nachbarkinder bekommen (ca. 1,5 Jahre) und zum Schluss noch eine 10 jährige aus unserem direkten Bekanntenumfeld - sie kannten das Restrisiko durch uns. Wir sind selbstverständlich mit den Kindern nicht weiter in die Öffentlichkeit gegangen, sondern weiter zuhause geblieben, um keine Schwangeren etc. anzustecken.

     

    Damals gab es noch keine Impfung gegen Windpocken und ich bin dankbar dafür! Ich selbst hatte die Windpocken als Kindergartenkind natürlich auch. Alles ohne Probleme, habe nur noch eine kleine Narbe.

    • @Hanne:

      Mir war übrigens bis vor wenigen Tagen - bis zur taz-Masernhysterie - gar nicht bekannt, dass mittlerweile auch gegen Windpocken geimpft werden kann.

       

      Scheinbar gibt es aber noch die "nur" 3-fach-Impfung gegen Mumps, Masern, Röteln (MMR). Alternativ als 4-fach-Impfung mit Windpocken (MMRV).

       

      Wahnsinn, wie wir das früher als Kinder nur alles überlebt haben, als noch nicht gegen alles geimpft wurde?!?

      • @Hanne:

        Nun, Ihre persönliche Lebensgeschichte hat natürlich allerhöchste Beweiskraft. Dagegen sieht jedwede epidemiologische Studie völlig bedeutungslos aus.

        Meine Tochter hat die Windpocken im übrigen auch überlebt, dennoch hätte ich ihr gerne die vielen juckenden roten Pickel und die wochenlange Prozedur des Einschmierens der Pickel erspart.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Lesen Sie eigentlich, was Sie verlinken, Frank H. ? Ich darf doch zitieren, nein, nicht die stuiftung warentest, sondern ein Kritiker derselben ?

    " ... entlarvte sich der oben genannte Artikel (das ist stiftung warentest) in seiner Gänze nicht als hochgradig intransparent und fragwürdig: So ist weder der die Bewertung vornehmende "Expertenkreis" näher, geschweige denn namentlich genannt, noch finden sich Äußerungen zu bei "Experten" zu diesem Thema nicht unüblichen Interessenskonflikten, eine bei medizinischen Veröffentlichungen aus gutem Grund unerlässliche Forderung. Auch ist - und auch hier unterscheiden sich Stellungnahmen zu medizinischen Themen eben von Waschmaschinentests - keine der getätigten Behauptungen durch Quellenangaben oder zumindest den Hinweis auf ein Literaturverzeichnis belegt." Super selbst desavouiert, Glückwunsch !!! Welche Waschmaschine haben Sie gekauft ?

  • Na, dann hier was zur Windpocken-Impfung aus dem Jahr 2008:

     

    http://med.blogger.de/stories/1112703/

     

    "Ehgartner: Wie stehen Sie zur Empfehlung der allgemeinen Windpockenimpfung, die nun schon einige Jahre gilt?

     

    Hartmann: Das ist auch reines Pharma-Marketing. Da müssen Sie schon lange suchen, bis Sie ein Kind finden, dass durch eine Windpocken-Erkrankung einen schweren Schaden davon trägt.

    Die Kinderärzte sagten, man könne ja gegen vieles impfen. Aber doch nicht gegen Windpocken. „So ein Kind muss doch auch mal irgendwie eine Art von normaler Krankeit durchmachen, dass sein Organismus das mal kennen lernt. Und da sind die Windpocken ideal.“

    Also kam das Argument, man müsse das volkswirtschaftlich sehen, durch die Reduktion der Pflegetage der Eltern, hieß es, zahlt sich das aus.

    Und jetzt wird’s von den Herstellern bald nur noch den Vierfach-Impfstoff (Anm: Kombi gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken) am Markt geben. Sie werden bald keinen anderen mehr kriegen. Und dann müssen alle gegen Windpocken impfen."

     

    Zu Hr. Hartmann:

     

    Dr. med. Klaus Hartmann, Jahrgang 1960, war nach ärztlicher Tätigkeit zehn Jahre im renommierten Paul-Ehrlich-Institut im Referat für Arzneimittelsicherheit tätig und registrierter Experte bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), London. Heute ist er gefragter Gutachter in Impfschadensprozessen und arbeitet wieder als Arzt in einer Klinik.

  • Mit Erstaunen muss ich erneut feststellen, wie sich die taz der allgemeinen Panikmache anschließt und selbst bei einer harmlosen Kinderkrankheit wie Windpocken, deren Durchlaufen in der Regel eine lebenslange Immunität sichert, dazu "aufruft", sich in die Fänge der Pharmaindustrie zu begeben. Gebe ich hier zu, ohne Pseudonym, ich hasse diese profitgierigen Geier, die würden sogar gegen Dummheit impfen, wenn es ihnen denn nutzen würde. Aber wen dann?

    Immer schön mitmachen und einlullen lassen.

    • @poly:

      "Sogar gegen Dummheit impfen"?

       

      Also ich würde zu einer solchen Impfung, so es sie denn gäbe, raten.

       

      Zumindest unseren Politikern... und fanatischen Impfgegnern natürlich.

  • Der Kreuzzug der TAZ gegen jegliche Kritik an Impfungen reißt ja gar nicht ab.

    Jegliche Kritik an Impfungen, an der Stiko etc. kommt ja bei Ihnen in die unseriöse böse "IMPFGEGENER-Schublade".

    Ist die "Stiftung Warentest" seriös genug? Dann können Sie sich hier informieren.

    http://www.impf-info.de/die-impfungen/windpocken/160-stiftung-warentest-raet-von-der-windpocken-impfung-ab.html

    • @Frank H.:

      Und immer wieder Frau Haarhoff...:

       

      "Windpocken sind wegen ihrer möglichen Komplikationen gefährlich."

       

      Alle Infektionen können gefährlich sein, im Grunde ist das komplette Leben nur eine Aneinanderreihung von Überlebenstagen.

       

      Das Leben kann man doch nicht genießen, wenn man vor allem und vor allem vor allen Infektionen Todesangst hat.

       

      P.S.: Bitte keine Dachziegel mehr verwenden, die können bei gewissen Wetterlagen auch tödlich sein :-)

    • @Frank H.:

      Nein, die Stiftung Warentest ist sicher keine Referenz!

      Bevor die´s nicht hinbekommen Fahrräder und Schokolade richtig zu bewerten würde ich mich bei wesentlich komplizierteren Themen, wie z.B. Gesundheitsfragen, sicher nicht auf die verlassen.