Wiedereröffnung von Clubs: Tanzend aus dem Winterschlaf
Über eine zeitnahe Wiedereröffnung der Berliner Clubs wird in der Szene spekuliert. Die Hoffnungen liegen auf den März.
Berlin ist weltweit für sein Nachtleben bekannt, die Clubs aber sind seit Anfang Dezember weitgehend geschlossen. Nicht weil sie nicht öffnen dürfen, sondern weil sie einer ihrer Hauptfunktionen nicht nachkommen können: Es herrscht „Tanzverbot“.
„Ein Club ohne Tanzen ist wie eine Sauna ohne Schwitzen“, sagt Lutz Leichsenring, der Sprecher der Clubcommission Berlin, einer Interessenvertretung für Clubs und VeranstalterInnen. Sauna war in den letzten Monaten zu jeder Zeit möglich, trotz der hohen Infektionszahlen. Einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zufolge sei die Infektionsgefahr aus verschiedenen Gründen bei Tanzveranstaltungen deutlich höher.
Ein Signal in Richtung EntscheidungsträgerInnen soll nun eine aktuelle Umfrage der Clubcommission zu möglichen Öffnungsstrategien bringen. Daran haben 97 Berliner Clubs, KünstlerInnen und Kollektive teilgenommen. Das Ergebnis: ein knappes Viertel der Befragten könnte sofort, 40 Prozent in zwei bis drei Wochen und ein weiteres Viertel in vier Wochen wieder öffnen.
Öffnung mit Maskenpflicht ist undenkbar
Über zwei Drittel der VeranstalterInnen sind der Auffassung, dass eine Öffnung von der Auslastung der Intensivstationen abhänge. Außerdem müsse sie durchdacht und nachhaltig umgesetzt werden. Das hieße 2G plus und möglicherweise Schnelltests vorab. Für die Befragten ist eine Öffnung mit Maskenpflicht, Abstandsregeln oder Kapazitätsbeschränkungen jedoch nicht denkbar: „Tanzen in Clubs funktioniert nur mit Nähe und Kommunikation. Mit Masken und nur geringer Auslastung entsteht keine Atmosphäre“, erklärt Marcel Weber vom queeren Club „Schwuz“.
Als größte Herausforderung gaben die Berliner ClubbetreiberInnen bei der Umfrage die Suche nach genügend Personal und die Angst vor einer erneuten Schließung an.
Trotz der staatlichen Sonderzahlungen, um die Veranstaltungsbranche zu unterstützen, fehlt es manchen dennoch an Wertschätzung: „Die Debatte, die wir hier führen, ist keine finanzielle, sondern eine gesellschaftspolitische“, meint Lutz Leichsenring.
Vor der Pandemie sei Berlins Clubkultur auch durch die Politik oft als positives Aushängeschild herausgestellt worden. Es gab viele Signale, die zeigen, wie wichtig das Party-, Konzert- und Veranstaltungsangebot für die Stadt ist. „Seit Corona ist davon leider nur noch wenig zu spüren“, sagt Leichsenring und fügt hinzu: „Kulturelle Veranstaltungen sind für viele der Kleister unserer Gesellschaft. Menschen ziehen Freude am Leben daraus und pflegen hier ihre sozialen Kontakte. Das sollten PolitikerInnen bei Entscheidungen berücksichtigen.“
Wichtig fürs wirtschaftliche Überleben
Die meisten Clubs entschieden sich seit Beschluss des Tanzverbots für den „Winterschlaf“, wie es der Club Sisyphos in der Rummelsburger Bucht auf seiner Website nennt, und machten ganz dicht. „Wir haben das Tanzverbot stark kritisiert“, erklärt Lutz Leichsenring, „das Angebot der Clubs geht zwar weit über Tanzveranstaltungen hinaus, die Partys und Konzerte sind aber für die Wirtschaftlichkeit der Locations wichtig.“
Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge oder Comedy waren in den letzten Monaten zwar möglich und wurden auch von manchen Clubs genutzt, doch das muss man sich laut Leichsenring finanziell leisten können.
So würden andere Veranstaltungen in Clubs durch die Partys querfinanziert werden. Alles andere sei oft ein defizitäres Geschäft. Außerhalb der profitablen Partys, Veranstaltungen jeglicher Art anzubieten, sei den Clubs aber dennoch wichtig, da sie KünstlerInnen so eine Bühne bieten würden und Profitmaximierung hier nicht im Vordergrund stünde.
Wie so oft steht die Frage im Raum, ob es eine Rückkehr zur sogenannten Normalität geben werde. Für Lutz Leichsenring befindet sich die Clubszene ohnehin konstant im Wandel. „Progressivität ist uns wichtig, nicht nur wegen Corona. Auch im Umgang mit Diskriminierung, Belästigung in Clubs oder fairer Bezahlung von KünstlerInnen. Ein Zurück in alte Muster wäre nicht unser Anspruch.“
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