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Wiedereinführung der WehrpflichtDienstrecht statt Dienstpflicht

Gerd Grözinger
Gastkommentar von Gerd Grözinger

Wehr- oder sozialer Dienst sollte freiwillig sein. Aber wer nicht kommt, sollte dafür mehr Steuern zahlen müssen.

Rekruten beim feierlichen Gelöbnis im Bendlerblock im Bundesministerium für Verteidigung in Berlin Foto: Emmanuele Contini/imago

P eriodisch flackert in Deutschland die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht auf. Mal ist es der Personalmangel der Bundeswehr, mal die rechtsextremen Umtriebe bei Berufssoldaten, die die Legitimation dafür liefern sollen. Und es gibt noch die progressive Variante, die die Jugend lieber in Pflegeheime statt in Kasernen schicken möchte. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass sich in der Bevölkerung eine Mehrheit für eine breit definierte Dienstpflicht findet.

Viele argumentieren dabei mit der Charakterbildung. Die Erfahrung, dass es noch etwas anderes gebe als das eigene private Interesse, sei gerade in heutigen Zeiten wertvoll, wo Einkommen und Selbstverwirklichung als Lebensziel dominierten. Man kann das für bedenkenswert halten und trotzdem den Freiheitsentzug durch eine Dienstpflicht in Friedenszeiten für hochproblematisch. Deshalb ein Vorschlag als Kompromiss, der beide Dimensionen berücksichtigt:

Gerd Grözinger

ist Professor und leitet die Abteilung für Sozial- und Bildungsökonomik der Europa-Universität Flensburg.

Es könnte gut ein Recht auf ein Dienstjahr in jüngeren Lebensjahren geben, einschließlich eines Wehrdienstes. Das Recht soll dabei die Prüfung auf Geeignetheit nicht ausschließen, um etwa rechtsextreme Waffennarren von der Bundeswehr fernzuhalten. Es muss aber aus Gerechtigkeitsgründen noch etwas dazukommen. Wer kein Dienstjahr leistet, zahlt stattdessen später einen kleinen Aufschlag auf seine Einkommensteuer.

Schließlich genießt ja diese Gruppe ökonomische Vorteile, eine längere Berufstätigkeit und bessere Karrierechancen wegen eines früheren Berufseinstiegs. Und es gäbe noch einen positiven Effekt. Unsere künftigen Funktionseliten haben heutzutage weit überwiegend eine akademische Ausbildung und oft einen saturierten ökonomischen Hintergrund.

Denen tut ein Zuschlag zur Einkommensteuer relativ mehr weh als anderen. Sie hätten also einen stärkeren Anreiz, ein solches Pflichtjahr abzuleisten. Und würden dadurch en passant durch den Kontakt mit anderen sozialen Schichten andere Lebenswirklichkeiten kennenlernen.

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10 Kommentare

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  • Die Diskussion und die diversen Denkansätze sind hoch interessant.



    Nicht uneinig scheint man sich zu sein, dass ein Jahr abseits des egobezogenen Alltags im, wie auch immer gearteten, Dienstes für die Allgemeinheit zur Persönlichkeitsbildung nicht schlecht wäre. Meine Dienstzeit als Zivi in einer Einrichtung für psychisch Kranke war definitiv ein wichtiger und lehrreicher Abschnitt in meinem Leben.



    Mal ein anderer Gedankengang: freiwillig, aber dafür dann Vorteile im späteren Leben für die, die einen entsprechenden Dienst geleistet haben. Beispielsweise Lehrzeitverkürzung in Pflegeberufen oder auch ein höheres Gehalt. Ja, ich weiß, auch das wirft wieder viele fragen und Probleme auf, aber vielleicht findet sich ja unterm Strich eine Lösung mit vielen Details, die rechtlich unbedenklich und praktikabel ist.



    Was selbstredend nicht passieren darf ist, dass wieder Jobs durch Dienstleistende ersetzt werden.



    Wie man das bei der Bundeswehr lösen kann? Keine Ahnung. Die Verhinderung des Staates im Staat war ja mal ein grundsätzlicher Gedanke der Wehrpflicht und dieser Gedanke ist sicherlich nicht falsch. Aber ob man das wirklich mit einer einjährigen Dienstzeit junger unerfahrener Menschen in den Griff bekommen kann, ist mindestens zweifelhaft.

  • Da versuchen nun Politiker und Lobbyisten eine "Krise" (die man selbst verschuldet hat indem man zu lange weggesehen hat) dafür auszunutzen, um die Wehrpflicht wieder einzuführen. Die uns allen vorgestellte Idee, dass man damit den Rechtsruck in der Bundeswehr aufhalten könne ist Dämlich. Denn zum einen werden nur die zur Bundeswehr gehen, die sich mit so was eh am meisten Anfreunden können und zudem sind Wehrpflichtigte auf der untersten Trittstufe und haben mal gar nichts zu melden. Aber darum geht es ja auch in Wirklichkeit überhaupt nicht.



    Die Wiedereinführung hat das Ziel, möglichst viele Zivieldienstleistende zu erzeugen. Denn die Bevölkerung wird immer Älter und es fehlt massiv an Pflegekräfte in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen usw.. Um das zu Ändern müssten deutlich bessere Löhne gezahlt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Denn auch der Zustrom von billigen Arbeitskräften aus dem Osten kommt ins Stocken. Dank Zugehörigkeit zur EU steigen auch dort die Lebenshaltungskosten und Lohnerwartungen. Vor allem fehlt es an denen, wo die untersten Arbeiten verrichten. Das Ende der Wehrpflicht hatte die Zivieldienstleistenden wegbrechen lassen und das Pflegepersonal musste deren Arbeit mit übernehmen. Darauf folgten noch striktere Zeitvorgaben und verschlechterte Arbeitsbedingungen. Mehr Bezahlen möchte man aber nicht. Hier wären neue Zivieldienstleistende die perfekte Lösung des Problems. Unter dem Deckmantel von Bekämfpung des Rechtsrucks in der Bundeswehr und soziale "Erziehung" der Jugend möchte man eine teure Lücke füllen.

  • „Es könnte gut ein Recht auf ein Dienstjahr in jüngeren Lebensjahren geben, einschließlich eines Wehrdienstes“



    Eine solche Wahlfreiheit hätte ich mir auch gewünscht! Aber als gewesener DDR-Bürger hatte ich ab 18 bereit zu sein für den Wehrdienst bei der NVA (Nationale Volksarmee).



    Einige Konditionen: 18 Monate, pro Monat 1 Tag Urlaub, Sold: 90 (Ost-)Mark. Ausgang gab es nach der Dienstzeit bis Mitternacht, wenn der Vorgesetzte gute Laune hatte (meistens nicht). Ansonsten Vollpension, d. h., außerhalb der Kaserne schlafen war Wehrpflichtigen nicht erlaubt!



    Besonders nervig war der sog. Politunterricht, in man eingetrichtert bekam, dass die Wehrpflicht in der NVA eine „Ehrenpflicht“ sei, weil man doch auf der „richtigen“ Seite der Frontlinie stünde. Hat mich nicht getröstet!



    Und um mit einem Missverständnis aufzuräumen: Einen „Wehrersatzdienst“ oder „Zivildienst“ gab es NICHT! Die sog. „Bausoldaten“ hatten den gleichen Dienst zu verrichten; nur der Umgang mit Waffen blieb ihnen erspart.

  • Na das ist doch halbgar. Wenn schon, dann sollte man diese Idee konsequent weiterführen und aus der Historie lernen. In fast allen europäischen Armeen gab es früher die Möglichkeit, statt selber anzutreten, einen Ersatzmann zu stellen ("Einsteher"), diesen zu bezahlen und sich so, hinreichende Mittel vorausgesetzt, ganz legal aus der Affäre zu ziehen.

  • Wenn die Besteuerung der Nicht-Dienstleistenden im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit funktionieren soll, dann muss sie ja dem "Schaden" entsprechen, den ein/e Dienstleistende/r auf sich nimmt. Wenn jede/r den gleichen Beitrag zum Gemeinswesen leisten soll wäre alles andere ungerecht. Damit wäre dann aber auch die Freiweilligkeit des Dienstes nicht gegeben, denn schließlich leistet ja jeder seinen Beitrag (die einen mit ihrer Zeit, die anderen zahlen).

    Abgesehen davon dürfte klar sein, dass sch der durch ein Dienstjahr entstehende "Schaden" nicht monetär ausdrücken lasst. Gerecht im obigen Sinne kann ein solches Modell also nicht sein.

    Ich persönlich habe Zivildienst geleistet und habe es als wertwolle Erfahrung empfunden. Dennoch finde ich es grundsätzlich nicht richtig, wenn der Staat sich derart rigeros in die persönlichen Belange der Bürger:innen einmischt und einfach ein Jahr (z.B.) der Lebenszeit in Anspruch nimmt.







    Ein Dienst an der Gemeinschaft ist sicherlich sinnvoll. Er sollte aber wirklich freiwillig sein.

    • @Milvus milvus:

      kein zwangsdienst kann eine bereicherung sein - sonst bräuchte es den zwang nicht. notwendigerweise handelt es sich um nichts anderes als unterdrückung; wie übrigens jede einmischung des staates in die angelegenheit der bürger.

  • Ein superfauler Kompromiss. Eigentlich nur die Fortschreibung von Ungerechtigkeit und die Fortschreibung von Ungleichheit mit neuen Mitteln. Und dann ausgerechnet noch die Einkommenssteuer als Instrument des Ausgleichs! Die Steuer, bei der die wirklich Einkommensstärksten auch am meisten gestalten können. Und wen kümmert ein relativer Abzug? Nein, die Freiwilligen werden die Dummen bleiben.



    Apropos die Dummen: das waren über mehr als 50 Jahre ausschließlich Männer. Die Dienstpflicht wurde erst ausgesetzt, als die Besserstellung der Frauen überhaupt nicht mehr begründbar war. Es gab aber auch vorher eigentlich schon überhaupt keine Gründe gegen einen Dienst für alle. Statt diesen Konflikt auszuhalten hat man sich dann für den Dienst für niemanden entschieden und dies, obwohl reichlich Bedarf da wäre. Und dann noch: wenn ich hier etwas von "Freiheitsentzug" lese, dann wird mir ganz anders. Der Begriff ist völlig überzogen und immerhin hatten wir diesen "Freiheitsentzug" ja über 50 Jahre. Solche Wortspielereien sind auch vordergründige Trickserei und sie sind nicht wirklich relevant. Der Freiwillige fühlt sich ja wohl kaum viel besser beim Intim- Säubern als der Verpflichtete. Was ist denn an Freiwilligkeit so toll und an Oflicht so schlecht? Nein, hier werden nur Argumente zusammengekratzt für Leute, die etwas nicht tun wollen und scheinbare Kompromisse präsentiert, die ein bisschen Ausgleich zu schaffen behaupten.

  • Auch dieser Beitrag - wie so viele zu diesem Thema in den vergangenen Tagen - berücksichtigt nicht die Verfassungslage: Wehrpflicht, falls notwendig und gerecht umsetzbar, wäre denkbar und damit dann auch als Ersatz ein Zivildienst. Eine Allgemeine Dienstpflicht, um staatliches Aufgaben z.B. in der Pflege billiger zu machen, sicher nicht. Also kann auch kein Zuschlag auf die Einkommenssteuer für "nicht gediente" der Verfassung entsprechen. Wer kommt denn auf sowas ?

  • Ganz wie früher: “Der Reiche kann‘s bezahlen, der Arme muss ins Feld“?

    Ein soziales Jahr sollte verpflichtend sein für alle, unabhängig von Geschlecht, Religion und Einkommen. Dienst bei der Bundeswehr sollte dabei aber nicht die Default-Option sein, also nicht eine Wehrpflicht im ursprünglichen Sinne, sondern lediglich eine von vielen Möglichkeiten (da könnte man dann sogar über eine neue „Gewissensprüfung“ nachdenken: wer töten lernen will, muss sein Gewissen prüfen lassen – wär‘ das nicht eine schöne historische Retrourkutsche).

    Auf alle Fälle aber soll man sich nicht freikaufen können.

  • Man kann sich von der Dienstpflicht also quasi freikaufen?



    Ist der Aufschlag auf die Einkommensteuer lebenslang? Was ist dann mit Krankheit, Arbeitslosigkeit, Auslandsaufenthalten? Kann ich mir das im Nachhinein dann doch anders überlegen, krieg ich dann was wieder?

    Wir haben dann also ein Recht auf einen Dienst, das aber auch nach (welchen?) Kriterien abgelehnt werden kann. Die Strafsteuer muss aber dann auch bezahlt werden?

    Die ökonomischen Vorteile der Nicht-Dienst-Leister sind eine Annahme, die im Zweifelsfall gehörig daneben liegen kann.

    Nee. Nee. Nee. Ich bin mal nett und nenne die Idee unausgegoren. Sorry.