Widerstand gegen Wladimir Putin: Putins Albtraum

Während einzelne Oligarchen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien fordern, protestieren Tausende Menschen von Moskau bis Jekaterinburg.

Junge Demonstrantinnen in Moskau werden von der Polizei verhaftet

Peace: Bei den russlandweiten Protesten gegen den Krieg kommt es zu hunderten Festnahmen Foto: Denis Kaminev/ap

MOSKAU taz | Michail Fridman machte den Anfang. Einen zögerlichen zwar und doch einen beachtenswerten. Das, was in der Ukraine geschehe, empfinde er als „Tragödie für beide Seiten“, schrieb der russische Oligarch in der Financial Times. Die russische Wirtschaftselite, die Russlands Präsident Wladimir Putin erst vor wenigen Tagen bei sich versammelt hatte, um „Solidarität“ zu erbitten, war angesichts des Krieges in der Ukraine, der in Russland offiziell „militärische Spezialoperation“ genannt wird, stumm geblieben.

Dann aber meldete sich Fridman, auf ihn folgte der Aluminium-Magnat Oleg Deripaska. Verhandlungen müssten so schnell wie möglich stattfinden, schrieb der Milliardär mit Beteiligungen an Unternehmen von Energie, Bergbau und Schwerindustrie in seinem Telegram-Kanal. Nach einem unbequemen Zeitgeist klingt auch das nicht. Dass ein Putin-Vertrauter aber nicht einfach offiziöse Sätze nachspricht, ist neu in diesen Tagen.

Fridman gehört zu den reichsten Russen, „Investor Nimmersatt“ wird der in der Ukrai­ne (damals noch Sowjetunion) geborene russische Unternehmer genannt. Er hat Beteiligungen im Ölexport, Mobilfunk, Finanzwesen, in der Lebensmitteli­ndustrie und im Einzelhandel. Bereits zu Jelzin-Zeiten gehörte der heute 58-Jährige zu den „Großen sieben“ – Oligarchen, die mit Geld und Einfluss dem damaligen, bereits von Alkohol zerfressenen Präsidenten Boris Jelzin bei der Präsidentschaftswahl 1996 zu seinem erneuten Sieg verholfen hatten. Seine Alfa-Bank findet sich auf der Sanktionsliste der EU. Auch Deripaska steht auf etlichen Sanktionslisten.

In ihren Äußerungen verurteilen die beiden Milliardäre den Angriff Russlands nicht. Schon gar nicht ihren Präsidenten. Sie wählen allgemeinere Begriffe. Fridman fordert, das „Blutvergießen zu stoppen“, Deripaska schreibt, wie wichtig Friede sei. Derweil hat das russische Verteidigungsministerium zum ersten Mal seit dem Einmarsch seiner Truppen in der Ukraine von verletzten und getöteten russischen Soldaten gesprochen. Wie hoch die Verluste sind, wird nicht bekannt gegeben. Die „Operation“ wird der Öffentlichkeit weiterhin als steril verkauft.

Twitter und Facebook funktionieren nur eingeschränkt

Vor allem unabhängige Medien sind angehalten, ihre Berichte zu korrigieren. Begriffe wie „Invasion“, „Krieg“, „Angriff“ sind verboten. Als einzige Quelle sollen offizielle russische Verlautbarungen genannt werden. Einige russischsprachige Nachrichtenplattformen hat die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor so bereits gesperrt. Der Kurznachrichtendienst Twitter funktioniert nur eingeschränkt, auch Facebook könnte in wenigen Tagen abgeschaltet werden.

Leh­re­r:in­nen in Russland in einem offenen Brief

„Jetzt zu schweigen wäre schrecklich. Es wäre eine Schande“

Dennoch versammeln sich jeden Abend Tausende Menschen in Moskau, Sankt Petersburg, Jekaterinburg und anderen Städten quer durchs Land, um gegen den Krieg zu demonstrieren. Jeden Abend nehmen Spezialkräfte der russischen Polizei Hunderte von ihnen fest. Allein am Sonntag waren es laut der Bürgerrechtsorganisation OWD-Info mehr als 2.000. Die russische Generalstaatsanwaltschaft drohte mit Verfahren wegen Staatsverrats, sollten russische Bürger „ausländischen Staaten mit jeglicher beratender Tätigkeit helfen, die gegen die Sicherheit Russlands gerichtet ist“. Darauf stehen 20 Jahre Freiheitsentzug. Selbst Menschen, die eine ukrainische Flagge in ihr Fenster hängen, werden von der Polizei abgeholt.

Manche Be­hör­den­ver­tre­te­r*in­nen sprechen von Verrätern. Die Vorsitzende des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, zog die Kritik der Menschen am russischen Militäreinsatz gegen die Ukraine ins Lächerliche. „Manche Leute denken halt an ihre jetzigen Sorgen. Nicht an die Sicherheit eines so großen Landes zu denken, das auf der Weltbühne so wichtig ist, nicht daran zu denken, dass eines schönen Tages jemand von der Souveränität unseres Landes etwas abbeißen könnte, von den Öl- und Gasfeldern – all das ist nicht zulässig“, sagte sie. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow meinte, die Menschen hätten kein Recht zu demonstrieren.

„Von einer neuen Runde der Konfrontation mit dem Westen wird oft eine Destabilisierung in Russland erwartet. Das Gegenteil ist der Fall“, schrieb die russische Politologin Tatjana Stanowaja, da waren russische Flugzeuge noch nicht über Kiew geflogen. Die Kontrolle im Inneren werde sich noch weiter verstärken, so Stanowaja, die Dominanz der konservativen, anti­liberalen und antiwestlichen Elite weiter zunehmen.

Tochter eines Kreml-Sprechers postet eine Friedensbotschaft

Die Angst ist groß in Russland. Aber auch das Entsetzen. Mehr als 6.000 Ärz­t*in­nen unterschrieben einen offenen Brief: „Vor Schmerzen schreien alle in einer Sprache.“ Leh­re­r*in­nen schrieben: „Jetzt zu schweigen, wäre schrecklich. Es wäre eine Schande.“ Wis­sen­schaft­le­r*in­nen legten dar: „Die Verantwortung trägt Russland allein. Es ist ein fataler Schritt ins Nirgendwo.“ Sportler*innen, Schauspie­ler*in­nen, Jour­nalist*innen, Wohl­tätigkeits­organisationen, Re­gis­­seur*in­nen, Sänger*innen, Künst­­ler*innen, Blogger*innen, Buch­­­händ­ler*in­nen, sie alle lehnen sich gegen ein Regime auf, das ihr Land zu einem Pariastaat gemacht hat.

Selbst Jelisaweta Peskowa, die Tochter des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow, postete auf ihrem Instagram-Account vor einem schwarzen Hintergrund: „Nein zum Krieg“. Kurze Zeit später war der Satz wieder weg.

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