piwik no script img

Westsahara in SpanienPolisario-Chef sagt aus

Spaniens Justiz hat U-Haft für den Chef der Polisario, Brahim Ghali, abgelehnt. Die Entscheidung dürfte für Spannungen mit Marokko sorgen.

Protest gegen den Polisario-Chef Brahim Ghali am Dienstag in Madrid, Spanien Foto: Sergio Perez/reuters

Madrid taz | Der Vorsitzende der Befreiungsbewegung Polisario, Brahim Ghali, wurde am Dienstag mehrere Stunden vor dem obersten spanischen Strafgerichtshof, der Audiencia Nacional, vernommen. Der 75-Jährige ist Präsident der Exilregierung der seit 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. Seit Mitte April wird er in einem Krankenhaus im nordspanischen Logroño wegen Covid-19 behandelt. Er beantwortete die Fragen von Untersuchungsrichter Santiago Pedraz per Videokonferenz.

Bevor Ghali vor vier Jahren an die Spitze der Polisario und der Exilregierung in den sahrauischen Flüchtlingscamps in Südalgerien aufstieg, war er unter anderem Verteidigungsminister und Botschafter in Algerien und Spanien. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er soll unter anderem Oppositionelle gefoltert haben.

Die Beschuldigungen stammen von zwei Sahrauis und der im von Marokko besetzten Teil der Westsahara ansässigen Sahrauischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (Asadeh), die sich um mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen in den Camps unter Führung der Polisario kümmert, aber bei Vergehen der marokkanischen Besatzer wegschaut. „Die Anklage wurde in Marokko fabriziert“, erklärte Ghalis Anwalt, der spanische Spezialist für Menschenrechte und internationales Strafrecht, Manuel Ollé.

„Ghali folterte mit seinen eigenen Händen“, sagte dagegen der Hauptkläger, der heute 66-jährige Dahi Aguai, gegenüber der konservativen spanischen Tageszeitung La Razón. Er gibt an, 1975 selbst Opfer Ghalis geworden sein, noch bevor Spanien aus der Westsahara abzog und Marokko einmarschierte. Anschließend sei er gefesselt in der Wüste ausgesetzt worden.

Aguai, der die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, berichtet außerdem von einem angeblichen Plan der Polisario, all jene Sahrauis auszurotten, „die unter spanischer Flagge geboren wurden, um ihre Identität an Algerier weiterzugeben, damit im Fall der Unabhängigkeit Algerier in der unabhängigen Sahara regieren“.

Kein Passentzug

Die Polisario-Führung sei „eine kriminelle Bande“, argumentiert Aguai, deren Mitglieder nicht aus der Westsahara stammten. Sie hätten Sahrauis in den Kampf gegen Marokko geschickt und sie dort von hinten erschießen lassen. „Anschließend heirateten sie ihre Frauen.“

Ghali, der in der spanischen Kolonie geboren wurde und in jungen Jahren bei den Nomaden-Truppen, die der spanischen Regierung unterstanden, diente, sei 23-mal verheiratet – etwas, was so nicht belegt ist. Ghali beteuerte am Dienstag seine Unschuld und sprach von einem „politischen Manöver“.

Richter Pedraz lehnte den Antrag der Kläger auf Untersuchungshaft oder zumindest Passentzug ab. Die Kläger hätten „keine Beweise geliefert, die zumindest das Vorhandensein von Gründen belegen, um ihn für ein Verbrechen verantwortlich zu machen“.

Diese Entscheidung dürften für neue diplomatische Spannungen zwischen Rabat und Madrid sorgen. Ghalis Behandlung in Logroño hat bereits eine schwere Krise ausgelöst. Marokkanische Grenzbeamte schauten tatenlos zu, wie Tausende Personen die Grenze in der spanischen Exklave Ceuta umschwammen. „Spanien lässt sich vom Willen leiten, Probleme zu schaffen, und die Anstrengungen Marokkos, seine territoriale Integrität zu festigen, zu vereiteln“, erklärte der marokkanische Regierungssprecher Saaid Amzazi im Vorfeld der Vernehmung.

Für die Vereinten Nationen gehört die Westsahara nicht zu Marokko. Allerdings erkannte der ehemalige US-Präsident Donald Trump den Anspruch Rabats auf die ehemalige spanische Kolonie an. Sein Nachfolger Joe Biden hat diesen völkerrechtswidrigen Standpunkt nicht revidiert. Marokko versprach im Gegenzug, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!