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Westbalkan und DeutschlandDie Rückkehr der echten Helgas

Für Serbien ist Deutschland Feindesland. In den anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien ist der Ruf der Deutschen besser – noch.

Die falsche „Helga“: AfD-Vorsitzdende Alice Weidel Foto: Michael Kappeler/dpa

Das gibt’s doch gar nicht“, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel sehe aus wie „Helga“, ruft die fast 60-jährige Lejla aus Sarajevo. Sie hatte gerade in einer Zeitung einen Bericht über die Neuwahlen in Deutschland und die AfD gelesen.

Die Lehrerin kann sich noch gut erinnern, wie sie während ihrer Schulzeit selbst als Blondine gehänselt wurde. „Helga“ war im ehemaligen Jugoslawien nämlich das Sinnbild für die eiskalte, deutsche Nazifrau und KZ-Wächterin. „Wenn man Frauen beleidigen wollte, sagte man einfach Helga zu ihr“, lacht sie beim Wein in der linken Traditionskneipe, wo immer noch ein Porträt des ehemaligen Staatschefs Tito über dem Tresen hängt.

Die Blutspur während der Besetzung Jugo­slawiens durch deutsche Truppen 1941 bis 1945 hat jahrzehntelang das Deutschlandbild im ehemaligen Jugoslawien geprägt. Die Deutschen waren noch lange Zeit für viele „die Faschisten“ schlechthin. Punkt. Aufgeweicht allerdings wurde diese Position nach dem Besuch von Willy Brandt 1973 und die Freundschaft mit Tito, waren doch beide antifaschistische Kämpfer während des Spanischen Bürgerkriegs 1936. Die Grenzen wurden für Gastarbeiter geöffnet und das hatte positive Rückwirkungen auf die Gesellschaft von Slowenien bis Kosovo.

Modell Deutschland

Auch unter Helmut Schmidt wandelte sich das Deutschlandbild weiter. Das „Modell Deutschland“ wurde Vorbild in Jugoslawien, die soziale Marktwirtschaft war dem Sozialismus in den Ostblockstaaten überlegen, die Verbindung soziale Sicherheit und Fortschritt galt als attraktiv.

Doch scheiterte der jugoslawische Vielvölkerstaat nach Titos Tod 1980 an seiner Reform­unfähigkeit und dem Aufkommen des Nationalismus. Die Staatspartei, der Bund der Kommunisten, brach 1990 auseinander.

Serbien sah sich als Hegemonialmacht bedroht. Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wollten die serbische Dominanz abschütteln. Indem Deutschland die reformorientierten Republiken unterstützte, stellte es sich gegen Serbien. Im Januar 1992 erkannten alle in der EG außer Griechenland die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens an. Vor allem die Kroaten dankten Deutschland für diese Unterstützung, Serbien jedoch sah in Deutschland nun eine feindliche Macht.

Das blieb bis heute so – trotz der Kriege von 1991 bis 2001. Für junge Künstler und Intellektuelle, vor allem aber für Arbeitskräfte vom Busfahrer bis zum Arzt wurden Deutschland und die EU noch attraktiver. Religiöse Katholiken, Orthodoxe, Muslime und Rechtsradikale störten sich indes mehr und mehr daran, dass in Deutschland sexuelle Minderheiten gleichgestellt wurden. Aber Deutschland blieb für die meisten attraktiv.

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Doch es zeichnet sich eine Trendwende ab. Arbeitskräfte kommen zurück. Die Mieten seien für Familien viel zu hoch und die Atmosphäre Ausländern gegenüber wandele sich, klagen sie. „Die echten Helgas sind wieder da“, sagt Lejla nachdenklich und nippt am Wein.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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13 Kommentare

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  • Und was das "...Aussehen wie Helga.." angeht: es hat halt auch Nachteile, wenn man sich so konsequent an die "1000-jährige" Bildsprache für echt-stammbaumtreue autochthon-Germanen angleicht...



    Mich wundert, dass noch kein Kerl die parteiinternen Karrierevorteile der grell durchblondierten Haartracht erkannt hat. Denn der fehlt ja eigentlich im Führungskader der Allianz fürs Damals. An einem Mangel an dazu tauglichen Chemikalien kanns ja eigentlich heute nicht mehr liegen...

  • Srebrenica. Ganz vergessen?

  • Die Frau Weidel entspricht in Erscheinungsbild und Auftreten aber auch sowas von perfekt den gruseligsten Deutschenbildern... Kann man die nicht nach nach Hollywood schicken, als Traumbesetzung in einem Nazi-Kriegsfilm? Die Amis scheinen derzeit ja wieder sehr auf so was zu stehen. Hoffentlicht reist sie dann bald mit ElMu auf die dunkle Seite des Mondes, so dass wir die alle los sind. Dort mag sie dann der Jade-Hase jagen...



    Traurig, das alles aber "Bratstvo i jedinstvo" nach Sarajevo!

  • Glatt vergessen? Deutschlands Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien bzw Jugoslawien in der ersten Amtszeit von Gerhard Schröder.

    • @Egon Schmitz:

      Gesetzesbrüche sind legitim wenn sie dazu dienen größere Verbrechen zu verhindern, genauso wie sie bei ihrem Nachbarn einbrechen dürfen um einen Mord zu verhindern darf man in einem Land einmarschieren um einen Völkermord zu verhindern. Letztlich war das kein Angriffskrieg der NATO sondern eine Intervention auf Seite der angegriffenen Bosnier und Kosovaren.

    • @Egon Schmitz:

      Wer das Völkerrecht so hoch hält, müsste es ja auch auf die Aktionen Serbiens VOR dem Angriff (der USA) ohne UNO-Mandat anwenden...



      Aber da wird es bei den Erinnerungen an den "...völkerrechtswidrigen Angriffskrieg..." regelmässig neblig...

    • @Egon Schmitz:

      Bei solchen schwerwiegenden Vorwürfen sollten Sie mindestens mal den Kontext mit einbeziehen, soviel sollte man von Ihnen bei diesem Thema erwarten dürfen - aber ich mach das mal für Sie:



      Richtig, es war damals ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Nachdem Völkermord durch serbische Truppen in Srebrenica (unter den Augen der UNO und der Weltöffentlichkeit) bahnte sich im Kosovo ein zweites Srebrenica an. Angesichts des Totalversagens der UNO hat die NATO entschieden gegen die ethnischen Säuberungen durch Serbien vorzugehen. Vergessen sie das Wort Angriffskrieg, es war die einzige Möglichkeit, nach den Erfahrungen des Bosnienkrieges und Srebrenica den ethnischen Säuberungen durch Serbien (unter maßgeblicher Beihilfe von Russland und China) etwas entgegenzusetzen. Das hier gerade Russland und China mit ihren zahlreichen Verstößen gegen das Völkerrecht immer wieder der NATO-Rechtsbruch vorwerfen ist an Zynismus nicht zu überbieten.

      • @Demokratischer Segler:

        Das seinerzeitige Ultimatum der NATO an Jugoslawien beinhaltete mit dem Annex B die Forderung nach freier Bewegung von NATO-Militär in ganz Jugoslawien, mithin die faktische Aufgabe der jugoslawischen Souveränität. Christopher Clark schrieb in den "Schlafwandlern", das NATO-Ultimatum von 1999 sei deutlich härter und weniger annehmbar gewesen als das österreichische Ultimatum an Serbien 1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Zudem war damit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen worden. In der taz stand seinerzeit dies: taz.de/!1293445/

      • @Demokratischer Segler:

        Ergänzen sollten Sie aber bitte schon noch kurz, der Einsatzt im Kosovo, der Bundeswehr fehlte die rechtliche Grundlage : Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr muss vom Völkerrecht gedeckt sein, er muss der Selbstverteidigung dienen oder ein UN-Mandat haben.

        • @Alex_der_Wunderer:

          Ihren Einwurf sollten Sie nochmal gegen das abgleichen, was ich geschrieben habe.



          Ansonsten dürfen Sie gerne darüber philosophieren, ob Sie die Nachbarswohnung überhaupt betreten sollen / dürfen, wenn dort gerade z.B. Schutzbefohlene einer Familie massiv misshandelt werden. Möglicherweise sind Sie dann aber mindestens wegen unterlassener Hilfeleistung dran.

      • @Demokratischer Segler:

        Ja so kann man das erzählen.

        Bestreitet oder "vergisst" man - in Jugoslawien wurde Völkerrecht nicht Geltung verschafft, es wurde getan was im Recht, im Gesetz, im Justizwesen - dem Instrument der institutionalisierten Gerechtigkeit das nachhaltig Destruktivste ist: Völkerrecht wurde einseitig, im geostrategischen Interesse funktionalisiert. Also selektiv angewendet.



        Das auch nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Zumal der des 500jährigen Reichs Europa und seiner überseeischen Ausgründung.

        Auch wenn der Diskurs das fortgesetzt demagogisch behauptet: Das festzustellen ist kein Parteinahme für die Verbrechen der Nationalisten Serbiens.



        Das Versagen Europas / der EU bestand in ihrem Unwillen, ihrer Unfähigkeit deutlich zu machen, das Nationalismus in keinem Fall und auf keiner Seite Teil der europäischen Einigung sein kann. Ein "Fehler" der in "Osterweiterung" und nun eskaliert mit der Ukraine fortgesetzt wird.

        Unterm Strich wurde nichts besser, nichts gerechter, wurde nicht weniger von allen Seiten geschlachtet und (Kriegs)Verbrechen begangen.

        Man kann sich nur auf die Position stellen, die Opfer einer Seite seien einem egal, oder hätten es verdient.

      • @Demokratischer Segler:

        Ich möchte Ihre Ausführungen korrigieren: ein Eingriff in die territoriale Souveränität Serbiens war es, aber ob es auch ein Verstoß des Völkerrechts war ist oder gerechtfertigt war, ist ja gerade Kern der Frage, und ein Schluss, der sich nicht vorwegnehmen lässt: eben aufgrund des erwähnten Kontextes der Angriffe serbischer Truppen gegen Zivilisten. Man kann sich nicht aufs Hausrecht berufen, um die eigene Familie ungestraft misshandeln zu dürfen.