■ Welche Bedeutung hat der Annex B des Rambouillet-Vertrages?
: Die Glaubwürdigkeitslücke

Der Anhang des gescheiterten Rambouillet-Vertrages sieht vor, daß die Nato in ganz Jugoslawien Manöver abhalten darf. De facto bedeutet dies eine Art Besatzungsstatut für Jugoslawien – mehr noch: sein Ende als souveräner Staat. Nur ein „Platzhalter“, so das Auswärtige Amt, sei dieser Annex gewesen; ein Entwurf, über den man noch hätte verhandeln können. Kann man das glauben? Kaum. Denn die Kosovo-Albaner haben den Vertrag von Rambouillet ja unterschrieben – inklusive jenes Passus, der von Jugoslawien faktisch die Kapitulation verlangt. Weil Milošević den Vertrag nicht unterschrieb, begannen die Bombardierungen.

Der Rambouillet-Vertrag ist seitdem passé. Trotzdem: Dieser Anhang bleibt ein Skandal. Wenn die Bundesregierung diesen Passus nicht kannte, darf man alle Hoffnung fahrenlassen. Was soll man von einer Regierung halten, die den gescheiterten Vertrag nicht gelesen hat – und damit den Grund nicht en detail kennt, warum sie in den Krieg zieht. Wenn die Bundesregierung diesen Annex freilich gekannt und akzeptiert hat, war dies ein haarsträubender politischer Fehler. Ohne Not hat der Westen eine Glaubwürdigkeitslücke produziert. Ein besseres Argument dafür, daß Milošević diesen Vertrag gar nicht unterschreiben konnte, gibt es nicht.

Freilich gilt es darauf zu achten, keine flotten, eindeutigen Legenden zu produzieren. Daß die Nato politisch nicht bei Trost ist, adelt Milošević' Haltung keineswegs. Milošević wollte keinen von fremden Truppen überwachten Rückzug seiner Soldasteska aus dem Kosovo. Er hätte Rambouillet auch ohne den Annex B scheitern lassen.

Welcher Logik folgt nun dieser Annex? Die Nato will Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien haben. Militärisch ist das offenbar sinnvoll. Wenn internationale Truppen den Frieden im Kososo überwachen sollen, ist diese Forderung logistisch naheliegend. Politisch ist diese Idee freilich kompletter Irrsinn: Sie ruiniert die Legitimation der Nato, befördert die serbische Propaganda und schürt geradezu das serbische Gefühl, Opfer des Westens zu sein.

So zeigt dieser Fauxpas, wie weit die westliche Politik die Verantwortung bereits an das Militär abgetreten hat. Und er verstärkt das mulmige Gefühl, daß die westlichen Regierungen Spielball jener militärischen Logik werden, die sie selbst in Gang gesetzt haben. Stefan Reinecke