Werkschau für A K Dolven: Sie spannt den Muskel an und schießt
Zupackend und zart sind die Werke der norwegischen Künstlerin A K Dolven. Das Nationalmuseum in Oslo richtet ihr eine tolle Werkschau aus.

Seit Jahrzehnten sprengen die Arbeiten von A K Dolven die Räume von Kunstinstitutionen bei Ausstellungen. Ihre Film- und Videowerke, ihre abstrakte Malerei, die expressiven Hand- oder Fußabdrücke, ihre Zeichnungen oder Soundworks sind fordernd oder zart, zupackend oder meditativ, innerlich oder nach außen gewandt. Oft sind sie all dies zusammen. Sie nutzen Marmor und Stahl, Licht und Schatten, Klang und Schnee.
Die Werke der Künstlerin sind Teil der norwegischen Natur, in der sie entstanden sind, oder sie drängen in die Stadträume weltweit. A K Dolven, Jahrgang 1953, kommt aus Oslo, war viele Jahre in der aufbrechenden Kunstszene Berlins der Wendezeit verankert, danach im kulturell produktiven Vor-Brexit-London, heute arbeitet sie wieder in Oslo und auf den Lofoten.
Die Besucher:innen ihrer großartigen Überblickschau „amazon“ im Nationalmuseum in der norwegischen Hauptstadt sollten von der Festung Akershus her darauf zugehen. Denn so lässt sich am eigenen Leib erfahren, wie die Künstlerin mit ihrer Kunst selbstbewusst leicht und ohne aktivistischen Gestus in die politischen und philosophischen Diskurse unserer Zeit eingreift.
In „Untuned Bell“ (2010–2020) geschieht dies im Dialog mit der Überwältigungsarchitektur, die den kleinen Osloer Jachthafen dominiert: der Festung, dem gigantischen Rathaus und dem gastgebenden Nationalmuseum selbst. Das befindet sich in einem breitbeinigen Bau, vor wenigen Jahren nach Plänen der deutschen Architekten Klaus Schuwerk und Jan Kleihues fertiggestellt, dessen fast fensterlose Schieferfassade recht abweisend wirkt.
„A K Dolven. amazon“. Nationalmuseum, Oslo, bis 31. August.
Katalog: 449 NOK, ca. 38 Euro
Jeder darf die Glocke läuten
Vor diesem Dreieck städtebaulicher Selbstdarstellung demonstriert A K Dolvens große, elegante Soundskulptur, dass ein künstlerisches Statement im öffentlichen Raum dem Publikum zugewandt sein kann. Zwischen zwei Stahlpfeilern an einem Stahlseil hängt in 20 Metern Höhe eine große, schwere Glocke, die zum Klingen gebracht wird durch das entschiedene Niederpressen eines „Cry Baby“-Fußpedals, eines Readymades aus der Rockgeschichte.
Die Assoziation der englischen Redewendung „putting your foot down“ (etwa: „den eigenen Standpunkt behaupten“) ist durchaus erwünscht. Denn jede:r Passant:in ist eingeladen, das Pedal zu bedienen und durch diesen performativen Akt nicht nur spielerisch den normierten Alltagstrott zu unterbrechen, sondern mit dem Glockensound auch ein demokratisches Störgeräusch in die Stadtratssitzungen zu senden. Die Wirkungsweise dieser Arbeit ist charakteristisch für Dolvens Gesamtwerk. So wie die Entstehungsgeschichte von „Untuned Bell“ charakteristisch ist für ihren Arbeitsprozess.
Die Künstlerin entdeckte die aus musikalischen Gründen ausgemusterte Glocke als Altmetall und sah in ihrer Herabstufung eine metaphorische Relevanz, deren künstlerische Möglichkeiten sie in einem Notizbuch untersuchte.
Seit 1988 führt A K Dolven solche Notebooks, in denen sie forschend, zeichnend und schreibend ein Themenfeld, ein Erlebnis, ein Phänomen oder einen Gedanken umkreist, und so sind diese Bücher auch Denkräume und eigenständigen Kunstwerke. Es ist faszinierend, die Notizen in der Ausstellung zu betrachten und ihre Echos in den gezeigten Werken aufzuspüren.
Mal sind aus ihnen tonnenschwere Arbeiten hervorgegangen, mal fast abstrakte, flüchtige Videoarbeiten, deren Sinn das Erleben der Zeit ist, etwa „januar“ (1997), worin sich mal die eine, mal die andere weibliche Brust aus einer nebelfarbenen Flüssigkeit hebt und senkt. Oder „THE doors“ (1996); hier folgt der Blick gebannt einem Luftzug, der mit zwei Schwingtüren spielt.
Atemberaubendes Erlebnis
In diesen Werkkorpus gehört auch Dolvens Auseinandersetzung mit ikonischen Frauenfiguren wie etwa „amazon“ (2005). In diesem Film schnellt das Auge der Betrachterin 90 Sekunden lang im rasanten Wechsel von Close-up und Halbtotaler zwischen Finger, Hand, Schulter und Arm der Bogenschützin hin und her und schießt schließlich mit dem Pfeil von der gespannten Sehne weg. Es ist ein atemberaubendes Erlebnis von Kraft, Mut, Geschwindigkeit und Rhythmus, dem ein stumm bleibendes Stück von Dmitri Schostakowitsch zugrunde liegt.
Ansonsten ist der Parcours durch diese Ausstellung mit den Klängen von Dolvens Soundarbeiten unterlegt, und er betont die Erfindungsgabe ihrer inspirierenden Kunst. In ihr begegnet man einer reichhaltigen Welt, die sich lange denkend und zuhörend betrachten lässt.
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