Wenn Staaten das Wetter manipulieren: Regen per Knopfdruck
Wie man Regen macht, wird seit über 80 Jahren erprobt. Aber sollten wir Menschen das Wetter überhaupt manipulieren – und wer entscheidet darüber?
O b der zartweiße Schleier einer Zirruswolke, die bauschigen Wattebällchen der Kumulus oder die schwarzblaue Finsternis der Nimbostratus: Wolken sind potentieller Regen, mal mehr, mal weniger, manchmal auch ganz extrem. Nach den Dürren 2018, 2019 und 2020 erlebte Deutschland 2022 wieder einen extremen Niederschlagsmangel. Dass der Sommer nicht der trockenste aller Zeiten wurde, lag nur an den Sturzfluten, die teilweise mit mehr als 100 Liter Regen am Tag in der letzten Augustwoche niedergingen. Zum Vergleich: Im Katastrophensommer 2021 prasselten 150 Liter im Ahrtal nieder.
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Manchmal ist es also viel zu viel Regen, oft aber zu wenig, und durch den Klimawandel verstärkt sich dieser Effekt. Ließe sich das nicht besser dosieren? Denn Sturzregen sorgt nicht für die nötige Durchnässung des Bodens. Man kann das mit Kuchenbacken vergleichen: Wer Milch auf trockenes Mehl schüttet, stellt fest: beides vermengt sich kaum. Ein feuchter Teig hingegen nimmt Flüssigkeit sehr leicht auf. Ausgedörrte Tiefenschichten des Bodens können Wasser genauso schlecht aufsaugen, es bleibt in den höheren Bodenschichten oder perlt gleich an der Oberfläche ab.
Trotz Winter mit Schnee und Regen herrscht deshalb noch immer in weiten Teilen Deutschlands „außergewöhnliche Dürre“ im Unterboden. Das ist die höchste Dürrestufe, noch hinter „extremer Dürre“. „Außergewöhnlich“ trocken sind die Lausitz, das Weserbergland und der Magdeburger Börde. Auch weitere Teile Brandenburgs sind betroffen, sowie der Teutoburger Wald, der Kaiserstuhl in Baden und Teile von Mecklenburg-Vorpommern.
Regelmäßiger Regen würde dagegen helfen. Wie wäre es also, der Atmosphäre zum geeigneten Zeitpunkt Wasser abzuzapfen?
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Lässt sich aus Wolken Regen generieren?
Auf Gran Canaria wüten seit Jahren Dürren. Die Kanareninsel kann jedes Tröpfchen gebrauchen, weshalb die Inselverwaltung große Wolkenfänger aufgebaut hat, Netze, durch die tiefhängende Nebelwolken streifen. Dabei setzen sich feine Wassertröpfen in dem Netz fest, werden größer und fallen nach unten, wo sie in einem Tank aufgefangen werden. Mit dem aufgefangenen Nass werden Aufforstungsprojekte im Norden der Insel bewässert oder es wird als Trinkwasser verwendet.
Auch im trockenen Chile kann durch die stark ansteigende Küste trinkbares Wasser aus Nebel gewonnen werden. Wo Passatwinde vom Pazifik her auf Land treffen, an den Bergen der Andenkette aufsteigen müssen und so mit dem Boden in Kontakt kommen, haben Einheimische Fangnetze aufgestellt. Die Gewinnung ist zwar relativ preiswert und leicht zu handhaben. Aber das Wasser reicht nur für einige hundert Menschen.
Auch auf den Kanaren ernten die Regenfänger nicht im großen Stil Wasser. Die Netze erzielen 130 Liter je Quadratmeter – im Jahr. Zum Vergleich: In der Mark Brandenburg, einer der trockensten Regionen Deutschlands, fallen jährlich ungefähr 400 Liter Regen pro Quadratmeter.
Könnte das Wasser auch aus den Wolken am Himmel geerntet werden?
In den 1940er Jahren kam der US-amerikanische Nobelpreisträger Irving Langmuir auf die Idee, Wolken mit Trockeneis zu „impfen“ und so Kristallisationskeime zu schaffen, um die Tröpfchenbildung anzuregen. Ein paar Jahre später erkannten Wissenschaftler, dass das mit Silberjodid effektiver funktioniert. Auch sogenannte hygroskopische Substanzen, die Wasser anziehen – Salzpartikel beispielsweise – zeigten guten Regenerfolg. Sie nahmen Wasserdampf auf, wuchsen dadurch, um schließlich schwer genug zu werden, um abzuregnen.
Doch all das funktionierte nur unter den kontrollierten Bedingungen im Labor gut. „Es gibt bis heute keine evidente Wissenschaft, die nachgewiesen hat, dass das Imprägnieren von Wolken tatsächlich zu Niederschlag führt“, sagt Tilo Arnhold, Sprecher des Leipziger Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung. In der Atmosphäre gehe es chaotisch und turbulent zu, „wir verstehen das System Wolken noch nicht bis in die Einzelheiten.“
Trotzdem gibt es auch in Deutschland Menschen, die vom Wolkenimpfen überzeugt sind. Bekannt sind die „Hagelflieger“, die vor allem von Obstbauern angeheuert werden, um ihre Ernte zu schützen. In Baden-Württemberg haben sich zum Beispiel Kommunen in sogenannten Hagelabwehrvereinen zusammengeschlossen. Im Gefahrenfall können sie gemeinsam ein Kleinflugzeug ordern, das in die Gewitterwolken fliegt, um dort Kondensationskeime zu versprühen. Ziel ist es, aus dem drohenden Hagel Regen zu machen – oder wenigstens dafür zu sorgen, dass die Hagelkörner nicht ganz so groß und damit nicht ganz so zerstörerisch werden.
Während die Hagelflieger auf Silberjodid und ihren Einsatz schwören, ist die Wissenschaft skeptisch. Michael Kunz, Professor für Meteorologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ist überzeugt, dass sich die Hagelflieger die Fakten schönreden. Die richtige Dosierung, der richtige Zeitpunkt für das Ausbringen, der exakte Ort, woher wissen die Hagelflieger das? Nicht einmal Meteorologen wüssten, wo sich Gewitter genau bilden und warum es aus der einen Wolke hagelt und aus der anderen nicht.
Kunz verglich in seiner wissenschaftlichen Arbeit den Hagel in Regionen mit und ohne Hagelabwehr, indem er sich die Gebäudeversicherungen ansah. Er sagt: „Wenn die Hagelabwehr wirksam wäre, müsste man einen Unterschied sehen.“ Einen solchen gab es aber nicht, in beiden Vergleichsregionen waren die Schäden an den Gebäuden gleich hoch.
Mira Pöhlker ist Professorin für experimentelle Aerosol- und Wolkenmikrophysik an der Universität Leipzig, sie sagt, dass „der Mensch die Wolken verändert“. Aber nicht bewusst. Beispielsweise habe die menschengemachte Luftverschmutzung dazu geführt, dass Wolken heute tendenziell später abregnen als früher. Bedeutet: Eine Wolke muss heute mehr Wassertröpfchen enthalten als früher, bevor sie abregnet. „Wie aber Wolken zielgerichtet zur heimischen Wasserversorgung eingesetzt werden können, das wissen wir noch nicht“, sagt die Professorin.
Das herauszufinden, ist Manchen viel wert. Das Programm für Regenforschung der Vereinigten Arabischen Emirate lobt beispielsweise jährlich ein Stipendium in Höhe von 5 Millionen US-Dollar aus, um die Technologie und Umsetzung der Regenverstärkung zu erforschen. „Vor allem in den Ländern, in denen es viel Geld, aber wenig Regen gibt, werden große Summen in die Erforschung des Regenmachens investiert“, sagt Arnhold.
Das Interesse an der Manipulation von Wolken ist weltweit schon lange vorhanden: In Indien wird die Technologie des Wolkenimpfens seit 1951 durch das Indian Institute of Tropical Meteorology erforscht. Russische Wissenschaftler impften vor 40 Jahren Wolken mit Zementpulvertröpfchen, um sie zu eliminieren – die Feierlichkeiten zum 300. Jubiläum der Stadtgründung Sankt Petersburgs sollten nicht durch Regen getrübt werden. Auch die chinesische Regierung sorgte 2008 mithilfe von Silberjodid-Raketen dafür, dass die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking nicht durch Regen gestört wurde.
In Australien regelt seit 1967 der „Rain making control act“, dass es ausschließlich dem zuständigen Minister obliegt, über das Regenmachen zu bestimmen. In den USA versuchten Wissenschaftler ab den 1960er Jahren Hurrikane, die auf die Südstaaten zurasten, durch „Impfen“ abzuschwächen. Ausgangshypothese von „Projekt Stormfury“ war, dass in den Sturm eingeblasenes Silberjodid Wassertröpfchen zum Einfrieren bringen wird und so die innere Struktur des Hurrikans zerstört.
Viele Länder wollen also lernen, die Wolken zu bezwingen. In einer heißeren Zukunft könnten das noch vielversprechender werden oder sogar zu Konflikten führen.
Aber wer entscheidet, ob eine Wolke geimpft werden darf?
Oder anders gefragt: Wem gehören die Wolken? „Wolken sind wie der Luftraum: Zuständig ist der Staat, der darunter liegt“, sagt Reimund Schwarze, Professor an der Viadrina in Frankfurt (Oder), der sich mit internationalem Recht befasst. Das bedeute aber nicht, dass der darunter liegende Staat die Wolken auch besitzt: „Das Flugzeug, das durch den Luftraum fliegt, besitzt der Staat ja auch nicht!“ Tatsache aber sei, dass der Luftraum durch den jeweiligen Staat, der darunter liege, stark reguliert sei. „Nichts im Luftraum geschieht ohne die Zustimmung der Luftaufsichtsbehörden“, sagt Schwarze.
Über die Wolken im eigenen Luftraum zu bestimmen ist das eine. Was aber, wenn die Manipulation von Nebelschwaden, Regenwolken oder gar Hurrikans sich andernorts negativ auswirkt? Die USA sahen sich nach ihren Hurrikanexperimenten in den 1970er Jahren mit einer Klage konfrontiert: El Salvador verklagte gemeinsam mit Honduras die Vereinigten Staaten, weil es in den Jahren der Versuche eine bittere Dürre in Mittelamerika gab. Die Kläger argumentierten: Erst die Wettermanipulation an der Südküste habe den Wassermangel am anderen Ende des Karibischen Meeres ausgelöst. „Zwar unterlagen die Kläger, weil sie nicht nachweisen konnten, dass es zwischen den Wolkenimpfungen und der Dürre einen Zusammenhang gab“, sagt Schwarze, „Aber seit dem Prozess ist klar, dass die Folgen von Wettermanipulation auch juristisch riskant sind.“ Mitte 1983 wurde das Hurrikanprojekt Stormfury endgültig abgesetzt.
Trotz der juristischen Unsicherheiten gibt es über das Abregnenlassen von Wolken keine internationalen Regeln. Auf ein internationales Abkommen, das Regelungen zum Wettermachen enthält, konnte man sich aber einigen: das ENMOD-Abkommen, auch Umweltkriegsübereinkommen genannt. Es verbietet den Vertragsparteien, militärisch in natürliche Abläufe der Umwelt einzugreifen, also auch in den natürlichen Kreislauf der Wolken. Wetterveränderungen als Kriegswaffe – dieses Verbot wurde als Reaktion auf den Vietnamkrieg 1974 von der Sowjetunion auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen gesetzt. Die Konvention ist bislang von 78 Staaten in nationales Recht umgesetzt worden, etwa von China, den USA, Indien, Russland, Großbritannien, nicht aber von Frankreich oder Israel. Deutschland ist seit 1983 Vertragsstaat.
Da wäre noch ein anderes heikles Thema: Geoengineering
So wird der vorsätzliche und großräumige Eingriff des Menschen in die Klimakreisläufe der Erde bezeichnet. Unter den Forschenden wird die Manipulation der Wolken kritisch gesehen. Tilo Arnhold vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung weist deshalb darauf hin, dass sich „die Wolkenforscher-Community schon 2014 auf einem internationalen Kongress in Leipzig gegen die Umsetzung von Climate-Engineering-Maßnahmen ausgesprochen hat, weil das Wissen über diese Prozesse viel zu gering ist und deshalb die Risiken zu groß erscheinen.“
Andererseits wird dem Geoengineering eine Heilswirkung im Kampf gegen die Klimaerhitzung nachgesagt. Beispielsweise plante der Havard-Professor Frank Keusch größere Mengen Kalziumkarbonat in 20 Kilometer Höhe auszubringen. Die Idee dahinter: Millionen Tonnen von Partikeln werden in die Stratos-phäre gepumpt, puffern dort die Sonneneinstrahlung ab und kühlen so die Erde.
Ursprünglich sollte der erste Ballon im Juni 2021 vom schwedischen Raumfahrtzentrum Esrange starten, wenige Kilometer von der norwegischen und der finnischen Grenze entfernt – auch das russische Staatsterritorium ist nicht weit. Der Start sollte zunächst nur erfolgen, um die Ballontechnik zu testen. Würde die funktionieren, sollten im Herbst darauf die reflektierenden Partikel in der Stratosphäre ausgebracht werden. Doch daraus wurde nichts, nach heftigen internationalen Protesten war die schwedische Raumfahrtgesellschaft aus dem Forschungsprojekt ausgestiegen.
Die Probleme liegen auf der Hand: Was passiert, wenn das Experiment tatsächlich erfolgreich ist und sich der Strahlungshaushalt über Finnland, Russland oder Norwegen so verändert, dass die Einheimischen ihre Lebensgrundlage verlieren, beispielsweise weil zu wenig Sonnenenergie das Getreide nicht mehr reifen lässt? Wer haftet dafür, wenn das Experiment außer Kontrolle gerät?
Sollten wir es also lieber lassen?
Auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention hatten die Delegierten der UN-Staaten 2010 beschlossen, Geoengineering so lange zu unterlassen, bis eine umfassende wissenschaftliche Basis vorliegt, die sicherstellt, dass derartige Aktivitäten keinen schädigenden Einfluss auf Umwelt und Biodiversität haben können. Kleinräumige Forschungsarbeiten bleiben aber ausdrücklich erlaubt. Das Pikante an dem Startverbot 2021 war, dass Professor Frank Keutsch gegenüber der Technologie im Laufe seiner Forschung skeptischer wurde. Er sorgte sich ebenfalls wegen der Eingriffe ins Weltklima und plante einen Versuch um nachzuweisen, dass derlei Geoengineering nichts bringt beim Versuch, die Klimaerhitzung einzudämmen.
Was für das Geoengineering gilt, ist auf das Wolken-Impfen übertragbar. „Alles, was wir an den Wolken tun, hat Auswirkungen über die Grenzen hinaus“, sagt Professor Schwarze und verweist auf die im internationalen Völkerrecht verankerten Haftungskriterien. Auch Wolken-Professorin Pöhlker warnt vor den Wechselwirkungen: „Wenn es in Polen durch Wolkenimpfungen mehr regnet, kann niemand ausschließen, dass es in Deutschland Überschwemmungen gibt.“ Sie mutmaßt, dass diese potentiellen Folgen die Verantwortlichen zumindest in Europa davor abschrecken, aktiv Niederschlag aus Wolken zu generieren.
Ein anderer Grund, der dafür spricht, die Wolken in Ruhe zu lassen, ist ihre kühlende Wirkung. Gerade die erdnahen Cumuliwolken, besser als Schäfchenwolken bekannt, helfen gegen die Klimaerhitzung. „Es geht bei den Wolken nicht nur um Regen, sondern auch um den Strahlungshaushalt“, sagt Mira Pöhlker. Wolken strahlen Sonnenenergie zurück ins Weltall und helfen so, den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen. Regen aus Wolken anzuzapfen wäre also kontraproduktiv, denn immer, wenn eine Wolke abregnen würde, käme mehr Sonnenenergie auf der Erde an.
„Wem die Wolken gehören, ist noch nicht geklärt, weil sich zu wenige Menschen dafür interessieren“, sagt Wolken-Professorin Mira Pöhlker. Noch – ihre Wirkung auf das Klima könnte das ändern.
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