Obstanbau in der Krise: Der Apfel bleibt gleich am Stamm

An der Elbe wird in diesem Herbst viel Obst verrotten. Es wird nicht geerntet, weil die Bauern dabei draufzahlen würden.

Ein Mann bei der Apfelernte

Handarbeit: Ein Mann erntet Äpfel und bekommt dafür neuerdings zwölf Euro Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Im Alten Land, dem Obstanbaugebiet an der Unterelbe, hängen die Spalierbäume derzeit übervoll mit Äpfeln. Und nicht nur an den Bäumchen, sondern auch auf der Erde zwischen den Reihen liegen haufenweise bunte Früchte, zur Freude der Maden, Würmer und Pilze – aber auch des einen oder anderen Spaziergängers, der vielleicht mal einen aufklaubt.

Dass das nicht normal ist, bestätigt Arnd Schliecker, Eigentümer des gleichnamigen Obsthofes im niedersächsischen Jork. „Die Leute kaufen zur Zeit nicht“, sagt Schliecker. Zumindest kaufen sich nicht die Äpfel der hiesigen Obstbauern, denen Preise geboten werden, die weit unter den Produktionskosten liegen. „Deswegen werden die Äpfel am Baum bleiben“, sagt der Obstbauer. Dabei schmecken die Äpfel wegen des guten Wetters in diesem Jahr sogar besonders süß.

Arnd und Petra Schliecker bewirtschaften mit ihren drei Söhnen 50 Hektar Obstgärten. Das ist etwa dreimal soviel Fläche wie die der Hamburger Binnenalster. Ihre beiden Höfe lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurück verfolgen. Doch bei aller Tradition: Eine solche Lage wie heute ließe sich auf Dauer nicht durchhalten.

Der lediglich namensverwandte Claus Schliecker vom Landvolk, dem niedersächsischen Bauernverband, rechnet vor, warum das so ist: Pestizide, Strom, Gas sind im Zuge der Ukraine-Krise teurer geworden. Dazu kommt der Mindestlohn für die Erntehelfer der zuletzt von 10,45 Euro auf zwölf Euro gestiegen ist.

Der Handel zahlt nur 40 Cent

Die Herstellungskosten für ein Kilogramm Tafelapfel liegen im Alten Land bei 60 Cent. „Die kriegen wir im Moment nicht“, sagt Claus Schliecker. Der Handel zahle nur etwas mehr als 40 Cent. Und beim um ein Vielfaches billigeren Most-Obst sehe es noch schlimmer aus. „Bei jedem Kilogramm, das ich aufsammle, würde ich Geld verbrennen“, sagt der Mann vom Landvolk. Vor dem Hintergrund der Welternährungssituation sei das ein Frevel.

Allein 60 Prozent der Kosten verursache der Energieverbrauch, sagt Schliecker. So unterhalten die Bauern etwa große Lagerhallen, in denen die Äpfel auf drei Grad gekühlt werden, damit sie sich über den Winter halten. 25 Prozent der Kosten verursache das Personal. Knapp die Hälfte davon entfällt wiederum auf den Mindestlohn der Saisonarbeiter.

„Das ist alles Handarbeit“, sagt Arnd Schliecker. Die Lohnsteigerung falle deshalb durchaus ins Gewicht – zumal der Mindestlohn für die Erntearbeiter bei der osteuropäischen Konkurrenz nur bei einem Drittel liegen. Dabei hat Polen schon 2015 mit 3,2 Millionen Tonnen ein Viertel aller Äpfel in der EU erzeugt. Deutschland erzeugt rund eine Million Tonnen, womit es sich theoretisch zu 65 Prozent selbst versorgen könnte, das Alte Land 320.000 Tonnen.

Auf die Preise drücke die gute Apfelernte in Europa – allein Deutschland hat fünf Prozent mehr produziert als im vergangenen Jahr – sowie das Überangebot auf dem Weltmarkt. Dazu trägt auch bei, dass die EU keine Äpfel mehr nach Russland exportiert. Eine Rolle spiele die „ungeheure Kaufzurückhaltung“, sagt Claus Schliecker. Die durch den Ukraine-Krieg verunsicherten Konsumenten griffen eher zu der billigeren ausländischen statt zur teureren regionalen Ware.

Claus Schliecker verteidigt die hiesigen Umwelt- und Sozialstandards. „Wir sind auf engagierte Erntearbeiter angewiesen“, sagt er. Doch die hohe Qualität der Erzeugung müsse auch wertgeschätzt werden. „Wir fordern, dass regionale Verbundenheit auch gelebt wird“, sagt Schliecker, der auch Vorsitzender der Fachgruppe Obstbau bei der Landwirtschaftskammer ist.

Keine Herkunftskennzeichnung

Dabei seien auch die politischen Vorteile einer Versorgung aus dem eigenen Land zu bedenken. „Wir wissen, was die Abhängigkeit auf dem Energiesektor für Probleme beinhaltet“, sagt Claus Schliecker. Branchenvertreter verhandelten deshalb mit dem Lebensmitteleinzelhandel und der Politik. Klar sei aber auch, dass die Obstbauern nicht die einzigen seien, die von der Krise gebeutelt würden. „Wir sind uns der Situation bewusst, dass ganz viele Branchen in Deutschland ähnlich gelagerte Probleme haben“, sagt Schliecker.

Etwas, das den Obstbauern im Alten Land helfen könnte, wäre eine Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Produkte vorzuschreiben, findet Claus Schliecker. Konkret denkt er dabei an Apfelsaftkonzentrat, das im Ausland viel billiger hergestellt werden kann. Beim unverarbeiteten Obst sind solche Hinweise längst gängig.

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