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Weniger Hilfe für LangzeitarbeitsloseLindners herzlose Sparpläne

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Obwohl die Zahl der Langzeitarbeitslosen eher steigt, will der Finanzminister 600 Millionen Euro für deren Wiedereingliederung einsparen. Wie kann das sein?

Hat für jene, die weniger zu feiern haben, nicht viel übrig: Finanzminister Christian Lindner Foto: Poshine/GC Images/getty images

C hristian Lindner hat mit viel Chichi geheiratet – und die Republik stand Kopf. Nicht, weil der Finanzminister auf der Reicheninsel Sylt die Liebe und das Leben gefeiert hat, sondern weil er jenen, die wenig bis nichts zum Feiern haben, künftig noch weniger gönnen will. Zumindest sehen Lindners Sparpläne vor, 600 Millionen Euro weniger in ein Programm für Langzeitarbeitslose zu stecken.

Langzeitarbeitslose haben auf dem normalen Arbeitsmarkt in Krisenzeiten keine Chance

Das sei „fatal für die Menschen und für das Erwerbspotenzial, auf das wir bei einem weiter steigenden Fachkräftemangel doch so dringend angewiesen sind“, kommentierte Alexander Schweitzer, Arbeitsminister von Rheinland-Pfalz, die geplanten Abstriche. „Den Rotstift gerade bei der Förderung von Arbeit und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten anzusetzen, ist unanständig“, empörte sich Diakonievorständin Maria Loheide.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel nannte Lindners Plan „arbeitsmarktpolitische Irrlichterei“, und die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, findet sie gar „skrupellos“. Zeigt FDP-Mann Lindner mit seinem Vorstoß, wie unsozial, kaltblütig, marktliberal er denkt? Wirft die Ampel ihren sozialpolitischen Anspruch über den Haufen? Ganz so einfach ist es nicht. Im Gegenteil, es ist hochkomplex, höchst kompliziert.

Der Etat, der für die Kürzungen vorgesehen ist, umfasst aktuell 4,8 Milliarden Euro. Er ist Teil eines Förderinstruments mit dem sperrigen Titel „Teilhabechancengesetz“, das die Bundesregierung 2019 geschaffen hat, um Menschen in besonderen Lebenslagen auf besondere Weise zu helfen: Ältere, Kranke, Ex-Drogenabhängige, Menschen ohne oder mit schlechtem Schulabschluss, mit gebrochenen Erwerbsbiografien.

Lohnzuschüsse bis zu 100 Prozent

Um ihnen den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu ermöglichen, erhalten soziale Einrichtungen, Kommunen und freie Wirtschaftsunternehmen Zuschüsse aus diesem Etat, wenn sie Betroffene einstellen – je nach Dauer der Arbeitslosigkeit und der neuen Beschäftigung zwischen 50 und 100 Prozent des Lohns für die Betroffenen.

Dafür sollen künftig nur noch 4,2 Milliarden Euro da sein. Ist das zu wenig, um den vielen Menschen einen Weg zurück ins Arbeitsleben zu ebnen? Lindners Finanzministerium verweist darauf, dass der Bedarf für den sozialen Arbeitsmarkt, wie die Wiedereingliederungshilfe auch genannt wird, aktuell nicht so groß sei, weil es inzwischen weniger Langzeitarbeitslose gebe als noch vor ein paar Jahren.

„Bei dem Haushaltsansatz für das Jahr 2023 wurde berücksichtigt, dass in der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Anzahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den letzten Jahren zurückgegangen ist“, heißt es dazu in einer Antwort auf eine taz-Anfrage.

Das stimmt nicht ganz. In der Tat ist die Zahl der Arbeitslosen von 2020, dem ersten Pandemiejahr mit vielfacher Kurzarbeit und zahlreichen Entlassungen, bis 2021 zurückgegangen: von 2,7 Millionen auf gut 2,6 Millionen Betroffene. Es gab Coronatests und Impfungen, so konnten Restaurants, Geschäfte und Cafés wieder öffnen, Menschen wieder verreisen. Kurz: Unternehmen stellten wieder ein.

Davon profitierten allerdings nicht die Langzeitarbeitslosen. Also jene Menschen, die mehr als ein Jahr und länger ohne Job waren. Deren Zahl erhöhte sich laut Arbeitslosenstatistik von knapp 820.000 im Jahr 2020 auf über 1 Million im Folgejahr. Zum Vergleich: 2019, also vor der Pandemie, waren 730.000 Menschen länger ohne Job.

„Die schlechte Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und die sehr eingeschränkt mögliche Durchführung von Fördermaßnahmen für arbeitslose Menschen haben maßgeblich zum Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit beigetragen“, erklärt die Arbeitsagentur zur aktuellen Lage. Oder einfach ausgedrückt: Langzeitarbeitslose haben auf dem normalen Arbeitsmarkt in Krisenzeiten keine Chance.

Gelder angeblich nicht ausgeschöpft

Hier kommt Arbeitsminister Hubertus Heil ins Spiel. Der SPD-Mann lobt den sozialen Arbeitsmarkt – entgegen der Einschätzung der Arbeitsagentur – als „hocherfolgreiches Instrument“. Bislang hätten knapp 50.000 Langzeitarbeitslose darüber einen Job gefunden. In der Regel sind das Hilfsarbeiten: Parks reinigen, Müll wegräumen, Beete gießen, Se­nio­r:in­nen zum Arzt fahren.

Die Zahl derer, die nicht „eingegliedert“ werden, bleibt aber nach wie vor hoch. Reichen die von Lindner eingeplanten 4,2 Milliarden Euro, um sie angemessen zu unterstützen? Heil lässt kryptisch mitteilen, dass sich „die für den Bundeshaushalt 2023 im Entwurf vorgesehenen Mittel für Eingliederungsleistungen auf dem Niveau dessen bewegen, was im Jahr 2019 für Eingliederung ausgegeben worden ist“. Zur Erinnerung: Damals waren 730.000 Menschen länger ohne Job, aktuell sind es gut 950.000.

Was, wenn das Geld nicht reicht? Die rätselhafte Antwort aus dem Arbeitsministerium: „Hubertus Heil wird sich weiterhin für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine entsprechende dauerhafte Mittelausstattung des sozialen Arbeitsmarkts starkmachen.“ Wieso lässt er dann zu, dass Lindner den Langzeitarbeitslosenetat kürzt? In Zeiten, in denen sogar die Mittelschicht soziale Ängste entwickelt?

Eine Erklärung führt wieder zurück zum Etat. Der ist angeblich gar nicht komplett ausgeschöpft worden. Ar­beit­ge­be­r:in­nen hätten also weniger Geld daraus beantragt, als machbar gewesen wäre. Was infolge der Pandemie sogar nachvollziehbar wäre. Ob sich daraus allerdings ableiten lässt, das Geld werde nicht mehr gebraucht, ist Auslegungssache.

Arbeitsminister Heil hatte für diese Summen jedenfalls einen innovativen Verwendungszweck: „… für eine intensivere Betreuung durch eigenes Personal.“ Was heißt das alles für die kommenden Jahre? Die „für 2023 veranschlagte Höhe“ wird „für die Jahre bis 2026 fortgeführt“ – Änderungen vorbehalten.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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15 Kommentare

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  • Eine weitere Frage dürfte sein, ob Erwerbslose,



    solche Maßnahmen ohne Androhung von



    Sanktionen überhaupt noch machen möchten,



    denn es hat sich rumgesprochen, dass die meisten Maßnahmen nicht zu einer



    Dauerbeschäftigung führen oder die Menschen von dem Lohn dieser nicht wirklich leben können.



    Zumindest, sollten sich die Träger der Maßnahmen eindeutig gegen Sanktionen aussprechen, falls sie wieder eingeführt werden.

  • Eine weitere Frage dürfte sein, ob Erwerbslose,



    solche Maßnahmen ohne Androhung von

    SEine weitere Frage dürfte sein, ob Erwerbslose,

    solche Maßnahmen ohne Androhung von

    Sanktionen überhaupt noch machen möchten,



    denn es hat sich rumgesprochen, dass die meisten Maßnahmen nicht zu einer



    Dauerbeschäftigung führen oder die Menschen



    von dem Lohn dieser nicht wirklich leben können.anktionen überhaupt noch machen möchten, denn es hat sich rumgesprochen, dass die meisten Maßnahmen nicht zu einer



    Dauerbeschäftigung führen oder die Menschen



    von dem Lohn dieser nicht wirklich leben können.

  • Eine weitere Frage dürfte sein, ob Erwerbslose,



    solche Maßnahmen ohne Androhung von



    Sanktionen überhaupt noch machen möchten,



    denn es hat sich rumgesprochen, dass die meisten Maßnahmen nicht zu einer



    Dauerbeschäftigung führen oder die Menschen



    von dem Lohn dieser nicht wirklich leben können.

  • Hatte ich hier nicht einen Kommentar geschrieben?

    Wenn ihr keine Kommentare wollt oder diejenigen, die nicht in eure politische Agenda passen, ausschließt, teilt das Lesern und Foristen der Ehrlichkeit halber doch einfach mit.

    Ein bisschen Höflichkeit wäre doch mal eine Option.

    Statt nur den Power-Trip durchzuziehen. Ist immer ein bisschen billig.

  • Man investiert also 4,2 Milliarden Euro und erreicht damit dass 50.000 Langzeitarbeitslose einen Job finden. In der Regel als Hilfsarbeiter.

    Das sind ca. 85.000 € pro Langzeitarbeitsloser für eine "Wiedereingliederung".

    85.000 € hören sich für mich sehr hoch an - oder verstehe ich etwas nicht?

  • Ok. Wenn ich das richtig lese, gab es 2021 1 Million Langzeitarbeitslose. In welchem Zeitraum wann die 50.000 (5 Prozent, wenn ich richtig rechne?) von den ja doch nicht unüppig finanzierten Wiedereingliederungsmaßnahmen ("Parks reinigen, Müll wegräumen, Beete gießen, Se­nio­r:in­nen zum Arzt fahren") profitiert haben, hab ich nicht so richtig verstanden. Ich hoffe, ich werd jetzt nicht wegmoderiert. Ich arbeite seit 8 (acht!) Jahren mit Langzeitarbeitlosen. Es gibt immer wieder erstaunliche Ergebnisse - erstaunlich aber deswegen, weil die meisten, für die ich meine Zeit, meine Erfahrung, meine Zuwendung gebe, aus Gründen "langzeitarbeitslos" sind, die man mit noch so viel Coaching, sozialem Arbeitsmarkt etc. nicht wegkriegt. Keine Qualifikation, keine Erfahrung, kein Deutsch, psychische oder körperliche Probleme, und, ja!, auch der Unwille, für Mindestlohn irgendwas zu machen, bei dem nicht mehr als die staatliche Unterstützung rausspringt. Es ist meiner Erfahrung nach ein Irrglaube, man könne Menschen einfach so in Arbeit bekommen, indem man Milliarden an "Träger" oder staatliche Lohnprogramme raushaut. Diese Arbeitsplotik ist gerade deswegen unmenschlich, weil sie die Betroffenen eben nicht als Individuen sieht, sondern nur als mit Geld von oben zuzuschüttendes Massenteilchen. Wäre es nicht ehrlicher, zuzugeben, dass viele Millionen Menschen nicht arbeitsfähig, nicht vermittelbar, und - ja! - im derzeitigen Versorgungssystem auch nicht arbeitswillig im Sinne einer schlichten ökonomischen Abwägung sind? Und dann nochmal nachdenkt? Und ich hoffe, ich werde nicht wieder wegmoderiert. Morgen hab ich wieder Coaching mit einem großartigen Typen, der sich für einen Job weit unter seinem Niveau den Arsch aufreißt.

  • Das Problem ist also nicht die angebliche Herzlosigkeit des Finanzministers sondern der im der Vergangenheit nicht ausgeschöpft Etat. Haushalte werden halt auf Basis vergangener Ausgaben erstellt. Das Arbeitsministerium hätte die Position besser ausgeben sollen.

    Und wer sagt überhaupt, dass es mehr Stellen gegeben hätte bzw. geben wird?

  • Minister Heil muss wie alle anderen auch in seinem Ministerium die Prioritäten setzen. Das kann er nicht dem Finanzminister ankreiden. Wenn also diese Maßnahmen nix bringen, dann müssen eben andere her oder eben nix. Der Arbeitsmarkt ist derzeit ideal für Arbeitsuchende, die genannte Förderung erscheint daher wenig sinnvoll, oder wie viele sind in den neuen Jobs nach dem Förderzeitraum geblieben? Vermutlich nur die, die es auch ohne Fördermittel gewesen wären.

  • Oben sind die Leistungsträger, unten die Leistungsverweigerer.

    Liberal ist, was von unten nach oben umverteilt.

    Wozu also die Aufregung?

    Wir wissen doch, was von Lindner & Co zu erwarten ist.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Warum wir Unternehmen mit 100% des Gehaltes bezuschussen müssen verstehe ich nicht?

    Wir haben einen extremen Arbeitskräftemangel in einfachsten Berufen wie LKW-Fahrer, Gastronomie, Lagereien oder Einzelhandel. Wenn wir für Regal auffüllen jemanden mit 100% fördern müssen, dann stimmt was im System nicht.

  • Was passiert eigentlich mit dem Geld wenn es nicht vollumfänglich ausgeschöpft wurde? Wird es auf das nächste Jahr vorgetragen? Für andere Zwecke verwendet? Verschwindet es in den Mühlen der Bürokratie?



    Das würde mich mehr interessieren. Wie stark so ein Programm genutzt wird weiß man schließlich immer erst im Nachhinein.

  • Lindner hat gelernt, dass die Ärmeren in diesem Land keine Lobby haben.

    Hier kann der Chef der Arbeitsagentur, im letzten Jahr noch Scheele, nach 400.000 Migranten rufen, die das Land braucht um seinen sog. "Facharbeitermangel" zu decken.

    Jährlich.

    Hat der Mann noch nicht gemerkt, dass er eine Behörde verwaltet, die aktuell über 2,5 Millionen Arbeitslose in Lohn und Brot bringen sollen?

    Hält er diese Menschen für wertlos? Oder hört er noch auf die Kapitalisten-Lobby á Tönnies und Amazon, die ständig ihre "industrielle Reservearmee" auffüllen wollen, wozu ihnen die Open-Border-Fraktion gern die Hand reicht?

    Ja, Lindner hat die Strukturen im Land voll begriffen.

  • "Obwohl die Zahl der Langzeitarbeitslosen eher steigt, will der Finanzminister 600 Millionen Euro für deren Wiedereingliederung einsparen. Wie kann das sein?"

    Das kann so sein, weil Lindner diese Leute einfach egal sind. Die wählen nicht seine Partei und zur Hochzeit waren sie auch nicht eingeladen.

  • Fragwürdige Förderung - schafft sie ganz ab.



    Der Staat übernimmt für Jahre 100% der Lohnkosten.



    Für den Arbeitgeber ist die Arbeitskraft also kostenlos.



    Blöd nur, dass fast alle Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der Zeit wieder gekündigt werden und neue "kostenlose" Arbeitskräfte eingestellt werden.



    Ich würde sagen, das Geld verfehlt die Ziele völlig und macht daher in dieser Form gar keinen Sinn. Mit diesem Geld könnte man besseres für die Arbeitslosen erreichen.

  • Ich verstehe ja wie unpopulär Herr Lindner hier ist.Die Berichterstattung ist aber schon ziemlich verlogen. Von den bereitgestellten 4,8 Mrd. Euro für den sozialen Arbeitsmarkt wurden in 2021 nur etwas über 4 Mrd. abgerufen. Deshalb wurde jetzt das Budget für das nächste Jahr auf diesen Wert gekürzt. Das ist überall im ÖD ganz normale Praxis. Wenn ein Budget nicht ausgegeben wird, wird es gekürzt. Deshalb rennen uns die Kunden aus dem ÖD im letzten Quartal immer die Bude ein, weil noch Geld da ist was weg muss.