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Weizen, Mais und SojaNahrung trotz Spekulation billiger

Börsenhändler, aber auch kritische NGOs meinen, Spekulation treibe die Nahrungspreise in die Höhe. Tatsächlich sinken sie aber.

Gerade spottbillig: Weizen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Drei von vier Börsenpraktikern meinen, dass sie mit ihren Finanzspekulationen die Preise für Nahrungsmittel beeinflussen – so das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Berliner Vereins Foodwatch. Endlich, könnte man glauben, sind also die wahren Verursacher steigender Nahrungsmittelpreise – und also von Hunger – dingfest gemacht. Irritierend ist nur: Die Preise für die wichtigsten Nahrungsmittel fallen seit Langem.

Als Marktmacher in Europa gilt Weizen – wichtig für Baguettes, Hühnerfutter und Pizza. Aber: Die Weizenpreise haben seit Mitte Mai noch einmal kräftig nachgegeben. Auch der Preis für den besonders in den USA beliebten Mais fällt rasant. Sojabohnen kosten aktuell unter 11 US-Dollar je Scheffel, so wenig wie seit Jahren nicht mehr.

Fast alle Preise für Getreide und Ölsaaten befinden sich derzeit auf mehrjährigen Tiefständen, nicht einmal Russlands Agrarboykott dürfte daran etwas ändern. Dazu ist Russland ein zu kleiner Spieler. Bettina Rudloff, Handelsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erwartet, dass die Preise weiter niedrig bleiben. Lediglich „in einzelnen Sektoren kann es in der Europäischen Union zu Marktdruck kommen: bei saisonalen und nicht lagerfähigen Produkten wie Obst und Gemüse.“

Günstige Nahrungs- und Futtermittelpflanzen dürfte es noch zwei Jahre lang geben, prognostizieren OECD und die UN-Ernährung- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Auch danach würden sich die Preise nur wenig oberhalb der Tiefebene von 2007 einpendeln. Zu ähnlichen Einschätzungen gelangen Institutionen wie die Europäische Zentralbank.

Foodwatch sieht „erdrückende Belege“

Foodwatch beharrt jedoch auf Nachfrage der taz darauf, dass es starke Indizien aus der Wissenschaft und „erdrückende Belege“ aus der Praxis für das Gegenteil gibt. „Spekulationsexzesse lassen Lebensmittelpreise ansteigen“, sagt ein Sprecher. Den langfristigen Abwärtstrend der Rohstoffpreise hält man für eine Art zeitlich begrenzten Betriebsunfall: „Es geht uns um Preisschwankungen.“ Spekulationen verstärkten die Preisschwankungen, im Zweifelsfall „in beide Richtungen“.

Ein Großteil der „Spekulationen“ wird allerdings von Bauern und Agrarkonzernen initiiert, die sich für die kommende Ernte bestimmte Preise sichern wollen. Wirkungsmächtiger als die Börsianer – die ja ein Interesse haben, ihre Bedeutung zu übertreiben – sind offenbar realwirtschaftliche Faktoren. Die Commerzbank sieht in einer Studie vor allem gute Ernten und die Ausdehnung der Anbauflächen weltweit als Gründe für den Preisverfall: „Ein üppiges Angebot sorgt für niedrige Preise.“

Agrarökonomen fürchten indes langfristig durchaus wieder steigende Rohstoffpreise. Ein Grund: Die Weltbevölkerung wächst insgesamt. Ein weiterer Grund: „In Fernost setzt sich ein westlicher Lebensstil durch“, hat auch der boomende niedersächsische Milchpulver-Exporteur Uelzena festgestellt. Das heißt, mehr Fleisch und mehr Milchprodukte werden mit immer mehr Rohstoffen aufwendig produziert. Auch in Deutschland. Das Bundesforschungsinstitut Johann Heinrich von Thünen warnt bereits vor der zunehmenden Gewässer- und Luftbelastung durch „intensive Tierproduktion“.

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8 Kommentare

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  • Foodwatch ist wie das IPCC: Beide behaupten etwas, was durch die Realitaet widerlegt wird.

  • Spekulanten auf verderbliche Güter müssen dem Markt dauerhaft genauso viel wieder geben, wie sie ihm entziehen.

    Theoretisch würde Spekulation sowohl Preisspitzen nach oben als auch nach unten abmildern. Dies wäre der Fall, dass die Spekulation nur auf "gute" oder "schlechte" Ernten oder auf steigende oder sinkende normale Nachfrage setzen würden.

    Spekulanten machen jedoch mit Spekulanten ihr Geschäft - mit deutlichen Nebenwirkungen für diejenigen, die darauf angewiesen sind, das Produkt zu verkaufen oder zu erwerben.

    Spekulanten, die mit Spekulanten Geschäfte machen, setzen darauf, dass Spekulation den Preis erhöht und der steigende Preis weitere Spekulanten anlockt etc. Diese Preisspirale übersteigt dann die Erntebedingten Schwankungen deutlich. Foodwatch hätte als recht, wenn sie sagen würden, dass zunehmende Spekulation den Preis klar nach oben treibt.

    Die grossen Spekulanten machen aber auch ein Geschäft damit, dass sie als erstes und danach viele andere aus der Spekulation wieder aussteigen. Sie spekulieren dann auf sinkende Preise während immer mehr Kleinspekulanten mit Verlust verkaufen.

    Im Ergebnis führt dann die sinkende Spekulation sowie die Spekulation auf sinkende Preise eben zu den sinkenden Preisen.

    Somit haben dann beide recht. Foodwatch sieht darin nicht das geöhnliche Auf und Ab der Spekulation sondern ein Ein- und Aussteigen - mit entsprechend gegenteiligen Folgen.

    Andere sehen gerade in der Fluktuation das Charakteristikum der Spekulation und daher genau dieses Auf und Ab als eigentliche Folge der Spekulation.

  • Wichtig ist nicht nur der durchschnittliche Getreidepreis sondern auch dessen Schwankungsbreite. Wenn zum Beispiel im Durchschnitt eines Jahres der Preis auf einem für alle erträglichen Niveau ist aber für 1/4 Jahr für ärmere Menschen unerschwinglich, dann ist das eine Katastrophe.

    • D
      D.J.
      @Christian_72:

      Die Schwankungsbreite war in der Vormoderne um eine Vielfaches höher als heute. Ganz ohne oder mit wenig Spekulation. Wobei mir bis heute überhaupt noch niemand erklären konnte, wieso Spekulationen überhaupt die Schwankungsbreite erhöhen sollen statt sie im Gegenteil zu verringern (Spekulant setzt darauf, bei hohen Preisen verkaufen zu können, was wiederum den Anstieg verringert). Etwas anderes wäre es, wenn das Getreide dem Markt durch spekulative Lagerung entzogen würde, was m.E. fast nie der Fall ist.

  • D
    D.J.

    Ein mit ökonomischem Sachverstand gesegneter Artikel zu diesem Thema.

    Was meinen eigentlich die Foodwatch-Typen mit "Börsenpraktikern"? Alle Besitzer von Aktien oder wie?

    Gern ignoriert: Sinkende Presie sind eben auch ein Problem für Länder, wo die meisten Bewohner in der Landwirtschaft tätig sind, z.B. afrikanische Staaten. Gut für die Städter, schlecht für die Bauern, zumindest soweit sie auch für den Markt produzieren. Daher ja auch völlig zu Recht die Empörung über (glücklicherweise geringer werdenden) Subventionen auf europ. Exportware.

  • Was macht ein Spekulant, der sich eine Schiffsladung Weizen im Glauben an steigende Preise frühzeitig gekauft hat, wenn die erwünschte Preissteigerung nicht eintrifft?

    Lässt er diese Schiffsladung Weizen einlagern und zahlt artig jeden Monat die Lagerkosten in der Hoffnung, das Geld irgendwann wieder mit sattem Gewinn rein zu bekommen – oder verkauft er nicht doch lieber sofort mit Verlust?

    Auch das Spekulantengeschäft ist nicht ohne Risiko. Da kann man gerade mit Warentermingeschäften auf Nahrungsmittel auch ganz schnell viel Geld verlieren.

    Künstliche Nachfrage durch Spekulanten kann die Preise kurzfristig hochtreiben. Am Ende zählt aber nur reale Nachfrage durch die Verarbeiter.

    • @ko99421:

      "Auch das Spekulantengeschäft ist nicht ohne Risiko."

       

      Echt jetzt?

  • "Börsenhändler, aber auch kritische NGOs meinen, Spekulation treibe die Nahrungspreise in die Höhe. Tatsächlich sinken sie aber."

     

    Ernten hängen von vielen Faktoren ab. Außerdem haben viele von Importen abhängige Staaten massiv in Afrika, Asien und Lateinamerika in Mega-Farmen investiert. Das zahlt sich offenkundig aus. Ich glaube aber, dass langfristig diese Investitionen gepaart mit der Spekulation durchaus Hunger verursachen kann. Momentan hat die Erde ausreichend Anbauflächen und mit Süd-Indien gibt's ein großes Gebiet, dass zu 80 Prozent vegetarisch isst. Sollte aber der Verbrauch an Bio-Diesel zunehmen. kommt es zur Konkurrenz der Anbauprodukte - dann könnte der Weizen für die armen Einwohner schnell das Nachsehen haben. Ohne Regulation und Fairness kommt diese Gemengelage am Ende immer zu einer ungerechten Verteilung von Nahrung und das bedeutet einfach Hunger. Der Markt wird es aus sich selbst heraus definitiv lösen.