Website von Abtreibungsgegner_innen: Vermeintlich harmlos
Abtreibungsgegner versuchen ungewollt Schwangere online hinters Licht zu führen. Vor Gericht steht derjenige, der dies öffentlich machte.
Die Rechercheplattform „Allgäu rechtsaußen“ veröffentlichte Ende vergangenen Jahres einen Mitschnitt von der Mitgliederversammlung des Regionalverbandes der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) in Memmingen.
In der ohne Genehmigung angefertigten und veröffentlichten Aufnahme war auch die Vorsitzende des Memminger Regionalverbandes und Schriftführerin im Bundesvorstand von ALfA, Maria Schmölzing, zu hören. Sie erklärte den Mitgliedern und geladenen Gästen, die Seite VitaL werde von ALfA betrieben, um ungewollt Schwangere zu erreichen, die von Seiten abgeschreckt würden, die deutlich erkennbar von Lebensschützer_innen betrieben werden.
Denn genau solche radikalen Abtreibungsgegner_innen sind es, die sich in ALfA zusammengeschlossen haben. 1977 gegründetet ist ALfA eine der ältesten „Lebensrechts“-Gruppen in Deutschland, zudem mit nach Eigenangaben 11.000 Mitgliedern die derzeit aktivste und einflussreichste Organisation der deutschsprachigen „Lebensschutz“-Bewegung.
Mehrere Gerichtsverfahren
In der Tonaufnahme benennt Maria Schmölzing die Intention, Schwangere in die Irre zu führen, die nur einen Beratungsschein haben wollten. An diese käme man nicht heran, wenn klar wäre, dass die Seite von „Lebensschützern“ betrieben würde. Einen Beratungsschein braucht eine ungewollt Schwangere in Deutschland für einen straffreien Abbruch in den ersten 12 Wochen Schwangerschaftswochen.
Dass der Mitschnitt öffentlich wurde, gefiel Schmölzing nicht: Sie zeigte den Verantwortlichen für die Webseite „Allgäu rechtsaußen“ wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ an, es handelt sich um den Journalisten Sebastian Lipp. In erster Instanz sprach das Amtsgericht Kaufbeuren Lipp Mitte September schuldig, verurteilte ihn aber nur zu einer geringen Anzahl von Tagessätzen. Lipp hat Berufung gegen das Urteil eingelegt, die Verhandlung wird voraussichtlich im Januar des nächsten Jahres stattfinden.
Gleichzeitig beantragte die lokale ALfA-Vorsitzende Schmölzing eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung der Aufnahme und die wörtliche Transkription der entsprechenden Passage. Dem gab das Gericht statt, die Aufnahme und das Transkript mussten durch eine paraphrasierte Beschreibung des Inhalts ersetz werden. Ob diese Regelung bestand hat und der Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung stattgegeben wird, entscheidet nun am Mittwoch das Landgericht Kempten.
Der Anwalt des Beklagten, Alexander Hoffmann, zeigte sich der taz gegenüber allerdings pessimistisch: Es sei zwar möglich, aber unwahrscheinlich, dass ein Zivilgericht etwas andere entscheide als ein Strafgericht. Um so einen Prozess zu gewinnen, dafür sei man vielleicht auch „im falschen Landstrich“, fuhr er in Bezug auf die konservative bayrische Region fort. Hier hatten Ende der 1980er Jahre die „Hexenprozesse von Memmingen“ stattgefunden gegen den vor kurzem verstorbenen Arzt Horst Theissen und mehrere Frauen, an denen er damals illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatte.
„Eine unglaubliche Sauerei!“
Der Anwalt betont, es sei richtig und wichtig die Veröffentlichung im Original versucht zu haben und diese auch zu verteidigen: „Wenn ein solcher Verein unter falschem Namen auftritt, um ungewollt Schwangere von einer Abtreibung abzuhalten, ist das doch eine unglaubliche Sauerei!“, sagt Hoffmann und fährt fort: „Da besteht ganz klar ein Interesse der Öffentlichkeit am tatsächlichen Wortlaut. Wenn man das nur paraphrasieren dürfte, klänge das viel harmloser und würde so der Drastik der Situation nicht gerecht.“
Der Journalist Lipp hofft den Prozess zu gewinnen und damit auch mehr Aufmerksamkeit für die problematischen Praktiken der Abtreibungsgegner_innen zu generieren: „Wir werden auf jeden Fall versuchen, das Original wieder zugänglich zu machen. Es kann nicht sein, dass schwangere Personen derart hinters Licht geführt werden. Die Aufnahme von Schmölzing ist auch deswegen wichtig, damit die Herablassung, die die ALfA schwangeren Hilfesuchenden eigentlich entgegenbringt, hörbar wird: das stolze Feixen über diesen Trick ist in der Paraphrase nicht wiederzugeben.“ Darüber hinaus werde man den lokalen „Lebensschutz“-Aktivist_innen weiter „auf die Finger gucken“, so Lipp weiter.
„Im Weltbild der ALfA gibt es keine Frauen, die sich wirklich freiwillig für eine Abtreibung entscheiden“ sagt Eike Sanders, Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz e.V.) der taz. Die Abtreibungsgegner_innen gingen immer „davon aus, dass es aus dem Weg zu räumende äußere Faktoren gibt: Finanzielle Sorgen, zum Abbruch drängende Männer oder Eltern, Angst vor irgendwas. Erfolgreiche Hilfe für Ratsuchende heißt also immer, dass die Schwangere das Kind zur Welt bringt.“
Wer genauer hinschaut, findet auch auf der Website von VitaL Hinweise auf diese radikalen Positionen, die die „Lebensschutz“-Bewegung in der Gesellschaft verbreiten will. Klickt man auf „Entwicklung des Kindes“, findet man Texte, in denen vom „Baby“ und dem „kleinen Geschöpf“ geschrieben wird, das immer „aktiver und beweglicher“ werde. Die Rede ist allerdings von einem 12 Wochen alten Fötus. Auf dem dazugehörigen Bild: ein schlafendes Baby.
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