piwik no script img

Wassermusik von Tomoko SauvageSubaquatische Zombie-Apokalypse

Die japanische Künstlerin Tomoko Sauvage experimentiert mit den Geräuschen des Wassers. Ihr neues Album „Fischgeist“ schärft die Sinne.

Feldforschung mal anders: Tomoko Sauvage bei einer Performance Foto: Richard Berger

Fischgeist“ zu hören, das neue, aus fünf Tracks bestehende Album der japanischen Musikerin Tomoko Sauvage, ist eine bereichernde Erfahrung. Man lernt beim Zuhören, Wasser als wirkmächtiges Element neu zu begreifen und auf ungeahnte Details zu fokussieren, versinkt mitunter in Trance, weil die hypnotische Kraft und latente Magie von Tomoko Sauvages Musik, ihre behutsam an- und abschwellenden Klangkurven, die Sinne schärfen.

Die hallende und auf Echoeffekte sich stützende Klangsignatur funktioniert wie eine Droge, die das Bewusstsein verengt: Durch Pochen und Klopfen, wellenförmiges Feedback, aber auch bedrückende Stille, kaum wahrnehmbares Rauschen und sonores Brummen. Das Spektrum der Geräusche wirkt sanft und streng zugleich, hart, jenseitig, unendlich weit weg, aber es könnte genauso gut aus dem Gulli unten auf der Straße aufsteigen.

Die japanische Künstlerin, die in der Küstenstadt Yokohama aufgewachsen ist und nach einem Aufenthalt in New York, seit 2003 in Paris lebt, forscht seit Langem im Wasser. Inspiriert dazu hat sie Musik von Alice Coltrane und Terry Riley und deren Beschäftigung mit ritueller indischer Musik. In Paris hat sich Sauvage mit dem indischen Instrument Jal Tarang beschäftigt, einer Porzellanschale, die mit kleinen Stöcken bespielt wird. Ihre eigenen Wasserklänge zeichnet Tomoko Sauvage mit Unterwasser-Mikrofonen auf, die sie in mit Wasser befüllten Schalen aus Glas und Porzellan ablässt.

Singende Reiskörner

Die Luftblasen von Mineralwasser und die Durchlässigkeit des Porzellans helfen dabei. Manchmal lässt Sauvage auch Reiskörner in die Schüsseln rieseln, die zu singen beginnen. Mit Handbewegungen erzeugt die Künstlerin im Wasser Wellenbewegungen, gleitet mit den Fingern die nassen Ränder entlang oder lässt Tropfen von ihren Händen in die Schalen fallen; scheinbar minimale Veränderungen, die maximale Wirkung erzielen: gigantisches Glissando.

Tomoko Sauvage

Tomoko Sauvage: „Fischgeist“ (Bohemian Drips/A-Musik)

Effektgeräte und ein Looppedal nehmen dieses subaquatische Stöhnen und Seufzen auf, bringen deren Chronologie durcheinander und vervielfältigen das fluide Timbre beim Re-Inszenieren durch Verschiebungen und Erschütterungen zu sinuskurvenartigen Geräuschkulissen.

Zudem interessiert sich Tomoko Sauvage (Sternzeichen Fisch!) immer für die Umgebung ihrer Aufnahmeorte. Auch auf „Fischgeist“, das in den Hallen einer ehemaligen Konservenfabrik in Berlin aufgenommen wurde, schwingen die akustische Umgebung und ihre Resonanzen mit. Es fungiert zugleich als Field-Recording aus einem alten Industriegebäude. Drinnen befanden sich leere Wassertanks und Aquarien, die Sauvage nach Klangquellen abgetastet hat.

Bedrohliche Geräusche

Was ist von den Lebewesen, die hier einst zu Nahrung verarbeitet wurden, noch an Spuren erhalten? „Fischgeist“ ist an keiner Stelle Entspannung oder Meditation. Oftmals klingen die Geräusche unheimlich und bedrohlich, man denkt an J. G. Ballards SciFi-Roman „Paradiese der Sonne“, in dem die Erde durch Klimaerwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels in weiten Teilen wieder überflutet ist und riesige Amphibien auf Beute warten. Zombie-Apokalypse unter Wasser.

Der August gilt in Fernost als Geistermonat, zu dessen Ende das sogenannte Ullambana-Fest gefeiert wird. An den Küsten werden kleine Papierboote und Laternen zu Wasser gelassen, um die Geister nach ihrem Besuch im Diesseits wieder den Weg ins Jenseits zu weisen. Wie der Titel „Fischgeist“ schon sagt, spuken auch in der Musik von Tomoko Sauvage Gegenstände und Geräusche im Wasser, in der Elektrizität, im Raum umher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • danke für das Teilen