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Warum Jens Spahn noch im Amt istDie Angst der Bundesregierung

Gesundheitsminister Spahn steht für vieles in der Kritik. Sein Rücktritt wäre angebracht, ist aber unwahrscheinlich – zumindest bis Sonntag.

Mit Masken kennt sich Jens Spahns Partei zumindest geschäftlich gut aus Foto: Annegret Hilse/reuters

Es war einmal eine Chefin der Evangelischen Kirche, die von ihrem hohen Amt sofort zurücktrat, weil sie alkoholisiert über eine rote Ampel fuhr. Es waren einmal zwei Bundesminister*innen, die ihre politische Karriere beenden mussten, weil sie bei der Doktorarbeit geschummelt hatten. Heute gibt es einen Gesundheitsminister, in dessen Zuständigkeitsbereich seit vielen Monaten so gut wie alles schiefläuft, der persönlich schwere Fehler gemacht hat – und der trotzdem alles aussitzt, als wäre nichts geschehen. Wie kann das sein? Was schützt Jens Spahn vor dem Amtsverlust?

Die Medien sind es nicht mehr. Auch bürgerlich-konservative Zeitungen, die den Aufstieg des rechten CDU-Flügelstürmers lange freundlich begleitet hatten, wenden sich gerade ab. Es ist nicht mehr besonders originell, den Rücktritt Spahns zu fordern. Im Gegenteil. Von Spiegel bis Springer sind sich inzwischen so gut wie alle einig, dass der Gesundheitsminister gehen sollte.

Es haben sich so viele auf Spahn eingeschossen, dass man fast schon wieder skeptisch werden könnte. Wird da nur ein Sündenbock gesucht, ein armes Opfer, dem man die Schuld für das deutsche Coronaschlamassel in die Schuhe schieben kann? Verlieren alle nur deshalb die Geduld, weil nach einem Jahr Coronakrise und scheinbar endlosem Lockdown auch die lange treuherzig braven Deutschen einfach nur erschöpft und sauer sind? Und weil sie wollen, dass endlich irgendjemand für den ganzen Mist büßen sollte?

So einfach sollte man es sich in der Tat nicht machen. Spahn hat weder das Virus noch seine Mutanten erfunden, die meisten (Fehl-)Entscheidungen, die zum unerträglich langsamen Impfen und Testen in Deutschland führten, wurden nicht im Gesundheitsministerium allein, sondern im größeren Kreis getroffen, von der EU über die Große Koalition bis zu den Bundesländern – und auch ohne Spahn wäre Corona natürlich noch lange nicht vorbei. Und doch besteht kein Anlass, den von allen Seiten attackierten Minister jetzt in Schutz zu nehmen. Dass er ins Schussfeld geraten ist, hat sich Spahn schon selbst zuzuschreiben. Die Liste seiner Fehler ist zu lang.

Peinliche Blamage

Spahns Pannenserie fing mit seiner populistischen Reue­bekundung nach dem ersten Lockdown an, wonach die Schließung des Einzelhandels ein Fehler gewesen sei, der sich nicht wiederholen dürfe. Das hat die Akzeptanz der dann natürlich doch wieder nötigen Maßnahmen im Herbst unnötig erschwert. Es ging weiter mit vollmundigen Versprechungen für schnelle Impf- und Testaussichten, die Spahn hinausposaunte, ohne die dafür notwendigen Vorbereitungen geklärt, geschweige denn organisiert zu haben.

Am schwersten aber wiegt, dass sich der Gesundheitsminister mitten in der zweiten Welle nicht auf die Bewältigung der größten Gesundheitskrise der deutschen Nachkriegsgeschichte konzentrierte, was ein Vollzeitjob gewesen wäre. Stattdessen versuchte er nebenbei intensiv und ungeniert, erst einmal weiter an der eigenen parteipolitischen Karriere in der CDU zu basteln.

Dass er dabei auf die Nase fiel, weil sein peinlicher Werbeauftritt für Armin Laschet auf dem CDU-Parteitag auch beim eigenen Parteivolk schlecht ankam, macht die eitle Nebentätigkeit des Gesundheitsministers im Coronanotstand nicht besser.

Angst der Regierung

Auch wenn Parteipolitik natürlich sogar in schlimmsten Pandemiezeiten erlaubt sein muss: Spahn hat dabei zu viel Vertrauen verspielt. Wer morgens Rücksichtnahme, Solidarität und Disziplin predigt, die Gefahren von Zusammenkünften mit mehreren Menschen beschwört und dann abends bei einem Dinner mit reichen Gönnern speist, die passgenau 9.999 Euro für seinen Wahlkampf zahlen, damit es den Säckel füllt, das aber nicht als meldepflichtige Spende zählt, der hat zwar keine rote Ampel überfahren, dafür aber ganz klar eine rote Linie.

Warum also kann er weitermachen? Kurz gesagt: Weil die ganze Regierung Angst hat. Spahns Rücktritt könnte als Eingeständnis verstanden werden, dass die gesamte deutsche Coronapolitik gescheitert ist. Deshalb kann sich Spahn auf den Schutz der CDU verlassen. Aber nur noch bis zu den nächsten Landtagswahlen am Sonntag.

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10 Kommentare

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  • Ganze Regierung sollte zurücktreten. Aber bei Merkel wird wohl eher wieder mal ein Bauernopfer herhalten müssen, wie schon so oft.

  • @PLANB Leider, genau das ist das Problem, es ist fast völlig egal, ob man schwarz rot, rot, grün, gelb wählt, am Ende des Tages gibt das Kapital die Richtung vor, zumindest in der Landes- und Bundespolitik und zunehmend auch in der Lokalpolitik. So werden Demokratie und das Solidarpinzip ausgehebelt. Wie anders ließe sich sonst erklären, dass es noch immer keine Reichensteuer, keine Einheitskrankenkasse, kein Grundeinkommen, keinen kostenfreien Nahverkehr gibt oder anders gefragt Infrastruktur oder städtische Wohnungen oder städtischer Grund und Boden privatisiert wurden? Die Max und Maxi Mustermänner und -frauen dieser Republik sind mit ihren Beiträgen, und seien sie noch so klein, dafür aber zahlreich, nur dafür da, den Reichtum zu mehreren.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch schlenztein:

    “ Wo man hobelt

    Watta assist: taz.de/Warum-Jens-...-Amt-ist/!5752528/ "Was schützt Jens Spahn vor dem Amtsverlust?" Einfach dem Link zu Küppersbusch folgen. Da steht es. Es ist der Schiedsrichter. "Und was machen die Borussen? - Schlagen Bayern, weil der Schiri konsequent Fouls an Haland und Can pfeift. Mutiger Mann." Aber möglicherweise erwischt es Spahn noch auf dem Weg in die Kabine: "O welch ein edler Geist ist hier zerstört! Des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge, des Kriegers Arm, des Staates Blum und Hoffnung, der Sitte Spiegel und der Bildung Muster, das Merkziel der Betrachter, ganz, ganz hin! [....] Dies hohe Bild, die Züge blühnder Jugend, durch Überschwang zerrüttet: Weh mir, wehe, das ich sah, was ich sah, und sehe, was ich sehe."" (aus Hamlet)







    unvergessen: "Es besteht kein Grund zur Sorge." (Jens Spahn am 30.01. (sic!) 2020 2020)"

    …wird gegobelt - 🤮 -

  • Scheuer steht doch vor Spahn ...

    • @Der Waeller:

      Seh' ich auch so. Die Liste der lange auswechselfälligen Unionspolitiker ist lang und fängt nun wirklich nicht bei Jens Spahn an.

  • Angesichts der aktuellen Enthüllungen bezüglich der CDU muss man davon aussgehen das Spahni seinen Giftschrank wohlgefüllt hat und somit noch so allerlei weitere CDU/CSU-Granden mit in den Abgrund reißen könnte.

    Und genau darum ist er noch in Amt und Würden.



    "Würden?" ... na ja.. lasse mer mal Fünfe grade sein.

  • "...dass die gesamte deutsche Coronapolitik gescheitert ist"

    Selten so einen Mist gelesen. Im Artikel ist nichts inhaltliches zur Untermauerung dieser These zu finden.

    Auch Lukas Wallraff scheint der Corona-Fatique erlegen zu sein.

    Bin übrigens /Links/Grünwählerin und habe noch nie in meinem Leben CDU gewählt, aber eins ist sicher, mit anderem Personal, egal welcher Partei, wäre nichts besser gelaufen.

  • Scheuer und Spahn !



    Da hat die Kanzlerin doch die beiden richtigen für irgend eine Kommission berufen.

    Wenn sie das Versagerpaar noch vor dem Sonntag in die Wüste schickt, bleiben die CDU-Verluste vielleicht am Rhein und Neckar noch in Grenzen.

  • Ich muss ganz ehrlich sagen: so schlimm finde ich die hier aufgeführten Verfehlungen nicht.



    Die Inschutznahme im Artikel hingegen finde ich verständlich. Ich hege wenig Sympathien für Spahn. Aber, daß er jetzt seinen Hut nehmen sollte, finde ich nicht.

    • @Nobodys Hero:

      Ich stimme dem Artikel zu. Allein, dass Spahn dazu aufforderte (das steht hier nicht), Spenden so zu stückeln, dass diese nicht meldepflichtig sind, ist schon eine überfahrene rote Linie zu viel.

      Natürlich hat die Union noch andere, die besser schon längst den Abschied genommen hätten. Ganz vorne mit dabei: Scheuer.