Warum Gericht Sitzungen erlaubt hat: Alter Bundestag kann Geld raushauen
Linke und AfD wollten eine Abstimmung des alten Parlaments zur Schuldenbremse verhindern. Doch das Bundesverfassungsgericht wies ihre Anträge zurück.

Am kommenden Dienstag wird der Bundestag noch einmal zu einer Sondersitzung mit den alten Mehrheiten zusammenkommen. Auf der Tagesordnung steht eine dreifache Änderung des Grundgesetzes. Danach sollen Verteidigungsausgaben über 45 Milliarden Euro nicht mehr auf die Schuldenbremse angerechnet werden.
Das Gleiche soll für ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro zur Modernisierung der Infrastruktur gelten. Und schließlich sollen die Bundesländer künftig genau so viel Schulden machen können wie der Bund, das heißt pro Jahr rund 15 Milliarden Euro.
Seit dem frühen Freitagnachmittag kann das Paket auch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag rechnen. Die kommende Koalition aus CDU/CSU und SPD einigte sich mit den Grünen auf einen Kompromiss zu den geplanten Grundgesetzänderungen. So sollen 100 Milliarden Euro des Sondervermögens für Klimaschutz-Investitionen reserviert werden. Und mit den Verteidigungsausgaben sollen zum Beispiel auch Hilfen für überfallene Staaten wie die Ukraine von der Schuldenbremse ausgenommen werden.
Diese Grundgesetzänderungen wollen CDU/CSU, SPD und Grüne unbedingt noch in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode beschließen. Denn noch haben die drei Fraktionen gemeinsam die Zwei-Drittel-Mehrheit, die für Verfassungsänderungen erforderlich ist. Im neu gewählten Bundestag würden dafür auch Stimmen der Linken (die jedoch erhöhte Militärausgaben ablehnt) oder der AfD (die die Schuldenbremse nicht aufweichen will) benötigt.
Am frühen Freitagnachmittag war allerdings noch unklar, ob der Bundestag am kommenden Dienstag überhaupt zur entscheidenden Sondersitzung zusammenkommen kann. Es gab mehrere Organklagen von alten und neuen Abgeordneten, die dies verhindern wollten. Über vier Organklagen und die dazugehörigen Eilanträge hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden. Konkret ging es um Anträge der kommenden Linken-Fraktion, der aktuellen AfD-Fraktion, von fünf AfD-Abgeordneten um Christian Wirth sowie der ausgetretenen Ex-AfD-Abgeordneten Joana Cotar.
Vier Anträge abgelehnt
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Vizepräsidenten Doris König hat alle vier Anträge am Donnerstag abgelehnt und dazu am Freitagnachmittag vier separate Beschlüssen veröffentlicht. Dabei hatten die Argumente, die teilweise von Linken und AfD ähnlich vorgebracht wurden, durchweg keinen Erfolg.
So verstoße es nicht gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, wenn der alte Bundestag noch das Grundgesetz ändert, obwohl der neue Bundestag bereits gewählt ist. Die Richter:innen verwiesen auf Artikel 39 des Grundgesetzes, wonach der alte Bundestag handlungsfähig bleibt, bis sich der neue Bundestag konstituiert hat.
Letzteres muss spätestens 30 Tage nach der Neuwahl erfolgen. Tatsächlich ist die erste Sitzung des neuen Bundestages für den 25. März geplant. Bis dahin hat der alte Bundestag noch alle Kompetenzen. Dies gelte auch dann, wenn der Bundestag vorzeitig aufgelöst wurde, so die Richter:innen.
Bundestags-Präsidentin Bärbel Bas (SPD) habe auch nicht dadurch ihre Pflichten verletzt, dass sie noch einmal den alten Bundestag einberufen hat. Zwar könnte seit diesem Freitag (ab Verkündung des amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl) auch der neue Bundestag einberufen werden. Es gebe jedoch keine Pflicht hierzu, so die Richter:innen.
Genug Zeit, um Anträge zu lesen
Da die Fraktionen von CDU/CSU und SPD eine Einberufung des alten Bundestags beantragt hatten, durfte Bas diesen Antrag umsetzen. Dies wäre nur dann ausgeschlossen gewesen, wenn sich der neue Bundestag von sich aus konstituiert hätte. Danach hätte ein Drittel der Abgeordneten des neuen Bundestags die Einberufung des neuen Bundestags fordern müssen. Dies sei aber nicht erfolgt, stellten die Verfassungsrichter:innen fest.
Die Einberufung des alten Bundestags wurde auch korrekt eingefordert. Von AfD-Seite war beanstandet worden, dass nicht ein Drittel der alten Abgeordneten mit ihrer Unterschrift eine Sondersitzung verlangt haben. Das Verfassungsgericht stellte nun aber klar, dass das Grundgesetz keine so strengen Form-Erfordernisse aufstelle. Es genüge auch, dass die Fraktionsvorsitzenden von zwei Fraktionen (CDU/CSU und SPD), die gemeinsam mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellen, eine Sondersitzung beantragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Abstimmung am Dienstag auch nicht deshalb verhindert, weil die Abgeordneten zu wenig Zeit für die Lektüre und Beratung der Anträge haben. Im Sommer 2023 hatte das Gericht bei den Beratungen zum Heizungsgesetz auf Klage des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann eine längere Pause für Beratungen gefordert.
Diesmal lehnte es entsprechende Anträge jedoch ab. Der Antrag der AfD-Abgeordneten um Christian Wirth hatte nicht genügend Substanz, so Karlsruhe, und im Fall der Ex-AfD-Abgeordneten Joana Cotar spreche die Folgenabwägung gegen einen Aufschub. Angesichts des nahen Endes der Legislaturperiode drohe der Verfall der Anträge.
Zwar liegen in Karlsruhe weitere Organklagen und Verfassungsbeschwerden vor, über die noch nicht entschieden ist. Es ist aber davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht die aussichtsreichsten Eingaben für eine sofortige Entscheidung ausgewählt hat.
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