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Waldorfschule als GemeinschaftZum Leben erweckt, doch uniform

Jahrelang fühlte unsere Kolumnistin sich in der Waldorfschule als Teil einer Gemeinschaft. Dann merkte sie, wie beengt und gleichförmig die war.

Kunsterziehung in der Waldorfschule Foto: Walter Allgoewer/Joker/imago

N eues Schuljahr. Neuer Klassenraum. Neue Wandfarbe. Jede Klassenstufe hat an Waldorfschulen eine bestimmte Farbe. Das Lasieren der Wände ist meist Elternarbeit. Auch ich habe als Kind mitgeholfen, wenn wir das „Bauwochenende“ mal wieder in der Schule verbracht haben. Ich mochte den Geruch des Bindemittels für die Lasur. Dann die vorgegebene Farbe rein und mit dicken Quasten in liegenden Achten die Wände „zum Leben erwecken“.

Ich habe mich in den Räumen der Waldorfschule wohl gefühlt. Ich mochte die hochwertigen Materialien. Vollholz, Linoleum, Kupfer, naturgefärbte Baumwollvorhänge, Pflanzen, Steine, Kunstdrucke, Jahreszeitentisch. Und vieles ging durch meine Hände.

Ich habe zur Strafe Malbretter geschrubbt, wenn ich zu oft gequatscht hatte, oder ich musste Tische abschleifen. Ich habe im Gartenbauunterricht Bäume gepflanzt. Im Werkunterricht habe ich beim Kupfertreiben neue Schilder für die Toi­letten gemacht. Ich habe Eurythmiekittel getragen, die andere Mütter genäht hatten – eine Art Tunika, die wir für den Eurythmieunterricht über unsere normale Kleidung ziehen mussten. Und andere Schülerinnen holen vermutlich Theaterkostüme aus dem Fundus, die meine Mutter genäht hat.

Waldorfschule ist eine Gemeinschaft. Und es hat mir Sicherheit gegeben, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Umso mehr, weil ich mich außerhalb der Schulgemeinschaft fremd gefühlt habe. Mir nicht selten einen dummen Spruch anhören musste oder nicht mitreden konnte, weil ich von popkulturellen Themen keine Ahnung hatte. Nur in der Schulgemeinschaft gehörte ich dazu und wusste, wie diese kleine Welt funktioniert. Und zu jedem Schuljahresende packten wir all unsere Topfpflanzen und Kleinigkeiten und zogen einen Klassenraum weiter.

Heute ertrage ich das Uniforme nicht mehr

Aus heutiger Perspektive fällt mir auf, wie viel Arbeit ich in diese Schule gesteckt habe, ohne je etwas selbst entscheiden zu dürfen. Die Farbe der Klassenräume ist seit 100 Jahren festgelegt. An allen Waldorfschulen dieser Welt. Das geht auf Rudolf Steiner zurück und soll die Schüler_innen in ihrer „seelischen und geistigen Entwicklung“ unterstützen.

Unsere Schulgemeinschaft war viel gleichförmiger, beengter und tradierter, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Ich fand die Wochenenden, an denen meine Familie Wände lasiert hat, nicht schlimm, aber übers Jahr summierten sich die schulfreien Tage, die ich in der Schule verbrachte, ganz schön: Feste, Proben, Monatsfeiern, Arbeitseinsätze. Das festigte das Band zur Schulgemeinschaft und reduzierte den Raum für Erfahrungen außerhalb der Gemeinschaft. Und ich mag Linoleumböden und Vollholzmöbel immer noch.

Aber ich kann das Uniforme der Waldorfeinrichtungen nicht mehr ertragen. Bis hin zu den Bildern an der Wand sehen hunderte von Wal­dorf­räumen fast identisch aus. Ich habe mich sehr stark mit meiner Schule identifiziert und sie gegen jeden Angriff von außen verteidigt. Mir ist jeder fremde Mensch aufgefallen, der unser Schulgelände betrat.

Als Teenager war ich mit derselben Ästhetik, denselben Leuten und derselben Weltanschauung umgeben wie zu meiner Einschulung. Um mich als Persönlichkeit zu finden, fehlten mir Veränderungen, Reibungsflächen und Freiraum. Unsere Schulgemeinschaft war viel gleichförmiger, beengter und tradierter, als ich es mir je hätte vorstellen können.

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19 Kommentare

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  • "Waldorfschule ist eine Gemeinschaft."

    Waldorfschule ist eine gemeinsame Klasse bis zum 10. Schuljahr ohne das ganze Hauptschul und Gymnasium-Gedöns. Das ganze ohne Noten und lt. Schulforschung auch mit guten Ergebnissen.

    Wer meint, das Schulwechsel, Hauptschule und Notengedöns ohne Mitarbeit der Eltern besser ist für sein Kind, der kann es in staatliche Schulen abgeben.

    Und wer nach der Schule sich nicht die Freiräume sucht wie jeder andere Schüler landauf&ab, der hat es sich selber verbaselt. Die Schulen dafür verantwortlich zu machen, seine Freizeit nicht organisiert zu bekommen, finde ich lächerlich.

    • @Rudolf Fissner:

      Das mag ja ein Aspekt sein, aber das ganze esoterische "Gedöns" mit einem mehr als schrägen Menschenbild und nicht ganz sektenfernen Gepflogenheiten soll besser sein?



      Realitätdferne und mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten inclusive, wie im Artikel beschrieben.



      Es ist eine Art Abschottung von der Welt, die dann ja irgendwie als ungut gelabbelt wird statt zu lernen sich auseinanderzusetzen

  • Die Waldorfpädagogik hat zwei unschätzbare Vorteile gegenüber anderen Schulformen. 1. erzieht sie zur Handlungsfähigkeit, auch im handwerklichen sowie im musischen Bereich.



    2. werden bis zum Ende der Unterstufe keine Noten gegeben, es wird individuell bewertet, das macht den großen Unterschied, so dass die Waldorfpädagogik letztlich eine "Erziehung zur Freiheit" ist.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Freiheit mit esoterischem Überbau, den der Begründer hellsichtig geschaut hat, wo bleibt da die Freiheit?



      Bei aller Kritik am bestehenden Schulsystem - da finde ich als Pädagogin deutlich mehr Gedankenfreiheit, auch in der Abgrenzung zur und Kritik an der Schule, und zugleich viele vernünftige Lehrkräfte, die ihren SuS Handlungskompetenzen vermitteln. Und in den Lehramtsstudiengängen findet i.d.R. eine Auseinandersetzung mit Lerntheorien und Pädagogik nach wissenschaftlichen Standards statt und nicht auf Basis von Ideen und Ideologien.

      • @hierbamala:

        Ich habe die Waldorfschule nicht als



        gedankenfreiheitsbeschränkende



        autoritäre Institution erlebt, allerdings



        ging es anders, als in der staatlichlen Grundschule, wo das Kind aufs Gymnasium vorbereitet werden sollte,



        nicht um das Erreichen von Leistungsnormen schon für 6 Jährige.

        • @Hubertus Behr:

          Das Anekdotische kann ich jetzt mit der guten GS im kommunaler Trägerschaft hier kontern plus die mir bekannten Kinder, die die Waldorfschule nach Hospitation dort lieber nicht besuchten - bringt aber nix und niemanden weiter.

          Für gute Pädagogik braucht es keinen esoterischen oder religiösen Überbau, sondern gute und gut ausgebildete Pädagog*innen.



          Dass Lernen auch mit Anstrengung verbunden ist, ist einfach so, dass der riesige Tanker der Bildungspolitik und des Schulsystems schwerfällig ist, eine Binsenweisheit.



          Ob die Lösung darin bestehen kann, dass private weltanschauliche Schulen die Zuflucht dür wenige sind? Eher doch darin, dass Eltern, Lehrkräfte, Wähler*innen und Politiker*innen bestehende Schulen gut gestalten.



          Da erlebe ich in meiner Umgebung einige Schulen, denen das gut gelingt - ganz ohne Ideologie.

  • Die Waldorfschule befriedigt ja oft den Bedarf nach einer Gesamtschule die eben nicht Restschule ist und nicht alle Waldorfschulen sind so extrem.



    Es würde allerdings auch mit moderneren Konzepten funktionieren. Das wesentliche sind ja die engagierten Eltern, wenn man nur Kinder aus solchen Elternhäusern hat funktioniert jede Schule gut.

    • @Gunnar Grannis:

      Na, zumindest in RLP sind Gesamtschulen keine "Rest"schulen, das sehen inzwischen selbst klassische gymnasiale Oberstudienräte, bis auf die Handvoll Eltern, die sich selbst für die (lokale) Elite halten und deshalb ihre Kids vom gemeinen Volk fernzuhalten gedenken.

      Aber abgesehen davon: Es ist ja nicht nur das Engagement, es ist das Geld, es ist die zeitliche _Möglichkeit_, sich so zu engagieren und sicher der Wunsch, sich durch diesen spezifischen Waldorf-Habitus von anderen abzuheben. Waldorfpädagogik ist viel "religiöser" als man so denkt, was ist denn die Anthroposophie anderes als eine pseudoreligiöse Ideologie? - Und viel weniger offen und menschenfreundlich als so manche Waldorfeltern und -lehrkräfte von sich behaupten würden. Man bleibt unter sich.

      ...und dann gehen die Kinder doch noch auf die Gesamtschule, weil sie einen vernünftigen Sek I- oder Sek II-Abschluss wollen und sich von der Elternwelt abgrenzen.

  • Ich habe die Schul- u. Klassengemeinschaft unserer Tochter



    sehr viel hetrogener erlebt, wie hier



    beschrieben, die meisten Eltern hatten



    zudem keinen Waldorf-Schulhintergrund. Die Biographien der



    Schüler gehen auch völlig andere



    Wege, so arbeitet unsere Tochter in



    einem Hafenbetrieb als einzige



    Frau mit ausschließlich männlichen



    Kollegen, vielleicht auch deshalb,



    weil ihr Mainstream zu wider ist u.



    sie das macht, worauf sie „Bock“ hat.

    • @Hubertus Behr:

      War bei uns auch so. Die Söhne mit Waldorf-Erfahrung wussten genau, was sie wollten (und gingen dabei in ganz unterschiedliche Richtungen). Der Staatsschulzögling wusste es leider nicht.

      Ich habe Waldorfschulen und Schulgemeinschaften auch sehr unterschiedlich erlebt. Von schematischer Nachlässigkeit bis zu hohem Engagement und großer Augeschlossenheit war alles dabei.

  • Das Tragische ist, dass Schulpädagogik - ob Petersen, Montessori oder auch Steiner - gleich einer Ideologie gegen andere Denkrichtungen verteidigt wird.



    Vieles an Steiner ist dumm und vieles ist toll.



    Aber niemand versucht das Gute in die "Staatsschule" zu übertragen.

    Den gleiche Kulturkampf trifft man bei Gesamtschulen auch an.



    Von Leuten, die über das Kindeswohl anderer Eltern entscheiden wollen.

  • Es sind ja nicht nur die Klassenräume:

    Grundlagen der Waldorfpädagogik:

    "Die Viergliederung des Menschen beschreibt neben dem physischen Körper drei weitere „Wesensglieder“ des Menschen, die nur übersinnlich wahrnehmbar sind. Der Ätherleib sei Träger der Wachstumskräfte, der Astralleib Träger des Seelenlebens und das Ich ein unsterblicher, geistiger Kern im Menschen. Jedes dieser Glieder verlässt zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens seine übersinnliche Hülle, werde also „geboren“, wie der physische Leib geboren wird, indem er die leibliche Hülle der Gebärmutter verlässt. Diese übersinnlichen Geburten erfolgten in Abständen von sieben Jahren, weshalb die anthroposophische Anthropologie die Entwicklung des Kindes in Jahrsiebte einteilt. "

    "Oh Baby, Baby, balla, balla"

    • @Jim Hawkins:

      Klasse, son Zeug denken wir uns im Liverollenspiel auch immer aus. Macht echt Spaß, auf Akademiecons mit "Kollegen" über den Aufbau elementarer Subglobulen oder Pyrodynamik zu diskutieren und als Elementarist den Hermetiker anzumaulen, dass sein Zeitmagie-Experiment schädlich für das arkane Gleichgewicht im Klassenraum sei.

      Oh, warte, die meinen das Ernst, oder...?

    • @Jim Hawkins:

      Wenn's hilft, warum nicht?



      Pffffffffffffffffffffffffffffffffffff

    • @Jim Hawkins:

      Wie sagte es doch die alte Kiffnase -



      Wolfgang Neuss - so treffend:



      “Es reicht nicht. Keine Gedanken zu haben!



      Man muß auch unfähig sein - sie auszusprechen!“ - anschließe mich - both •

      • @Lowandorder:

        Ein scharfer Verstand gewürzt mit Marihuana fördert immer einen klugen Gedanken zutage.

        Don't bogart that Joint my friend, pass it over to me"

        • @Jim Hawkins:

          🏴‍☠️ thnx a lot for assist - da capo -

          ““Krischan mit der Piepe“ - ein - servíce -

          www.projekt-gutenb...chan/krischan.html

          “…Un Vader sitt dabi un lacht

          Un segt: »Dat heb ick lange dacht!

          Jaja, min Jung! so mot et gahn!

          Krischan lat de Piepe stahn!!«

          (Vermutlich war Knaster inne Piepe!;)🤫

          Für Laien - im 19. Jhd. stand Hanf auf mindestens jedem zweiten Acker!



          Und “Knaster“ - was die Alten knöselten!



          Schaffte den nötigen Durchblick und Seelenfrieden! Newahr.



          Normal Schonn. 🏴‍☠️ 🚬

    • @Jim Hawkins:

      Das ist die erste Kolumne, ich vermute, da kommt noch etwas.

      • @Residuum:

        Ach ja, stimmt ja.

        Und: Normalerweise geht es bei diesem Thema im Forum richtig rund.