Wahlrechtsurteil des Verfassungsgerichts: Eine Übergangslösung auf Dauer

Karlsruhe erhält die Grundmandateklausel, die kleinen Parteien nützt. Sie gibt dem Gesetzgeber aber ansonsten großen Spielraum.

Blaue Sitzreihen im Bundestag

Demnächst weniger Sitze im Bundestag Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Das Urteil des Bundesverfasssungs­gerichts der vergangenen Woche zur Wahlrechtsrefrom ist klug. Es wird den Streit über das Wahlrecht wohl mehr befrieden, als wir derzeit wissen und spüren.

Im ersten Teil des Urteils ging es um den Kern der Reform – die Verkleinerung des Bundestags. Die Ampel hat hierzu Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft. Jede Partei erhält nur noch so viele Sitze, wie ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Gewinnt sie mehr Wahlkreise, so erhalten die prozentual schwächsten Wahlkreisgewinner kein Mandat. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen zentralen Teil der Reform ohne Abstriche gebilligt. Der Bundestag habe großen Spielraum bei der Schaffung eines neuen Wahlrechts. Der Gesetzgeber könne auch Neuerungen beschließen, die ein Umdenken der Wäh­le­r:in­nen erfordern.

Der impulsive Gefühlspolitiker und CDU-Chef Friedrich Merz hat zwar verkündet, dass die CDU/CSU diesen Teil des Wahlrechts wieder abschaffen wolle, denn jeder Wahlkreis solle einen direkt gewählten Abgeordneten haben. Wie der Bundestag dann verkleinert werden soll, lässt Merz aber offen. Wenn er besonnener wäre, hätte er auf diese Ankündigung verzichtet und sich still über die Reform der Ampel und die Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht gefreut. Denn das eigentliche Problem der CDU ist die CSU, die jahrelang jede Verkleinerung des Bundestags durch ihre Kompromissunfähigkeit torpediert hat. Prognose: Das Wahlrecht wird auch bei einer CDU/CSU-geführten Regierung im Kern nicht geändert.

Unnötige Bosheit ist weg

Im zweiten Teil des Urteils hat das Verfassungsgericht zu Recht eine unnötige kleine Bosheit beanstandet. Völlig überraschend hatte die Ampel eine Woche vor Beschluss des Wahlrechts die bewährte Grundmandateklausel gestrichen. Danach konnten auch Parteien, die die Fünfprozenthürde verfehlen, in den Bundestag einziehen, wenn sie drei Direktmandate holen. Diese Streichung gefährdete nur die Oppositionsparteien Linke (die 2021 trotz nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen über die Grundmandate­klausel in den Bundestag einzog) und CSU (die mit 5,2 Prozent der Stimmen fast auch die Klausel benötigt hätte).

Man konnte wetten, dass das Bundesverfassungsgericht dieses miese Manöver der Ampel beanstanden wird. Als Übergangslösung gilt nun wieder die Grundmandate­klausel. Zwar hat der Bundestag viel Freiheit, andere Modelle zu beschließen, etwa eine Absenkung der Prozenthürde auf drei oder vier Prozent. Doch daran haben die Parteien (inklusive der AfD) kein Interesse, weil sie Sitze an andere Parteien verlieren würden. Da Karlsruhe keine Frist gesetzt hat, wird auch die Übergangslösung wohl noch viele Wahlen gelten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben