Wahlplakate im taz-Check: Berlin hat Hangover

Mehr als 100.000 Plakate wollen die Parteien an Laternenmasten und auf Stellwände kleben. Und was steht da drauf? Wir gucken hin.

Der (Wahl-)Kampf um die besten Plätze hat begonnen Foto: picture alliance/dpa | Carsten Koall

BERLIN taz | Seit Sonntag um 0 Uhr dürfen die Parteien ihre Wahlplakate kleben. Fast 105.000 Plakate, das Gros sind mit 102.500 Exemplaren die kleineren Formate an Laternenmasten, wollen alleine die sechs im Landesparlament vertretenen Parteien anbringen. Weil das Anbringen als „Straßensondernutzung“ gilt, ist Plakatieren erst sieben Wochen vor einer Wahl erlaubt.

Am 26. September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus sowie die Bezirksverordnetenversammlungen. Außerdem ist Bundestagswahl. Schließlich können die BerlinerInnen auch noch über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ abstimmen, das Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften will.

Insgesamt 34 Parteien hat die Landeswahlleitung mit Landes- bzw. Bezirkslisten zugelassen. Bei der letzten Wahl 2016 waren es 21. Wegen der Pandemie sind die Zulassungshürden deutlich gesenkt worden, die Parteien mussten deutlich weniger Unterstützer-Unterschriften sammeln.

Und wer wirbt da nun für wen und verspricht was?

Vorwärts, Pioniere!

Foto: SPD Berlin

Es gibt ein Plakat der Berliner SPD, das nicht die Spitzenkandidatin Franziska Giffey zeigt; darauf steht: „Wer Giffey will, muss SPD wählen.“ Die Partei hat sich der ehemaligen Familienministerin ausgeliefert, was angesichts des ramponierten Images der Sozialdemokraten keine schlechte Idee sein muss. Ein ehrlicher Slogan hätte daher auch heißen können: „Giffey statt SPD“. Vom Markenkern der Partei, deren Herz nicht mehr weich, sondern kantig ist, ist wenig zu sehen – sieht man vom Thälmann-Pionier-Halstuch des Hundes ab.

Die Kandidatin selbst setzt auf knalliges AfD-Blau, akkuraten Scheitel und das Thema Sicherheit. Ob sie vor Kampfkötern und Tätowierten schützen oder die Wurstversorgung garantieren will, bleibt ungewiss. Immerhin der Ausdruck ist sympathisch. Doch statt „Alle im Blick“ hat Giffey nur Augen für den Hund. Womöglich mag sie Tiere einfach lieber als Mieter*innen. Erik Peter

Foto: Die Linke Berlin

Das Du geht in Ordnung!

Man achte auf den Riemen der Umhängetasche über Klaus Lederers Schulter. Der Spitzenkandidat ist auf dem Sprung, klar, hat viel zu tun, aber er kümmert sich auch, nimmt sich Zeit. Im Vordergrund sein Gegenüber, dem er sich zuwendet, im Hintergrund ein Stück Stadt. „Eure Stadt. Klaus Lederer“, steht darunter, und das kumpelige Du geht wegen der Schultertasche knapp in Ordnung.

Tatsächlich verzeiht man der Linken die Emomasche beim Wohnthema noch am ehesten: Immerhin sind sie die Einzigen, die das Enteignungsvolksbegehren klar unterstützen. Anna Klöpper

Ein echter Weggucker

So eine Farbe haben in Comics Figuren im Gesicht, denen sehr übel ist. Wieso die Grünen ihre Kampagne mit einem solchen Farbton unter- oder überlegt haben, der allem Frohsinn abschwört, der ihrem Namen innewohnt, und warum sie ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und alle auf weiteren Plakaten abgebildeten Personen in ein so morbides Grün tauchen, das aus Parteisicht lindgrün ist, bleibt unerklärlich.

Auf so ein Plakat mag man (und frau mutmaßlich ebenso) nicht lange schauen – was die Idee eines Plakats als möglichst lange währender Blickfang konterkariert. Kurzum: der Tiefpunkt im Berliner Plakatewahlkampf. Stefan Alberti

Immerhin intelligent

Das soll wohl heißen: Stimmt am 26. September bloß nicht für irgendeine nicht näher bezeichnete linke Partei, denn die will euch das Autofahren verbieten. Immerhin zeigt sich die FDP damit anspruchsvoll. Denn das Wortspiel mit dem Abbiegen aus dem Verkehrsvokabular ins Wählen zu übersetzen, erfordert eine gewisse Transferleistung, gerade beim kurzen Blick aus dem Autofenster im Vorbeifahren.

Inhaltlich stimmt es natürlich nicht, weil noch nicht mal die Grünen das Autofahren an sich verbieten, sondern nur Autos mit Verbrennungsmotor aus der Stadt verbannen wollen. Aber Zuspitzung gehört eben zum Geschäft. Stefan Alberti

Chance für sich selbst

Foto: CDU Berlin

Da sitzt er, der zukunftsgewandte Kai Wegner, und redet im hippen Mauerpark mit Berlins Jugend über Chancen. Meinen wird Wegner aber wohl nur eine ganz bestimmte Form von Chancen, weshalb auch keine Punks oder etwa Menschen aus der Rummelsburger Bucht neben Wegner sitzen, sondern eine Gruppe young professionals. Vielleicht reden sie über Möglichkeiten, in der Wirtschaft sehr viel Geld zu verdienen.

Nicht mit ihnen reden wird Wegner wohl über ihre Chancen, proaktiv etwas gegen die Macht der Wohnungskonzerne zu unternehmen, was ihnen wohl tatsächlich Chancen eröffnen würde – solche auf bezahlbaren Wohnraum etwa. Die CDU übt sich im Spagat, große Veränderungen anzukündigen, sich aber vehement gegen jede Form von tatsächlicher Veränderung zu wehren. Die größte Chance auf Aufstieg aller Menschen auf dem Bild hat jedenfalls Wegner selbst. Timm Kühn

Auf Stimmenfang rechts

Es ist der kleinste gemeinsame Nenner: keine Attacken gegen die politischen Gegner, nicht einmal ein eigenes Argument schmückt das Plakat der Enteignungskampagne. Artikuliert werden stattdessen die Ängste vieler Berliner:innen; dass es nämlich angesichts steigender Mieten und Verdrängung tatsächlich fraglich ist, ob Berlin für alle ein Zuhause bleiben kann.

Das massentaugliche Appellieren an Heimatgefühle ist deshalb vermutlich Programm; schließlich sollen auch Stimmen jenseits des linken Spektrums eingefangen werden – und dort lehnt man radikale Veränderung ja bekanntlich besonders ab. Timm Kühn

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