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Wahlkampf in ParisImmer positiv bleiben

Macrons Leute, Kandidaten der „République en marche“, verbreiten Optimismus. Sie wollen nach der Wahl Kontakt zu den Menschen halten.

Gilles Le Gendre mit möglichen Wählerinnen im Pariser Quartier Latin Foto: Rudolf Balmer

Paris taz | „Chaud, chaud, tout chaud!“, (Heiß, heiß, ganz heiß) ruft der Verkäufer der Grillhähnchen auf dem Markt der Place Monge. Gilles Le Gendre (sein Name bedeutet auf Französisch „der Schwiegersohn“) nimmt das lachend als Anspielung auf die komplizierte politische Ausgangslage in seinem Wahlkreis, den eine lokale Zeitung „politischer Bazar“ getauft hat.

Le Gendre ist in diesem Pariser Wahlkreis der Kandidat der Bewegung „République en ­marche“ (REM) von Präsident Emmanuel Macron. Nicht weniger als 23 andere Listen wollen hier, im Quartier Latin auf dem linken Seine-Ufer, den REM-Kandidaten und seine Stellvertreterin Sonia de Maigret daran hindern, ein Mandat in diesem Teil der Hauptstadt zu erringen – und so zur Bildung einer Parlamentsmehrheit für den neuen Präsidenten beizutragen. Nach jüngsten Umfragen könnte Le Gendre im ersten Wahlgang über 40 Prozent erzielen, im zweiten 68 Prozent.

Vertrackt sieht es dagegen in diesem Wahlkreis der Pariser Bourgeoisie für seine Rivalen von rechts aus: Nicht weniger als drei frühere oder bisherige Mitglieder der konservativen „Les Républicains“ (LR) streiten sich hier um eine Wählerschaft, die seit Jahrzehnten immer mehrheitlich rechts stand: Offiziell nominierte LR-Kandidatin ist Ex-Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet. Die ist intern aber umstritten, weil ihr zu große Nähe zu Macron nachgesagt wird.

Deshalb tritt der Bürgermeister des 6. Arrondissements, Jean-Pierre Lecoq, gegen sie an. Auch Henri Guaino, Ex-Präsidentenberater und Ghostwriter Nicolas Sarkozys, fühlt sich zur Kandidatur berufen. „NKM“ wiederum, die offizielle Bewerberin der Les Républicains, bezeichnet die Spaltung ihres Lagers als bedauernswerte „Alterskrankheit“ gewisser Pariser Parteikollegen. Bei Umfragen kommt die Kandidatin auf 24 (erste Runde) und 32 Prozent (zweite Runde).

Unbezwingbarer Optimismus

Gilles Le Gendre dagegen hat Rückenwind. Wer sich auf den Sieger bei den Präsidentschaftswahlen vom Mai berufen kann, findet offensichtlich Zustimmung auch auf diesem Markt: Die meisten Passanten nehmen die Flugblätter ent­gegen, die er zusammen mit jungen Helferinnen verteilt, während er sich als (hoffentlich) nächster Abgeordneter vorstellt. „Als leidenschaftlicher Radfahrer kannte ich die Straßen gut, aber erst zu Fuß beim Verteilen des Wahl­materials habe ich gewisse Quartiere wirklich entdeckt“, gesteht er.

Wie immer bei seinen Auftritten trägt Le Gendre trotz der sommerlichen Hitze einen dunklen Anzug. Zum Glück plätschert auf dem Platz erfrischend das Wasser in einem Brunnen. Zwei junge Flugblattverteiler sind mit ihren farbigen T-Shirts mit der Aufschrift „La République en marche“ und den GLG-Knöpfen besser dran.

Ich werde nichts Abfälliges über meine Konkurrenten sagen

REM-Wahlkämpfer Le Gendre

„Wählen Sie hier im Wahlkreis, Monsieur?“, fragen sie höflich, um ins Gespräch zu kommen, und strahlen dabei den unbezwingbaren Optimismus aus, der Macron zur Macht verholfen hat. Auf mehr als 500 Mitglieder des lokalen REM-Komitees könne er in seinem Wahlkampf zählen, sagt uns Le Gendre stolz. Das sei mehr als bei der Präsidentschaftskampagne.

„Ich werde nichts Abfälliges über meine Konkurrenten sagen“, schickt er bei einem Treffen mit Interessierten großmütig voraus. Er beherrscht bereits perfekt den neuen, sehr versöhnlichen und immer aufs Positive abzielenden Tonfall der jungen Bewegung „En marche“.

Enttäuschung ist nur eines von vielen Motiven

Als ehemaliger Journalist und Wirtschaftsredakteur, der danach Direktor eines großen Fnac-Multimediageschäfts wurde und zuletzt zusammen mit seiner Frau Raphaële im eigenen Managementberatungsbüro tätig war, entspricht der elegante 59-Jährige dem Wunschprofil eines REM-Kandidaten. Er kommt aus dem „zivilen“ Berufsleben und nicht aus der Politik, für die er sich schon immer interessiert hat, ohne sich aber je an eine Partei zu binden. Dieses Image dürfte angesichts der Krise der traditionellen Parteien bei den WählerInnen vertrauen­erweckend sein.

Ihnen verspricht er, als Abgeordneter werde er den Kontakt mit ihnen aufrechterhalten und sie in einem neuen „Conseil de circonscription“ (Wahlkreisrat) in den kommenden fünf Jahren seines Mandats zur Mitsprache und Mitarbeit einladen. „Was mir die Leute am häufigsten sagen, ist ihr Ärger über die Politiker, die sich nach ihrer Wahl nie um ihren Wahlkreis gekümmert haben“, sagt Le Gendre.

2012 hatte in diesem 2. Wahlkreis von Paris der ehemalige Premierminister François Fillon kandidiert und den Sitz gewonnen. Danach sah man ihn hier fast nie wieder. Es ist ihm übel bekommen. Zuletzt aber stolperte Fillon mit seiner Ambition, Staatspräsident zu werden, über die Affäre der Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope.

Die Enttäuschung über Fillon und dessen Les Républicains ist nur eines der Motive für die Interessierten, die sich unweit des Boulevard Saint-Michel im Café „Boul’Mich“ am Nachmittag zu einem ungezwungenen Informationstreffen eingefunden haben. Der Kandidat und seine Vertreterin spendieren Mineralwasser oder ein Bier. Die 13 Frauen und 12 Männer sind zwischen 50 und 70 Jahre alt.

Der Anfang vom Ende

Das ist vielleicht nicht die Generation, die man bei einer Diskussion der Partei des jungen Präsidenten Macron anzutreffen erwartet hätte. Das höhere Durchschnittsalter entspricht aber den eher betagten und betuchten Bewohnern des Quartiers zwischen Odéon und Boulevard Saint-Michel. Einige der FragestellerInnen stellen sich kurz vor. Einer von ihnen hat zwei Smart­phones im Stand-by vor sich auf das Bistro-Tischchen gelegt und einen Notizblock. Bernard Rullier war der ehemalige Parlamentsassistent von François Hollande, als dieser noch Abgeordneter in der Nationalversammlung war, anschließend dessen Berater im Elyséepalast. Er wäre gern bereit, dem Newcomer Le Gendre einige Tipps für seine zukünftige Aktivität als Parlamentarier zu geben.

Die anderen sind aus purem Interesse da. Zwei knapp 50-jährige Frauen sind zusammen erschienen: Christelle ist Anwältin und war bisher LR-Mitglied und Sympathisantin von Alain Juppé, ihre Freundin Marie-­Pierre ist Lehrerin und „Noch-Sozialistin“. Politisch seien sie bisher selten einer Meinung gewesen, doch heute würden sie beide einen „neuen politischen Ankerplatz“ suchen, verrät Marie-Pierre.

Ein Mann mit einer modischen roten Brille gibt sich als Steueranwalt zu erkennen und erkundigt sich nach den Vorstellungen der République en ­marche in Sachen Transparenz und Moralisierung der Politik. Das ist nicht nur wegen Fillon eines der großen Anliegen der Wählerschaft.

Überhaupt scheint neben der Person des Kandidaten die Art und Weise, Politik zu machen, bei dieser Zusammenkunft mehr zu interessieren als der Inhalt des Programms. Der Kandidat hat ohnehin nicht Zeit, auf alle Fragen zu antworten, denn er hat bereits einen nächsten Termin. Wie seine Helfer ist er „en marche“ für eine Mehrheit für Macron. Der Endspurt hat begonnen.

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9 Kommentare

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  • "Sie wollen nach der Wahl Kontakt zu den Menschen zu halten"

     

    Warum?

    • @nzuli sana:

      Nun ja, - ich nehme an, weil sie es ernst mit der repräsentativen Demokratie meinen ... darum !

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Herr Balmer stimmt als glühender Macronverehrer, wie nicht anders zu erwarten, in den dithyrambischen Chorgesang seiner Pariser Journalistenkollegen ein: " Der junge Präsident ist super, der junge Präsident ist genial, der junge Präsident ist supergenial und seine Kandidaten sind jung frisch unverbraucht, der Poltik fern und der Wirtschaft nah." tönt es in Rundfunk und Fernsehen und man liesst es sogar in der Presse.

     

    Es hat jedoch in dieser Woche zwei falsche Töne gegeben. Die Zeitung " le Parisien", hat einiges aus dem Gesetzentwurf zur Arbeitsmarktreform veröffentlicht, das die neue Arbeitsministerin, eine ehemalige Personalchefin einer Multinationalen und Mitglied des Arbeitgeberverbandes MEDEF am Vortag in verklauselierter Form vorgestellt hat. So sollen z.B. Arbeitsverträge, Kündigungsfristen, wöchentliche Arbeitszeit, Löhne und die Bezahlung der Überstunden jenseits von Tarifvereinbarungen auf betrieblicher Ebene ausgehandelt werden können. Die Gewerkschaften können zwar zu dem Gesetzesentwurf Stellung nehmen und Wünsche vortragen, die eventuell berücksichtig werden, aber das letzte Wort hat der Präsident.

     

    Der Zweite Zwischenton kam von " Le Monde" der berichtet, dass einige besonders repressive Bestandteile der Notstandsgesetzgebung in die neuen Antiterrorgesetze fliessen, wie z.B. Hausdurchsuchungen auf Anweisung des Präfekten(Polizeipräsident), ohne richterliche Genehmigung und das gleiche gilt für Hausarrest. Bei der Ausführung kann man auf den neuen Inneminister Gérard Collomb zählen, ein erklärter Gegner der ehemaligen linkssozialistischen Justizministerin Christiane Taubira.

     

    Das Parlament muss nur gefragt werden, ob es den Präsidialverordnungen zustimmt und darf/muss dann die jeweils fertigen Gesetzespakete ratifizieren, ohne an deren Ausarbeitung beteiligt worden zu sein.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Danke für das Wort 'dithyrambisch' -

      schon wieder dazugelernt ('dithyrambisch' laut Duden =

      'überschwänglich, begeistert') ,

      aber ich kann in diesem Bericht

      von Herrn Balmer gar nichts davon entdecken. Vielleicht täten Sie, Monsieur, gut daran, einmal ein paar Vorschläge zu machen, wie man der hohen Arbeitslosigkeit von vielen verzweifelten, insbesonders jungen Menschen abhelfen kann, und zwar bitte ganz undithyrambisch ! (Es ist dies nämlich der Zweck der Arbeitsmarktreform.)

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @Christoph :

        Was die Jugendarbeitslosigkeit anbetrifft, ist diese In Frankreich strukturell und betrifft hauptsächlich die Jugendlichen mit Mitgationshintergrund, die schlechter ausgebildet sind und in den Ghettos wohnen. Da beträgt die Arbeitslosigkeit über 50% während in den bürgelichen Vierteln die Jugendarbeitslosigkeit ungefähr so hoch ist wie In Deutschland 7%. Das bedeutet, dass hier keine Marktmechanism greifen, sonst wäre das längst schon der Fall gewesen. Der Staat hat den Betrieben schon Steuervorteile versprochen, wenn sie sich In der Banlieu ansiedeln, das hat aber sehr wenig gefruchtet. Dagegen muss der Staat in den Banlieus massiv investieren, die Schattenwirtschaft bekämpfen, aber auch die massive Steuerflucht der Reichen, 80 Milliarden€ pro Jahr, bekämpfen, um diese Mittel in Bildung und Ausbildung zu investieren. Das heisst auf die Nachfrage Einwirken mit grossen Investistiôsprogrammen wie der Umstieg von Kernenergie auf erneuerbare Energien und die Meereswirschaft, wie z.B die Verwertung von Algen. Das alles geht ohne Lohndumping und Sozialabbau und kann hunderttausende nachhaltiger Arbeitsplätze schaffen. Kurz: Es geht wirtschaftswissenschaftlich darum Keynes neu zu erfinden.

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @Christoph :

        Was die grosse Verehrung Herrn Balmers für Emmmanuel Macron betrifft, beziehe ich mich auch auf frühere Artikel.

        Die Arbeitsmarktreform, die eine Vertiefung der bereits unter Hollande verabschiedeten sogenannten Reform El Khomry, so genannt nach der ehemaligen Arbeitsministerin Myriam El Khomry basiert auf eine monetaristeische Angebotspolitik. Dabei geht es hauptsächlich um mehr Wettbewerbsfähigkeit für die Firmen durch relative oder direkte Lohnsenkung, Senkung der Steuern-und Sozialabgaben, flexiblen Kündigungsschutz und flexiblen Arbeitszeiten, Sonntagsarbeit ohne Lohnausgleich. Z.B. bei gleichzeitiger Erhöhung von Arbeitsproduktivität. Die Arbeitslosenzahl sinkt und die Armut steigt, das ist die mechanische Konsequenz. In Franreich liegt die Arbeitslosenzahl bei knapp 10%, der Niedriglohnsektor beträgt 8,8%. Wenn man das zusammenrechnet sind wir bei knapp 20% Menschen mit sozialen Schwierigkeiten. In Deutschland liegt die Arbeitslosigkeit bei knapp 4% und der Niedriglohnsektor bei knapp 22%, das macht fait ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung mit sozialen Schwierigkeiten.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @82236 (Profil gelöscht):

          Noch etwas. In Frankreich ist die hohe Jugendarbeitslodigkeit auch demografisch bedingt. Die Zahl der unter Zwanzigjährigen in Frankreich ist wesentlich höher als in Deutschland wegen dem Geburtenüberschuss. Das kann der Arbeitsmarkt auch schlecht absorbieren, wenn das Renteneintrittsalter erhöht wird, wobei auf der anderen Seite die Lebenserwartung in Frankreich auch deutlich höher liegt als in Deutschland, 4 bis 5 Jahre mehr bei den Männern. Noch ein Grund für eine nachfrageorientierte Politik mit hohen Sozialstandards, um Arbeits-und Ausbildungsplätze für Jugendliche zu schaffen und um die Altersarmut zu vermeiden.

          • @82236 (Profil gelöscht):

            Vielen Dank für Ihre ausführlichen Erläuterungen.

             

            Ich besuche relativ oft Frankreich und versuche dann auch regelmäßig meine Kenntnisse über die aktuelle Situation in unserem Nachbarland zu ergänzen – ihre heutigen Zeilen haben mir bei diesem Unterfangen erheblich weitergeholfen. Daher nochmals: merci, merci, ----

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @82236 (Profil gelöscht):

      ...tja, wie sagte doch Frau Le Pen so treffend, Frankreich wird auf alle Fälle von einer Frau regiert.