Kommentar Wahl in Frankreich: Sieg der Unbekannten
Die Parlamentswahl war eine Abrechnung mit den etablierten Parteien. Zu Macrons „En marche“ gibt es fast keine parlamentarische Opposition mehr.
E ines muss man den Französinnen und Franzosen lassen: Sie haben Mut. Denn sie sind drauf und dran, einer Partei eine absolute Mehrheit zu geben, die vor einem Jahr kaum existierte. Sie schicken in vielen Fällen Leute als Abgeordnete in die Nationalversammlung, die ihnen bisher völlig unbekannt waren. Den Ausschlag, für sie zu stimmen, gab allein ihre Nominierung als VertreterInnen der Bewegung „En marche!“ von Präsident Emmanuel Macron. Dessen Name soll als politische Herkunftsbezeichnung für demokratische Qualität bürgen.
Der offensichtliche Wunsch, dieser Präsidentenpartei nicht nur eine Mehrheit, sondern geradezu eine parlamentarische Vollmacht zu geben, entspringt mehr einem Mut der Verzweiflung und Wut der BürgerInnen über die ihnen nur allzu gut bekannten Parteien, die bisher den Ton angegeben haben. Der erste Durchgang der französischen Parlamentswahlen wird zu einer gnadenlosen Abrechnung mit den „Bisherigen“.
Die Prominenten der vormals unter Präsident Hollande regierenden Sozialisten wurden in ihren Wahlkreisen abserviert wie Neulinge, sie konnten sich in vielen Fällen nicht einmal für die Stichwahl qualifizieren. Den Konservativen erging es nicht viel besser.
Fragwürdig ist es, wenn diese Verlierer nun die relativ schwache Wahlbeteiligung zur ihrer Entschuldigung anführen – oder damit sogar die Legitimität der Sieger infrage stellen wollen. Dass die Opposition in der neuen Nationalversammlung mit ihrer voraussichtlich sehr geringen Sitzzahl auf eine Statistenrolle reduziert wird, ist hingegen ein Problem auch für die Regierung. Denn der Widerstand gegen antisoziale Reformen wird dadurch auf die Straße verlagert. Dort findet zwangsläufig auch der Wiederaufbau und die Wiedervereinigung der französischen Linken statt. „En marche“ hat ihr vorgemacht, dass es sich lohnt, auf eine neue Generation und politische Kühnheit zu setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben