Wahlen in Ostdeutschland: Glitzern statt Hitlergruß
Der Wahlkampf in Sachsen ist derzeit nicht zum Lachen. Doch wir sollten die kleinen Hoffnungsschimmer vor Ort feiern.
L achen, Jubel, Zuversicht – beim Blick auf den Nominierungsparteitag der Demokraten in den USA glitzert und blinkert es, und man muss schon eine sehr freudlose Zeitgenossin sein, um sich davon nicht mitreißen zu lassen. Also schaut man noch ein bisschen länger in diese strahlenden Gesichter. Denn: Rund um die direkt bevorstehenden Wahlen in Sachsen und Thüringen glänzt nicht mehr viel.
Die Bundespolitik ist noch in der Sommerpause, die Politiker*innen vor Ort wirken vom Wahlkampf mürbe, nehmen sie doch trotz enormer Anfeindungen jedes noch so kleine Event mit, um Wähler*innen zu gewinnen. Schließlich wird immer gesagt, man müsse den Leuten mehr zuhören. Leute wollen aber nicht einfach nur akustisch wahrgenommen werden, sondern inhaltlich, mit ihren Anliegen. Und wenn sie diese vorbringen, etwa gegenüber dem Oberzuhörer, Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU, und dann wird nichts aus den Anliegen der Vortragenden – dann ist weniger zuhören vielleicht mehr.
In einem seiner Wahlvideos greift Kretschmer den Satz über sich auf, dass er allen Sachsen schon einmal die Hand geschüttelt habe. Das mache ihm gar nichts. Und dann folgt Musik, die auch zu einem Trailer für eine dänische Mysteryserie taugt und glasklar vermitteln soll, es gehe jetzt um alles. Und retten kann nur er das Land. Dazu braucht er ein paar Gefährten.
SPD und Grüne müssen aber um den Einzug in den Landtag bangen. Vielleicht wegen ihrer Ampelbeteiligung im Bund, vielleicht aber auch, weil ihr Ministerpräsident sie und ihre Themen konsequent kleingeredet hat und nun zum taktischen Wählen aufruft und die CDU als einzige Rettung vor der AfD inszeniert.
Es geht nicht um Entweder-Oder
Das Problem ist nur: Fliegen Linke, SPD oder Grüne aus dem sächsischen Landtag, könnte die AfD eine Sperrminorität und damit mehr Macht erlangen. Mit mehr als einem Drittel der Sitze könnte die AfD etwa die Ernennung von Richter*innen verhindern. Es geht bei dieser Landtagswahl längst nicht mehr darum, ob CDU oder AfD stärkste Kraft werden, um ein Entweder-oder. Eine Regierung wird nur in einer Koalition entstehen. Wir sind eben nicht in den USA.
Wer auf der Suche nach etwas Lachen, Jubel und Zuversicht ist dieser Tage, kann aber in die Zivilgesellschaft schauen, die an diesem Wochenende wieder zahlreich auf die Straße geht. Natürlich ist sie auch müde und abgekämpft. Aber sie tanzt, auch auf den vielen von Rechtsradikalen bedrohten Christopher Street Days in den Kleinstädten. Wir müssen uns alle darin üben, das Glitzern zu feiern, statt nur auf den Hitlergruß zu starren. Nicht, um Letzteren für irrelevant zu erklären. Sondern, um die Hoffnung zu behalten. So wie in den USA.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch