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Wahlen in FrankreichDesolate Spaltung der Linken

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Macron und Le Pen dominieren. Die politische Linke in Frankreich steht sich selbst im Weg.

Macron gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich

J ubel herrscht im Hauptquartier von Emmanuel Macron. Nach Tagen der bangen Ungewissheit ist es offenbar nochmal gut gegangen. Wirklich? Der Präsident liegt mit mehr als 28 Prozent der Stimmen mit einem beruhigend großen Abstand vor Marine Le Pen an der Spitze. Er hat mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs bewiesen, dass er sich auf eine solide Wählerschaft stützen kann, die seine Bilanz der letzten fünf Jahre positiv betrachtet. Jetzt schon seine Wiederwahl zu feiern, wäre für die Fans des Präsidenten aber mehr als verfrüht.

Zum ersten Mal nämlich hat die Kandidatin einer extremen Rechten, die man in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg wegen ihrer Kooperation mit den Nazis definitiv diskreditiert glaubte, eine echte Chance, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Noch nie in den letzten Jahrzehnten war diese reaktionäre, ultranationalistische Rechte so stark und nur noch einen Schritt von der Machtergreifung entfernt. Und niemand soll heute in Paris sagen, das sei eine Überraschung. Von Beginn an machten in den Umfragen die Wahlabsichten für die drei Kandidaturen von Le Pen und Éric Zemmour plus jene des „Souveränisten“ Nicolas Dupont-Aignan ein Drittel aus. Leider haben sich die Meinungsforscher nicht getäuscht.

Jean-Luc Mélenchon von der linken „France insoumise“ erzielt mit fast 22 Prozent und seinem dritten Platz mehr als einen Achtungserfolg. Laut den letzten Hochrechnungen fehlte ihm wenig, und er und nicht Marine Le Pen wäre in der Stichwahl. Fast hätte also die Wählerbasis zustande gebracht, was die Parteiführungen nicht wollten oder konnten: die Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten der Linken.

Wie schon 2002 haben Sozialisten, Grüne und Kommunisten eine geradezu stupide und politisch suizidale Konkurrenz der Einheit vorgezogen. Es wäre zumindest arithmetisch klar, dass die französische Linke zusammen und mit einem vorstellbaren politischen Minimalkonsens mehr als genug wiegen würde, um in der Stichwahl gegen Macron anzutreten.

Nun aber müssen die „Gauchistes“, die „Écologistes“ und die linken „Bobos“ einen Macron-Wahlzettel in die Urne stecken, um „das Schlimmste zu verhüten“ und „das kleinere Übel“ wählen. Das war schon 2002 so und auch 2017. Dankbar oder politisch entgegenkommend hatte sich weder Jacques Chirac vor zwei Jahrzehnten noch Macron vor fünf Jahren für diese Wahlhilfe wider Willen von links gezeigt. Allenfalls liefern im Juni die Abgeordnetenwahlen eine neue Chance, doch noch gegen Macron und gegen die extreme Rechte eine linke Einheit gegen rechts zu bilden.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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8 Kommentare

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  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Jean-Luc Mélenchon ist leider Anti-Europäer, Anti-Nato und so ziemlich alles Anti was der gemäßigte Linke so will. Der passt aber gut zur MLPD.

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Um das mit Zahlen zu untermauern.

      Von Ipsos gab es bereits die erste Umfrage für die 2. Runde und es wurde auch aufgeschlüsselt, was Wähler der jetzt unterlegenen Kandidaten wählen wollen.

      Bei Wählern von Mélanchon teilt sich das in 34% Macron, 30% MLP und 36% nicht geäußert ein.

      www.ipsos.com/fr-f...tion-vote-2nd-tour

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Was soll uns das jetzt sagen?

      Stellen wir lieber mal die Frage, warum so viele Franzosen von EU und NATO nicht überzeugt sind.

  • Wirklich!!!!



    Was wird da in Frankreich gewählt?! Da kann ich aber nicht an das Mähr von angeblichen ProtestwählerInnen glauben. Protest gegen was denn!? Und die Antwort wäre dann; macht es uns bitte noch schlimmer, noch ungerechter, mach uns noch weniger Umwelt- und Klimaschutz.

    Tatsache ist doch; um einen Drittel der französischen WählerInnen haben FÜR eine extrem rechte, rassistiche, fremdenfeindliche, autokratische Gesellschaft, bei der nur superreiche Eliten Gewinner sein können, gestimmt.

    Und das soll das Land von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (französisch Liberté, Égalité, Fraternité) sein? Und der Aufklärung!

    de.wikipedia.org/w...r%C3%BCderlichkeit

    Und das es keine Alternativen geben sollte, ist ja auch nur ein neoliberaler Mähr! Alternative zu Le Pen!?! Bitte!!! Dann ist doch nahezu jede uns jeder die oder den wir auf der Straße in Dorf oder Stadt XY begegnen die bessere Alternative.

    Liebe FranzösInnen, rafft euch doch bitte bitte wieder zusammen und setzt euch wieder für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ein - dann wird alles schon wieder etwas freundlicher.

  • Jetzt ist man schlauer. Der Punkt ist doch, dass es keiner wissen konnte, wer in die Stichwahl kommt.

    Natürlich: Die politische Linke Frankreichs hätte es ahnen können, dass sie Marine Le Pen aufwertet. Die wird in den 2. Wahlgang gehen und damit hat sie schon ein Teil ihres Programms so in Szene setzen dürfen, dass es schmerzt, weil es im Kern nur um die Angst vor Überfremdung, hohen Preisen, Inflation und anderen wenig durchdachten Ideen geht.

    Wäre ein linker KandidatIn im Finale, das hätte erstmals seit langer Zeit dazu geführt, dass über soziale Themen intensiv hätte diskutiert werden müssen.

    Andererseits hat jede politische Strömung und jede Kraft auch das Recht auf eine Identität und einen Wettstreit mit anderen. Das ist ein Fundament der parlamentarischen Streitkultur.

    Andererseits hätte wenigsten die KPF es anders vermocht. Mit den 2,3 Prozent haben sie eigentlich gar nichts bewirkt. Aber vielleicht ist es ihnen das wert gewesen, ein Lebenszeichen zu senden: Hey, wir sind noch da. Dafür haben sie jetzt Marine Le Pen und ihre 'Themen', die dann von Macron mit seiner schulmeisterlichen Art allesamt eliminiert werden, hier haben wir XX Mrd. ausgegeben, dort haben wir dieses Gesetz ... Gähn.

    Der Punkt ist doch, dass Macron eine merkwürdige Variante des Neoliberalismus bedient. Es geht um eine kleine Schicht sehr mächtiger Kräfte, die hier wirklich kriegen, was sie wollen, der ganze Rest ist freundlich, aber alleine die Idee der Atomkraft ist doch gar nicht langfristig sinnvoll und brauchbar. Und genau von dieser Art wird Macron noch mehr liefern. Immerhin ist er kein Neonazi und war mal irgendwie links und Sozialist, bevor er das Parteiensystem sprengen musste.

    Bei den Parlamentswahlen wird seine Partei hart kämpfen müssen, das steht jetzt auch schon fest. Und da könnte Marine Le Pen sowie andere den nächsten Erfolg einbuchen - das kann langfristig nicht gut sein. Da wird die Linke sehr hart ran müssen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Umfragen von Ipsos als auch von Elabe zeigen, dass die sogenannten ""linken"" Mélenchon-Anhänger ihre Stimmen auf drei Arten aufteilen werden :

    1.. sich enthalten,



    2.. Macron unterstützen



    3.. und in einem zweiten Wahlgang für Le Pen stimmen.

    Frage: Welche Sorte Linker ist es die nach WWII wieder auf Neue damit beginnen Rechtsextremisten zu wählen? Das ist ja nicht nur ein Phänomen welches in Frankreich zu besichtigen ist.

    Bis Sonntag hat Le Pen allen die Show gestohlen, indem sie kreuz und quer durch Frankreich gereist ist und sich die Klagen der Dorfbewohner über die hohen Lebenshaltungskosten angehört hat, während Macron erst sehr spät am Wahlkampf teilgenommen hat, nachdem er mit der internationalen Diplomatie wegen des Krieges in der Ukraine beschäftigt war.

    Trotzdem gewann Macron knapp 28 Prozent der Stimmen – mehr als im ersten Wahlgang 2017.

    Jetzt, da die erste Runde vorbei ist, wird er seine ganze Kraft auf Le Pen lenken müssen, insbesondere auf ihren Mangel an Erfahrung als Staatsoberhaupt in Krisenzeiten, die mangelnde Kohärenz ihrer Wirtschaftspolitik und vor allem ihre Verbindungen zu Putin:

    Le Pen wurde mit Bankkrediten zuerst aus Russland und wird jetzt aus Ungarn finanziell unterstützt, während die Wahlkampfpropaganda Marine Le Pens ursprünglich ein Bild von ihr enthielt in dem sie stolz wie ein dumm-dämmliches Huhn die Blut beschmierten triefenden Hände von Putler im Kreml schüttelt.

    Marine Le Pen - die Verbündete des Zerstörers Europas - der momentan die Ukraine pulveresiert, Zivilisten vergewaltigt und Teile der Bewohner Mariupols nach Russland verschleppt und Geburtskliniken mit Raketen beschiesst.

    Nochmal die Frage: Was sind das für sogenannte ""Linke"" welche diese Horrorfront der vereinigten Vergewaltiger unterstützen?

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Die Wähler eines linken Kandidaten sind nicht zwangsläufig überzeugte Linke. Viele wollen einfach nur, dass ihre Probleme ernst genommen werden und das Politiker dafür Lösungen anbieten. Macron tut das definitiv nicht. Le Pen schafft es, so zu tun.

      Wir werden sehen, wie viele darauf hereinfallen.

      Putin oder die Ukraine spielen dabei keine Rolle.

  • Links-Populist?

    Zitat: „Dankbar oder politisch entgegenkommend hatte sich weder Jacques Chirac vor zwei Jahrzehnten, noch Macron vor fünf Jahren für diese Wahlhilfe wider Willen von links gezeigt.“

    Eine zutreffende Analyse, die klarstellt, ohne das dezidiert linke anti-ethnonationalistische Wählerpotential hätte Macron keine Chance. Gegen Le Pen würde auch ein Besenstiel gewinnen. Macron wird die Wiederwahl nur dem Ticket „Jeden - nur nicht Le Pen“ verdanken und weder Bilanz noch Programm.

    In der Zielgeraden des Wahlkampfes wurde beiderseits des Rheins wie schon vor 5 Jahren Mélanchon als „rote Gefahr“ an die Wand gemalt und mit Le Pen in denselben Topf der „Partei Moskaus“ geworfen. In der „Zeit“ etwa wurde er damals ohne Umschweife mit dem Etikett „Kommunist“ und „Linksradikaler“ beklebt, diesmal blieb davon immerhin noch der „Linkspopulist“. Bemerkenswert an dem Kommentar von R. Balmer, daß er bei Mélanchon ohne diese allseits beliebte Polit-Invektive auskommt. Allein das hebt ihn dankenswert von den meisten anderen Frankreich-Analysen ab.

    Mélenchon ist nun so wenig „Kommunist“ wie A. Merkel „Sozialdemokratin“ ist. Als ehemaliger Minister in der PS-Regierung Jospin unter der Präsidentschaft des Gaullisten Chirac vertrat er gemeinsam mit H. Emmanuelli die linkssozialistische Strömung „Nouveau Monde“ innerhalb des Parti socialiste , bevor er 2008 aus Frust gegen die Rechtsdrift der damaligen Präsidentschafts-Kandidatin des PS Ségolène Royal die Partei verließ, um mit dem „Parti de gauche“ eine neue linke Sammlungsbewegung zu gründen. Darin verfocht der Sozialisten-Dissident ein klassisch links-sozialdemokratisches, pro-soziales Programm intra muros der demokratischen Institutionen der Französischen Republik. Demgegenüber kann man die beiden trotzkistischen Kandidaten P. Poutou (Parti anticapitaliste) und N. Arthaud (Lutte ouvrière) durchaus als „Gauchistes“ im tradierten Sinne bezeichnen wie einst Cohn-Bendit in der Mai-Revolte von 1968 („Denny, le Rouge“).