Präsidentschaftswahl in Frankreich: „Politiker gehen mir auf den Keks“

In der Pariser Vorstadt Saint-Denis sind viele gar nicht zur Wahl gegangen. Jetzt ärgern sie sich über das erneute Duell Macron gegen Le Pen.

Emmanuel Macron reckt die Faust

Macron: Nichts zu sozialen Brennpunkten bei einer Pressekonferenz aus der Pariser Vorstadt Aubervilliers Foto: Ludovic Marin/dpa/afp

SAINT-DENIS taz | Hier finden alle einen Platz zum Sprayen. Am Kanal aus Paris in die nördliche Vorstadt Saint-Denis, dort wo das große Stade de France liegt, prangt ein Graffiti neben dem anderen an bröckeligen Betonwänden. Der 28-jährige Aurélien sprayt mit seiner Freundin Manon am Tag nach der ersten Runde der Präsidenschaftswahl den Schriftzug „Nique Le Pen!“ weg, zu Deutsch: „Fick dich, Le Pen!“

Aurelién hat nicht gewählt am Sonntag, seine Freundin auch nicht. „Die Politiker gehen mir durch die Bank auf den Keks. Das Gemeinwohl, unser Zusammenleben, das interessiert sie nicht, sondern erst mal nur ihre Egos, das ist ihr Ding.“ Die Vorstädte, die banlieues, wo Millionen von Menschen oft am Existenzminimum leben, „die kamen im Wahlkampf gar nicht vor als Thema“.

Ein tatsächlich illustres Beispiel: Als Macron am 17. März sein Wahlprogramm in einer über vierstündigen Pressekonferenz vorstellte, tat er dies in Aubervilliers – just in der sozial schwierigen Gegend am Graffiti-Kanal nahe Saint-Denis. Doch kein Wort über Orte wie diesen, keine Ideen dazu, keine Empathie.

Vor ein paar Jahren hatte sich der Kunststudent Aurélien („Ich hangel mich von Job zu Job“) noch für die ultralinke Partei von Jean-Luc Mélenchon „La France Insoumise“ (LFI) stark gemacht: „Ich war wirklich politisiert“.

Viele junge Nichtwähler für Mélenchon

Mélenchon hat auch diesmal, wie schon vor fünf Jahren, nur ganz knapp hinter Marine Le Pen die Stichwahl gegen Amtsinhaber Macron verpasst. Wahlforscher gehen davon aus, dass ihm wegen des relativ hohen Anteils von Nichtwählern besonders unter den jungen Leuten die entscheidenden Stimmen für Platz zwei fehlten.

Aurélien, Sprayer

„In unserem Wahlsystem bleibt mir nichts anderes übrig, als für den neoliberalen Macron zu stimmen, c’est la merde“

Und jetzt? Aurélien kratzt sich, die Sprühdose in der linken Hand, am Kopf. Im zweiten Wahlgang wird er „notgedrungen“ wählen. „In unserem Hopp-oder-topp-Wahlsystem bleibt mir nichts anderes übrig, als für den neoliberalen Macron zu stimmen, c'est la merde, scheiße ist das“, analysiert er schließlich.

Denn eine Enthaltung zähle ja leider nicht. Oder doch für Le Pen stimmen? „Niemals, das ist eine rechtsextreme, gefährliche Frau, deshalb spraye ich ja ihren Namen weg, wo ich nur kann.“

In Saint-Denis, wo über 100.000 Menschen leben, und auf der benachbarten eigenständigen Inselgemeinde L’Île-Saint-Denis mit rund 8.000 Ein­woh­ne­r:in­nen haben die meisten Wäh­le­r:in­nen Mélenchon gewählt, auf der Insel sogar 62 Prozent – weit vor Macron mit rund 14 Prozent und Le Pen mit 8 Prozent.

Notgedrungen Macon wählen

Mayla, die bei einer Versicherung arbeitet, ist eine von ihnen. Die 38-Jährige mit algerischen Wurzeln, „aber 100 Prozent französisch“, wie sie verschmitzt sagt, steht vor dem schmucken blumengesäumten Rathaus von L’Île-Saint-Denis und kann es nicht fassen, dass es wie 2017 erneut zum finalen Duell Macron – Le Pen am 24. ­April kommen soll.

„Hätte die Linke sich endlich zusammengerauft und einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt, dann müssten wir nicht wieder fünf Jahre die Ochsentour machen.“ Schon die rund zwei Prozent des kommunistischen Kandidaten Roussel hätten Mélenchon zumindest in die Stichwahl gebracht. „Aber Zugeständnisse oder gar Kompromisse werden bei uns nicht gemacht in der Politik. Es ist ein Elend.“

Auch Mayla wird also „zähneknirschend“ für Macron stimmen – und bei den Parlamentswahlen im kommenden Juni wieder für Mélenchons LFI. Sie hofft darauf, dass wenigstens im Parlament Macrons Mehrheit schrumpft: „Machen wir es ihm schwer.“

Gerade mal 17 Abgeordnete hat Mélenchons Partei derzeit in der 577-köpfigen Nationalversammlung. Sehr wahrscheinlich bewirbt sich der 70-jährige Fraktionsvorsitzende auch nicht mehr um ein Parlamentsmandat. Was passiert dann bei LFI? „Es wird spannend“, prophezeit Mayla. „Gut, wenn jetzt Jüngere drankommen.“

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