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Wahlbeteiligung bei Hamburg-WahlWählen geht, wer Geld hat

Bei der Bürgerschaftswahl haben die Ham­bur­ge­r:in­nen sehr unterschiedlich gewählt. Je ärmer das Viertel, desto geringer die Wahlbeteiligung.

Wahrscheinlich nicht zu arm zum Wählen: Leute auf dem Weg zur Stimmabgabe bei der Hamburger Bürgerschaftswahl Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl haben die Menschen anders gewählt als bei der Bundestagswahl eine Woche zuvor. Eins aber ist gleich geblieben: die großen Unterschiede im Wahlverhalten zwischen armen und reichen Stadtvierteln. Dazu hat das Statistikamt Nord am Dienstag erste Auswertungen vorgestellt.

Die Hamburg-Karte ist nach der Bürgerschaftswahl röter, weniger schwarz und weniger grün als nach der Bundestagswahl. Außerdem fehlen zwei blaue Flecken.

Während die AfD bei der Bundestagswahl nach Zweitstimmen erstmals in Hausbruch im Westen der Stadt und in Neuallermöhe im Osten stärkste Kraft wurde, gingen diese Viertel bei der Bürgerschaftswahl an die SPD. Könnte das vielleicht mit der Wahlbeteiligung in den Vierteln zusammenhängen?

Eigentlich kann man Bundestags- und Landtagswahlen gar nicht so richtig vergleichen, sagt der Politikwissenschaftler Kai-Uwe Schnapp. Auf Bundesebene ist zum Beispiel die Wahlbeteiligung immer höher als auf Landesebene. Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r:in­nen sprechen deshalb von „Wahlen zweiter Ordnung“. Sie gehen davon aus, dass Menschen Landtagswahlen als weniger wichtig wahrnehmen als nationale Wahlen.

Wahlbeteiligung bei Hamburg-Wahl höher als erwartet

Anders als erwartet lag die Wahlbeteiligung bei der Hamburg-Wahl mit 68 Prozent über den 63 Prozent der vergangenen Wahl 2020. Ex­per­t:in­nen hatten vorher vermutet, dass die zeitliche Nähe zur Bundestagswahl dazu führen könnte, dass noch weniger Menschen wählen gehen als sonst.

Wie bei allen Wahlen war die Wahlbeteiligung auch bei der Bürgerschaftswahl aber von Stadtteil zu Stadtteil sehr unterschiedlich. Am meisten wählen gingen die Menschen im zentralen Groß Flottbek (83,3 Prozent) und in Lemsahl–Mellingstedt (83,1) und Woldorf-Ohlstedt (82,9), die beide im Norden an der Grenze zu Schleswig-Holstein liegen. Am niedrigsten war die Wahlbeteiligung in Jenfeld (46,7) und Billstedt (47,9) am östlichen Stadtrand und dem hafennahen Industriegebiet Billbrook-Rothenburgsort (47,1).

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Wenn man die Hamburg-Karte mit den Zahlen zur Wahlbeteiligung neben eine mit dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in den Stadtvierteln legt, wird klar: Die sehen sich ähnlich.

Die drei Stadtviertel mit der niedrigsten Wahlbeteiligung gehören zu denen mit den geringsten mittleren Einkommen, nämlich weniger als rund 32.000 Euro im Jahr. Und die drei Stadtteile, in denen die meisten Menschen wählen gegangen sind, gehören zu denen mit den höchsten mittleren Einkommen, von mehr als rund 89.000 Euro im Jahr.

Reiche wählen anders als Arme

Kein Wunder, denn die Forschung zeigt: Reiche gehen tendenziell mehr wählen, sogenannte Hocheinkommensgruppen zu weit über 90 Prozent. Ganz im Gegensatz zu ärmeren Bevölkerungsgruppen. Ex­per­t:in­nen wie Kai-Uwe Schnapp vermuten, dass ärmere Menschen das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht für ihre Probleme interessiert – und dass vielen schlicht die Energie und die Zeit fehlt, um wählen zu gehen.

Und Geld spielt auch eine Rolle bei der Parteienpräferenz. Auch das lässt sich an den Stadtteilergebnissen der Bürgerschaftswahl ablesen: in den Gegenden mit dem geringsten Durchschnittseinkommen waren Die Linke und die AfD (16,9 bzw. 10,2 Prozent) am stärksten, während sie in den einkommensstärksten Stadtteilen schwach waren. Genau andersherum war es bei CDU und Grünen.

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Die AfD-Hochburg Neuallermöhe fällt da nicht aus dem Rahmen: Sie gehört zu den Stadtvierteln mit den geringsten mittleren Einkommen in Hamburg – wobei andere Stadtteile noch schlechter gestellt sind. Auch wenn die AfD bei der Bürgerschaftswahl nur zweitstärkste Kraft nach der SPD wurde, holten die extremen Rechten auch bei der Hamburg-Wahl hier die meisten Stimmen und kamen auf rund 22 Prozent. Bei der Bundestagswahl waren es 28 Prozent gewesen.

Vergleicht man die Wahlbeteiligung in Neuallermöhe bei der Bundestagswahl (73,9 Prozent) mit der Bürgerschaftswahl (51,7 Prozent), fällt auf, dass sich das Verhältnis zur stadtweiten Wahlbeteiligung verändert hat.

Schadete der AfD die geringere Wahlbeteiligung?

Zwar lag die Wahlbeteiligung bei beiden Wahlen unter dem Hamburger Mittel (rund 80 Prozent bei der Bundestags-, rund 68 Prozent bei der Bürgerschaftswahl). Bei der Bundestagswahl war sie aber relativ gesehen weniger weit vom Hamburger Durchschnitt entfernt als bei der Bürgerschaftswahl. Also auch wenn man die insgesamt niedrigere Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl beachtet, gingen die Neu­al­ler­mö­he­r:in­nen weniger wählen als eine Woche vorher.

Ob sich damit das schwächere AfD-Ergebnis erklären lässt, ist aber fraglich, sagt Politikwissenschaftler Kai-Uwe Schnapp. „Normalerweise nützt eine geringe Beteiligung eher der AfD.“

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18 Kommentare

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  • " Ex­per­t:in­nen wie Kai-Uwe Schnapp vermuten, dass ärmere Menschen das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht für ihre Probleme interessiert"

    Das ist kein Gefühl. Je ärmer, desto weniger Fürsprechung in der Politik. Und die ärmsten werden sogar gerne als Schmarotzer bezeichnet. Politik in diesem Land findet fast nur für das obere Drittel statt. Ab und an mal wirft man den kleinen Leuten auch einen Knochen hin, damit sie nicht aufbegehren, aber die strukturelle Begünstigung von reichen Menschen wird nicht angegangen.

  • Wählen geht, wer Wahlen für demokratisch hält oder wer damit zufrieden ist, dass er von einer elitären Oligarchie regiert wird.

    Das Wahlen nicht demokratisch sind, wusste Montesquieu noch. Aber nach der Gründung der 1. Französischen Republik und den USA gab es ein Begriffsverschiebung, so dass ab dem frühen 20. Jahrhundert die Begriffe (Wahl-)Republik und Demokratie nach und nach synonym benutzt wurden. Das Wahlen kein Instrument egalitärer Mitbestimmung der BürgerInnen sind, sollte aber jedem erfahrenen WählerInnen einer repräsentativen Demokratie klar sein.

    So bleibt, dass viele BürgerInnen sich damit zufrieden geben, durch eine Oligarchie politischer Eliten regiert zu werden. Das ist einigermaßen verwunderlich, denn die Gewählten kümmern sich mehr um die Interessen des Staates als institutionelle Basis ihrer Macht, denn um die einer Mehrheit der BürgerInnen.

    Solange die Eliten aus Politik, Wirtschaft, Medien usw. das Versprechen auf Wohlstand und Sicherheit für alle StaatsbürgerInnen aufrecht erhalten können, verzichten die meisten BürgerInnen auf Mitbestimmungsrechte. Dieses Versprechen bekommt immer mehr Risse und die Unzufriedenen wollen wieder Führung, wie bestellt.

  • Also ich finde bei den Zahlen werden Schlüsse gezogen die nicht so ganz haltbar sind. Es gibt auch viele andere Gründe für höhere & niedrigere Wahlbeteiligung. So sind z.B. Billwerder und Heimfeld jeweils ärmer als die benachbarten Neuallermöhe und Hausbruch, und haben trotzdem eine höhere Wahlbeteiligung.

    Und die Behauptung dass die Grünen in Gegenden mit dem geringsten Durchschnittseinkommen schwach sind ist absoluter Blödsinn. Auch hier mal ein kurzer Blick nach Harburg: Es ist der ärmste Stadtteil im Bezirk, und die Grünen haben dort das zweitbeste Bezirksergebnis.

    Wenn sie guten Journalismus machen wollen sollten sie den ganzen Artikel mal anpassen, und den faktisch falschen Kommentar zu den Grünen weglassen.

  • Reich ist wie immer relativ. Viele interessieren sich eben nicht für Politik, leben einfach in den Tag hinein.



    Aber Tatsache ist schon seit vielen Jahren, dass in manchen Gebieten, im Rhein-Main-Gebiet ist das Offenbach, im Verhältnis weniger zur Wahl gehen als anderswo.



    In strukturschwachen Gebieten aber wohnen mehr ältere Menschen mit höherer Wahlbeteiligung.

  • Es ist tragisch, mehr und mehr Menschen verlieren die Hoffnung, dass sich durch Wahlen etwas ändern könnte. Ein Blick zurück mag auch tatsächlich darauf hindeuten. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an Pispers bittere Bühnenshows. Wer allerdings Profiteur ist, möchte seinen Status bewahren und geht selbstverständlich wählen.

    • @Andreas Schulz:

      Nicht wählen ist die Lösung?

  • "Ex­per­t:in­nen wie Kai-Uwe Schnapp vermuten, dass ärmere Menschen das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht für ihre Probleme interessiert – und dass vielen schlicht die Energie und die Zeit fehlt, um wählen zu gehen."

    Also meines Wissens ist das Budget vom Arbeits- und Sozialministerium das Größte und stetig wachsend?



    Wenn man am Sonntag zwischen 8 und 18 Uhr keine Zeit/Energie findet, in sein Wahllokal zu gehen, worüber will man sich beschweren? Briefwahl?

    Wer die AfD verhindern will, muss zur Wahl gehen. Das haben die Menschen getan, die sich kein X für ein U voramchen lassen!

    • @Ansu:

      Ja, und der größte Posten davon mit ca. zwei Drittel sind die Renten. Aber klar, die können wir gerne kürzen, wenn Sie mögen?

    • @Ansu:

      Wenn man seit Monaten/Jahren in einem Hamsterrad festsitzt, welches aus Beantragung von Hilfsmitten, dauerhaftern prekären Beschäftigungsverhältnissen mit ( geht ja meist mit dieser Arbeit konform) ungünstigen Arbeitszeiten, parallel dazu die Sorge: kann ich den Strom zahlen, wird Butter wieder teurer, warum hat man denn den Kilopreis für Tomaten angehoben, wann will die Schule eigentlich das Geld für die Klassenfahrt, und bewilligt das Amt den Zuschuss....ja, dann wird man irgendwann apathisch, dann hat man eben auch am Wahlsonntag keine Energie mehr....das ist ein schleichender Prozess.



      Ich kenne genug Leute mit prekären Background, die noch nicht radikal genug sind, um die falschen zu wählen ( gut so) aber ihre politische Lethargie zum Ausdruck bringen mit den Worten " ändert eh nichts ".



      Etwas mehr Einfühlungsvermögen in diese Bevölkerungsgruppen würde auch der Demokratie helfen!

  • Es sztellt sich aber auch die Frage - ab welchem Einkommen ist man reich? Für die Verkäuferin ist der Lehrer mit A 13 schon reich.

  • "Wählen geht, wer Geld hat"

    Schöner Titel. Schade, aber eigentlich verständlich. Die Politik wird für die mit Geld gemacht. In der Vergangenheit konnte man wählen, welche Partei man wollte - keine hat oder hätte z.B. etwas gegen den Mietwucher getan.



    Darum sagen sich viel "wozu wählen, mein Miete wird nicht sinken", egal wen ich wähle.



    Und viele beschäftigen sich auch nicht mit den Hintergründen. Entweder hat man keine Zeit, nicht professioneller Politologe zu sein neben Beruf, Kindern, Pflege etc. Oder man interessiert sich nicht so dafür und findet die Sportschau interessanter. Oder man versteht es vielleich auch nicht.



    Der Effekt ist in einer Demokratie unserer Art leider erschreckend. Es ist wie Zensuswahlrecht.

  • „… und dass vielen schlicht die Energie und die Zeit fehlt, um wählen zu gehen.“ - Die Zeit kann dank möglicher Briefwahl kein Argument sein, die fehlende Energie ist dann in der Regel wohl eher eine Frage der persönlichen Effizienzerwartung und der daraus folgenden Abwägung, für was die eigene Zeit eingesetzt werden sollte.

  • Der Zusammenhang zwischen EInkommenshöhe und Wahlbeteiligung ist ja sehr interessant. Wenn man den Blick etwas weiter öffnet ist der Tiefpunkt die Wahlbeteiligung bei den bundesweiten Sozialwahlen mit 22% bei fallender Tendenz. Bei den Sozialwahlen sind mehrheitlich Personen unter der Beitragsbemessungs- / an der Armutsgrenze stimmberechtigt. SIe stimmen dort über die Kontrolle der Verwendungen von 40% ihres Lebenseinkommens ab. M.a.W wer sich kümmert hat ein höheres EInkommen und sorgt sich um mehr Einfluss und umgekehrt.

  • Eper­t:in­nen wie Kai-Uwe Schnapp vermuten, dass ärmere Menschen das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht für ihre Probleme interessiert.



    Das soll nur ein Gefühl sein? Ist das hier eigentlich noch eine linke Zeitung oder nicht?

    • @Šarru-kīnu:

      Kai-Uwe Schnapp ist Wissenschaftler, kein Mitglied der Redaktion. Wenn seine "Vermutung" hier indirekt zitiert wird, ist das so völlig korrekt und kein Hinweis auf mangelnde "linke Linientreue".

      Mir persönlich sind auch Menschen lieber, die es nicht "schon immer gesagt" bzw. gewusst haben.

      Und dass Wahlenthaltung nicht dazu beitragen wird, dass sich die Politik mehr für die Bedürfnisse ärmerer Menschen interessiert, dürfte auch klar sein.

    • @Šarru-kīnu:

      Dann sollten die ärmeren Menschen vielleicht wählen gehen, dann würde die Politik sich auch für sie interessieren. Wer nicht wählen geht, ist eben keine relevante Zielgruppe. Deswegen wird in diesem Land auch soviel Politik für Rentner und so wenig Politik für jüngere Menschen gemacht. Rentner werden immer mehr und gehen öfter wählen.

    • @Šarru-kīnu:

      Warum soll sich "die Politik" für einen interessieren, wenn man nicht wählen geht?

      • @Carsten S.:

        Weil die Politik den Souverän, sprich das Volk, vertreten sollte in einer (angeblichen) repräsentativen Demokratie. Und das Volk umfasst alle Bürgerinnen, die in Deutschland leben. Egal ob sie nicht wählen oder die Wahlverlierer gewählt haben. Ich dachte sowas Offensichtliches wäre klar, aber fehlende Bildung scheint wirklich überall ein Problem zu sein.

        Übrigens, es ist auch eine steile These anzunehmen, dass diese Menschen noch nie gewählt haben. Mir scheint es ja wahrscheinlicher, dass sie mal gewählt haben, und dann zurecht feststellten, dass es nix für sie änderte.



        Aber mal angenommen, dass sie wirklich nie gewählt haben, dann ist das auch ein Versagen des Staates, weil es offensichtlich an Aufklärung über die Relevanz von Wahlen gefehlt hätte.